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WASSER/217: Europäische NGOs und das Wasser-SDG (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

Mehr Verbindlichkeit durch Gemeinsamkeit!
Europäische NGOs und das Wasser-SDG

von Ingo Gentes und Michael Bender


Dass Ende 2015 die Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) zur sanitären Grundversorgung nicht erreicht wurden, wirft ein schlechtes Licht auf die UN (United Nations - Vereinte Nationen) als System. Die Diskrepanz zwischen integrierenden und ehrgeizigen Visionen und den derzeitigen politischen Strukturen, die zu deren Umsetzung beitragen bzw. diese garantieren sollen, ist augenscheinlich. Borda e. V. lud nun gemeinsam mit der Woman for Water Partnership europäische zivilgesellschaftliche Organisationen (NGOs) für einen Tag nach Bremen ein, um über 'Governance' und eine gemeinsame Perspektive hinsichtlich des SDG 6, des Ziels für nachhaltige Entwicklung mit dem Thema Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten, zu debattieren.


Die Verankerung eines eigenständigen Wasserziels und die Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser und sanitäre Grundversorgung in den Sustainable Development Goals (SDG, Ziele nachhaltiger Entwicklung) der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung kann von der internationalen, zivilgesellschaftlichen Wassergemeinschaft als klarer Erfolg verbucht werden. Die Unterziele des Wasser-SDG 6 umfassen nicht nur den Zugang zu Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung, sondern auch den Schutz der Wasserressourcen, der Ökosysteme sowie eine effiziente Wassernutzung. Damit gehen die SDG in der Sache und im Inhalt über die MDG hinaus. Die Themenblöcke Entwicklung und Umwelt sowie die Nord-Süd-Agenda werden jeweils wieder miteinander verschmolzen.

Die Umsetzung der 17 SDG wird in den nächsten 15 Jahren durch ein High-level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) verfolgt, dem zur Zeit 12 Mitgliedsstaaten angehören. Während bei vielen SDG über die verschiedenen einschlägigen UN-Organisationen wie die WHO (Gesundheit) oder die FAO (Ernährung) deren Wirksamkeit überwacht und gesteuert werden kann, fehlt jedoch eine entsprechende Institution für den Wasserbereich. Mit dem Auslaufen der MDG Ende 2015 endete auch das Mandat einiger damit verbundener Institutionen, wie dem UN Secretary General's Board on Water and Sanitation (UNSGAB). UN-Water versorgt zwar die verschiedenen UN-Institutionen über ein beim Department of Social and Economic Affairs angedocktes Wasser-Sekretariat, hat aber selbst nach der Wasserdekade (2005 - 2015) kein Mandat, um mit den Mitgliedsstaaten direkt zu verhandeln. Neben der Stärkung dieses Sekretariats zur laufenden Überwachung der SDG-Wasserindikatoren wäre die Gründung eines UN Intergovernmental Committee on Water and Sanitation (UNCWS) als feste Kommission des Economic and Social Council anzuraten. Eine solche Plattform wäre eher legitimiert, stünde sie doch auf dem verbindlichen Mandat einer UN-Resolution. Das High Level Political Forum (HLPF) und somit SDG 6 fänden so eine logistische Einbettung, ein reguläres Monitoring wäre gegeben. Fortschritte für die mit dem Wasserbereich liierten Entwicklungsziele könnten regelmäßiger als bisher kommentiert werden.


Die EU-Wasserinitiative und Wasserrahmenrechtlinie: Quo vadis?

Für den gesamteuropäischen Bereich, inklusive einiger Länder Zentralasiens, bildet die auf transnationale Zusammenarbeit ausgerichtete Wasserkonvention der United Nations Economic Commission on Europe (UNECE) eine geeignete Plattform zur Begleitung des SDG 6. Unter dem einschlägigen Protokoll zu Wasser und Gesundheit von 1999 (Protocol on Water and Health) verpflichten sich die Länder, Ziele zur Trinkwasserversorgung, Sanitärversorgung und Umwelt aufzustellen und Fortschritte zu dokumentieren und regelmäßig zu informieren. Gleichzeitig ist eine umfassende Miteinbeziehung der Zivilgesellschaft vorgesehen.[1]

Mit der Wasserrahmenrichtlinie verfügt die EU über den weltweit bisher fortschrittlichsten gesetzlichen Umsetzungsrahmen zum integrierten Wassermanagement. So ist das SDG-Unterziel 6.5 - integriertes Wassermanagement auf allen Niveaus, unter anderem durch eine angemessene grenzüberschreitende Zusammenarbeit - bereits gesetzlich verankert. Doch der Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung ist nicht in allen EU-Regionen selbstverständlich. Insbesondere in Ländern wie Rumänien und Bulgarien besteht dringender Handlungsbedarf.

