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INITIATIVE/177: Klimawende von unten - durch direkte Demokratie Klimapolitik in die Hand nehmen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2019

Klimawende von unten
Wie wir durch direkte Demokratie die Klimapolitik in die Hand nehmen

von Greta Pallaver


Klimaschutz selber machen, das haben sich die Vereine Umweltinstitut München, BürgerBegehren Klimaschutz und Mehr Demokratie auf die Fahne geschrieben. In ihrem neu erschienenen Handbuch 'Klimawende von unten' zeigen sie, wie BürgerInnen in ihren Städten und Gemeinden durch die Mittel der direkten Demokratie eine ambitionierte Klimapolitik umsetzen können.

Auf Bundesebene geht die Klimapolitik nur schleppend voran. Ein echter und ambitionierter Klimaschutz findet seit Jahren nicht statt. Jüngstes Beispiel dafür stellt der Kompromiss der Kohlekommission dar. Gerade aus diesem Grund gilt es, nicht länger allein über die Untätigkeit der politischen VertreterInnen zu schimpfen, sondern auch selbst aktiv zu werden und Druck von unten aufzubauen. Die Mittel der direkten Demokratie geben jeder Bürgerin und jedem Bürger die Möglichkeit, den Kohleausstieg, die Verkehrswende und den Ausbau der Erneuerbaren Energien ganz konkret in der eigenen Stadt oder der eigenen Gemeinde voranzubringen. Denn die Kommunalpolitik muss den Willen, den BürgerInnen auf diesen Weg kundtun, auch umsetzen. Das Ergebnis eines Bürgerentscheids besitzt die Verbindlichkeit eines Gemeinde- oder Stadtratsbeschlusses, durch Volksbegehren können auf Landesebene Gesetzesentwürfe zur Abstimmung gebracht werden.

Stell dir vor, das Kohlekraftwerk in deiner Stadt wird abgeschaltet - du ein Bürgerbegehren gestartet hast ...

Ein Kohlekraftwerk abschalten oder die Fahrrad-Infrastruktur ausbauen, die Strom- und Fernwärmenetze zurück in öffentliche Hand bringen und die Erneuerbaren Energien vorwärtsbringen? Durch Bürgerbegehren bzw. Volksbegehren kann das erreicht werden. Wie das gehen kann und was man dabei alles beachten muss, haben die Vereine Umweltinstitut München, BürgerBegehren Klimaschutz und Mehr Demokratie in dem neu erschienenen Handbuch 'Klimawende von unten' und auf der Website www.klimawende.org zusammengetragen.

Die 3 Vereine haben bereits erfolgreich Bürger- und Volksbegehren initiiert und viele Initiativen dazu beraten. Sie setzen sich dafür ein, dass mehr und mehr Initiativen diesen Hebel nutzen und eine Klimawende von unten starten.

Ausgangspunkt in dem Handbuch sind Fallbeispiele erfolgreicher Bürger- und Volksbegehren in verschiedenen deutschen Städten und Kommunen. Anhand dieser zeigt sich: Klimaschutz ist machbar. So ist es bereits in Städten wie München, Bamberg, Hamburg und Berlin geschehen.

München: Raus aus der Steinkohle!

In München steht das Heizkraftwerk Nord, dessen Block 2 mit Steinkohle befeuert wird. Es gehört den Stadtwerken München, die sich gern als Vorreiter bei der Energiewende präsentieren, aber deren produzierte Energie noch zu 80 Prozent fossilen Ursprungs ist. So erzeugt das Heizkraftwerk mehr CO2 im Jahr als der gesamte Münchner Straßenverkehr. Die Stadtwerke sind Eigentum der Stadt München und gehören somit den BürgerInnen der Stadt.

Aus diesem Grund initiierte das Bündnis 'Raus aus der Steinkohle' 2017 ein Bürgerbegehren und fragte die MünchnerInnen, ob das Kraftwerk bis 2022 vom Netz gehen soll. Auch aus dem Umland kam Unterstützung, denn die Gemeinde Unterföhring kündigte den Nutzungsvertrag mit den Stadtwerken München und setzt nun auf Geothermie. Die Kampagne war erfolgreich: Über 60 Prozent der Abstimmenden wählte für den Ausstieg aus der Steinkohle in München.

Die Bamberger Fahrradrebellion

Nach Vorbild des 'Volksentscheid Fahrrad' in Berlin startete 2017 der 'Radentscheid Bamberg'. Ein Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Fahrradinfrastruktur wurde aufgestellt, der u. a. fahrradgerechte, sichere Schulwegrouten, 5000 Fahrradparkplätze bis 2025, Radschnellwege für den Pendelverkehr und die "grüne Welle" für den Umweltverbund forderte. Mit einem breiten ehrenamtlichen Engagement und Unterstützung von ADFC und Mehr Demokratie wurden die notwendigen Unterschriften für das Bürgerbegehren gesammelt. Der Stadtrat beschloss nach einigem Hin und Her die 7 zulässigen Ziele des Bürgerbegehrens und verabschiedete ein Maßnahmenpaket, das einen Kompromiss darstellte.

Neue Energie für Berlin

Ende 2014 liefen die Verträge für den Betrieb der Stromnetze in Berlin aus. Diese lagen seit den 1990er Jahren in den Händen des Energieriesens Vattenfall, der als Netzbetreiber die Energiewende blockierte. Das Bündnis 'Berliner Energietisch' sah die auslaufenden Verträge als eine Gelegenheit, die Stromnetze zurück in öffentliche Hand zu bringen, und startete dazu ein Volksbegehren. Außerdem forderte das Bündnis die Gründung eines Berliner Stadtwerks für eine demokratische, ökologische und soziale Energieerzeugung.

Obwohl der Volksentscheid in der 2. Stufe knapp am Quorum scheiterte, hatte die überwältigende Mehrheit von 83 Prozent mit "Ja" gestimmt. Schlussendlich konnte der Berliner Energietisch mit seiner Kampagne dennoch viel erreichen: Die Berliner Stadtwerke bieten heute 100 Prozent Ökostrom an und das Land Berlin hat als erstes Bundesland den Kohleaussteig bis 2030 gesetzlich festgeschrieben.

Hamburg: Tschüss Kohle

Die Volksinitiative 'Tschüss Kohle' fordert für den Stadtstaat Hamburg den Kohleausstieg bis 2030. Schon ab 2026 soll die Fernwärmeversorgung der Stadt kohlefrei werden. Doch momentan streiten sich Vattenfall und die Stadt noch um den Rückkauf des Fernwärmenetzes.

Die Aktiven von 'Tschüss Kohle' haben sich aber auf beide Szenarien, mit denen der Streit enden könnte, vorbereitet und einen Gesetzentwurf erarbeitet, den sie bei Bedarf mit einem Volksentscheid durchbringen wollen. Wenn das Fernwärmenetz zurück in die öffentliche Hand kommt, soll ab 2026 keine Kohlewärme mehr durchfließen. Wenn Vattenfall seinen Anteil am Fernwärmenetz behält, soll das Klimaschutzgesetz der Stadt geändert werden. Damit wäre die Stadt verpflichtet, ihren Anteil am Netz so zu nutzen, dass der Anschluss von Kohlekraftwerken an das Netz unterbunden wird. Dies betrifft den konkreten Fall, dass Vattenfall sein Kohlekraftwerk Moorburg an das Fernwärmenetz anschließen will.

Außerdem würde das Wegerecht so geändert werden, dass künftig keine öffentlichen Flächen für den Bau von Wärmeleitungen zur Verfügung gestellt werden, "wenn in diese Leitungen Wärme aus Kohleverbrennung eingespeist werden soll". Vattenfall könnte es also noch schwer haben.

Den Kohlekraftwerken den Stecker ziehen. Aber wie?

Erfolge wie diese lassen sich in vielen Gemeinden und Städten wiederholen. Wichtig ist dabei zu wissen, an welcher Stelle man den richtigen Hebel der direkten Demokratie ansetzen kann.

Um lokale Kohlekraftwerke mithilfe von Bürgerbegehren abzuschalten, ist es zunächst notwendig, in Erfahrung zu bringen, ob die Stadt am Kohlekraftwerk beteiligt oder sogar vollumfänglich Eigentümer ist. Wenn ein mehrheitlich kommunaler Energieversorger ein Kohlekraftwerk betreibt, kann der Stadtrat mit einem Bürgerbegehren verpflichtet werden, seinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik für den Kohleausstieg zu nutzen. In den Städten Kaiserslautern, Flensburg, Frankfurt, Köln, Hannover und Kassel ist genau dies der Fall.

Wenn die Stadt nur minderheitlich am Kohlekraftwerk beteiligt ist, kann sie per Bürgerbegehren aufgefordert werden, mit den anderen Anteilseignern in Verhandlung zu treten. Beispiele hier sind die Städte Offenbach, Mannheim, Chemnitz oder Schweinfurt. Häufig sind die anderen GesellschafterInnen oder AktionärInnen selbst kommunal und daher für den Willen der Öffentlichkeit potenziell aufgeschlossen.

Weitere Einflussmöglichkeiten durch Bürgerbegehren gibt es bei kommunalen Fernwärmenetzen. Wenn Städte oder Gemeinden die Wärmenetze besitzen, können sie mithilfe von Bürgerbegehren dazu gebracht werden, den Absatz von Kohle zu blockieren. Die Leitungen werden so frei für erneuerbare Energien. Zugleich wird das wirtschaftliche Fundament der Kohlekraftwerke angekratzt. Mit einer Internetrecherche oder einer einfachen Anfrage bei Stadtwerken oder lokalen PolitikerInnen lässt sich einfach herausfinden, ob die Wärmenetze im Besitz der Kommune sind und ob Kohlewärme durch sie geleitet wird.

Die angeführten Beispiele zeigen - jede und jeder kann selbst aktiv werden. Das Handbuch richtet sich an BürgerInnen, die in ihrer Stadt oder Gemeinde klimapolitisch etwas erreichen wollen. Genauso ist es für bestehende Initiativen gedacht, die bereits zu Klimaschutz in ihrer Kommune arbeiten und einen weiteren Hebel nutzen möchten. Das Handbuch kann kostenlos bestellt werden; darüber hinaus bieten die 3 Vereine Unterstützung und Beratung beim Start und der Begleitung einer Kampagne an. Auf der Webseite www.klimawende.org gibt es außerdem für Aktive die Möglichkeit, auf einer Karte (Bürgerbegehrens-)Kampagnen in ihrer Nähe zu finden und sich mit anderen Interessierten zu vernetzen. Wer selbst eine Idee für ein Bürgerbegehren oder eine Kampagne zur lokalen Klimapolitik hat, kann dieses auf der Karte eintragen und weitere MitstreiterInnen finden. Oft reicht schon eine Handvoll Menschen, um den Stein ins Rollen zu bringen.


Autorin Greta Pallaver ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei BürgerBegehren Klimaschutz e. V.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2019, Seite 36 - 37
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2019

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