Weitere SDG 6-Unterziele werden innerhalb der EU durch andere einschlägige Richtlinien - etwa zum Hochwasserrisikomanagement, prioritären Stoffen, Grundwasser oder die kommunale Abwasserrichtlinie - in weiten Teilen abgedeckt. Die Strategie für NGOs kann hier darin liegen, eine an die Common Implementation Strategy angedockte Diskussionsplattform einzufordern. Hier lassen sich nicht nur die SDG-Monitoringprozesse mit dem Berichtswesen der Mitgliedsstaaten mit den einschlägigen EU-Wasserrichtlinien abgleichen, sondern auch eventuell bestehende Lücken in der europäischen Gesetzgebung nach dem Entwurf im Wasserbereich identifizieren.[2]

Doch auch die EU ist noch weit davon entfernt, den in der EU-Strategie (2011 - 2020)[3] zu Wasser und Biodiversität und im Umweltaktionsprogramm verankerten Ansatz systematisch in andere Politikbereiche wie die Agrarpolitik zu integrieren. Im Gegenteil. Unter dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs-Mantra, der Brexit-Debatte und TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership - Transatlantisches Freihandelsabkommen) steht bei der Junckerkommission die ökologische und soziale Nachhaltigkeit hinten an. Gleichzeitig stehen wichtige EU-Politikinstrumente, wie die EU-Wasserinitiative und die damit verbundene Finanzierungsquelle, die EU-ACP Water Facility, vor dem definitiven Aus.

Die anwesenden VertreterInnen der NGOs kamen in Bremen überein, eigene Ansätze zu teilen und Kräfte zu bündeln. Es ging darum, Zeichen zu setzen: Wo sind die Brennpunkte, wann und wo sind die nächsten wichtigen Termine, wie können wir uns darauf am besten vorbereiten, rechtzeitig gemeinsame Positionen abstimmen und in die laufende Diskussion einbringen. Für die Umsetzung in der EU müssen dabei dringend die Umweltverbände des Europäischen Umweltbüros (EEB), dem Dachverband europäischer Umweltorganisationen, in die Abstimmung einbezogen werden.

Die HLPF wird die zentrale UNPlattform für die Begleitung und Überprüfung der 2030-Agenda sein. Das HLPF soll die Länder anspornen, eine kohärente Politik und Umsetzung der Ziele innerhalb und untereinander zu fahren.[4]


Und Deutschland?

Mit der vollständigen Umsetzung der kommunalen Abwasserrichtlinie - Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung - befindet sich das Land im internationalen Vergleich auf einem sehr hohen Niveau. Dennoch sind weitere Anstrengungen nötig, um die Nährstoffreduktionsziele für die Gewässer zu erreichen. Dafür müssen weniger die SDG bemüht als die Umsetzung der Nitratrichtlinie durch eine stringente Umsetzung mittels der Düngeverordnung sowie der prioritären Stoffe-Richtlinie mittels der Oberflächengewässerverordnung eingefordert werden. Dazu braucht es mehr Verbindlichkeit der rechtlichen Vorgaben, vor allem gegenüber der wachsenden Agroindustrie.

Das World Economic Forum (WEF) hat 2015 die Wasserkrise als Top der globalen Krise gesetzt.[5] Mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung leben schon heute in Gegenden, die ein grenzüberschreitendes Wassersenkenmanagement implizieren. Tendenz steigend. Eine verbesserte 'Governance' bedingt auch die Stärkung der lokalen Kapazitäten im Erheben von Daten und ein effektiveres Monitoring sowie Umsetzung rechtlicher Rahmenbedingen, darunter Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Auch muss die Weltgemeinschaft energischer als bisher gegen Korruption und Kollusion in der sanitären Grundwasserversorgung vorgehen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind schon heute durch Veränderungen im Wasserhaushalt spürbar. Verkennen wir die Beziehung zwischen Wasser und Klima, setzen wir unsere Zukunft aufs Spiel. Wasser ist ein verbindendes Element, kein isolierter Sektor. Nur verbindende und in sich verbindliche Institutionen können zu Lösungen im systemischen Wasserkreislauf führen. Die NGO-Gemeinschaft will dafür mit an den Voraussetzungen arbeiten.


Ingo Gentes ist internationaler Fachberater im Wassersektor. Michael Bender leitet die Bundeskontaktstelle Wasser der GRÜNEN LIGA e. V. in Berlin.


Anmerkungen:

[1] EC/WHO (1999). Protocol on Water and Health to the 1992 Convention on the Protection and Use of Transboundary Watercourses and International Lakes, London.

[2] http://ec.europa.eu/environment/water/blueprint/index_en.htm (März 2016).

[3] http://ec.europa.eu/environment/nature/biodiversity/strategy/index_en.ht (März 2016).

[4] https://sustainabledevelopment.un.org/hlpf (März 2016).

[5] http://reports.weforum.org/global-risks-2015/ (März 2016).


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 24-25
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2016

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