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WASSER/145: Interview - Das Menschenrecht auf Wasser (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
8. Jahrgang. Ausgabe 1. November 2012

Das Menschenrecht auf Wasser

Interview mit Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski, Universität Kassel



Vor zwei Jahren, am 28. Juli 2010, hat sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen ausdrücklich zum Menschenrecht auf Wasser bekannt. "... Recognizes the right to safe and clean drinking water and sanitation as a human right that is essential for the full enjoyment of life and all human rights", heißt es in der UN-Resolution. Das Recht auf sauberes Trinkwasser und auf eine sanitäre Grundversorgung wird darin als ein zentrales Menschenrecht aufgefasst, ohne das alle anderen Menschenrechte nicht realisiert werden können. Die Resolution fordert daher die UN-Mitgliedsstaaten auf, ärmere Länder bei der Versorgung ihrer Bevölkerungen mit Trinkwasser und Sanitäranlagen zu unterstützen. Ist diese Resolution lediglich ein Appell, oder stellt sie eine völkerrechtliche Verpflichtung dar?

Laskowski: Für sich genommen, ist diese Resolution nur "soft law". Denn die UN-Generalversammlung hat nicht die Kompetenz, eigenes Völkerrecht zu setzen. Gleichwohl ist die Bedeutung der Resolution nicht zu unterschätzen. Denn darin bekräftigen die Vereinten Nationen explizit eine Position, die sich rechtlich gesehen aus dem Völkervertragsrecht herleiten lässt, und zwar aus den Artikeln 11 und 12 des UN-Sozialpakts. In diesen Artikeln geht es um das Menschenrecht auf angemessene Ernährung und Gesundheit. Der UN-Sozialpakt wurde 1966 einstimmig von der UN-Generalversammlung unter der Bezeichnung "International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights" verabschiedet. Für seine rechtliche Interpretation ist ein UN-Ausschuss zuständig, das "Committee on Economic, Social and Cultural Rights". Dieses Gremium hat 2002 in seinem "General Comment No. 15" dargelegt und festgestellt, dass der UN-Sozialpakt ein Menschenrecht auf Wasser begründet - ein Recht, das unabdingbar ist, um ein Leben in menschlicher Würde zu führen.

Diese Interpretation des UN-Sozialpakts, in dem noch nicht explizit von einem Menschenrecht auf Wasser die Rede ist, hat sich als wegweisend erwiesen und findet weltweit immer stärkere Anerkennung. Neuere Menschenrechtsabkommen, die sich beispielsweise der Gleichbehandlung von Frauen oder dem Schutz von Kindern widmen (CEDAW und UN-Kinderrechtskonvention), enthalten explizite Regelungen, die den Zugang zu Wasser und Sanitäranlagen betreffen. Darin kommt das individuelle Recht auf Zugang zur Grundversorgung mit Wasser und Sanitärleistungen als existentielles Menschenrecht klar zum Ausdruck. Die UN-Resolution von 2010 spiegelt daher eine längere konsequente Rechtsentwicklung wider, die ihren Ursprung im UN-Sozialpakt und seiner Auslegung hat.

Wißler: Was folgt aus diesem Vertragswerk für die UN-Mitgliedsstaaten? Sind deren nationale Regierungen dazu verpflichtet, bestimmte Maßnahmen im Bereich der Trinkwasser- und Sanitärversorgung zu ergreifen?

Laskowski: Da gibt es unterschiedliche Lesarten. Allmählich setzt sich aber international die Auffassung durch, dass die Artikel 11 und 12 des UN-Sozialpakts eine echte Verpflichtung aller Staaten begründen, die den Vertrag unterzeichnet haben. Im Kern läuft diese Verpflichtung darauf hinaus, dass jeder Staat dafür sorgen muss, dass alle Menschen in seinem Hoheitsgebiet 20 Liter Trinkwasser täglich zur Verfügung haben. Dies ist das absolute Minimum, das jeder Mensch benötigt, um seine Grundbedürfnisse in Bezug auf Trinkwasser und sanitäre Versorgung zu decken. Die Weltgesundheitsorganisation hat diesen täglichen Mindestbedarf wissenschaftlich ermittelt und in ihren Richtlinien festgelegt.

Wißler: Werfen wir einen Blick auf unsere eigene Verfassung. Inwieweit enthält das Grundgesetz Ansätze für ein Menschenrecht auf Wasser?

Laskowski: Hier kann man zunächst einmal auf Artikel 2 Abs. 2 verweisen, wonach jeder Mensch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat; aber auch auf den Artikel 1 Abs.1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Das Recht auf Leben ist ein zentraler Bestandteil des ungeschriebenen, aber zwingend einzuhaltenden Völkerrechts, des "ius cogens". Wenn man dies beachtet, kann man auch aus der deutschen Verfassung ein Recht auf Wasser herleiten.

Wißler: Manche Staaten, wie beispielsweise Südafrika, haben in ihre nationalen Verfassungen explizit ein Recht auf Wasser eingebaut. Würden Sie es begrüßen, wenn das Recht auf Wasser als ein soziales Grundrecht auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen würde? Würden sich daraus staatliche Verpflichtungen ableiten lassen, die über die von Ihnen zitierten Grundgesetzartikel in Verbindung mit dem Völkerrecht hinausgehen?

Laskowski: Nein, das nicht. Aber dennoch halte ich die Idee, das Recht auf Wasser im Grundgesetz zu verankern, für ausgezeichnet. Denn eine solche Verfassungsbestimmung würde den Gesetzgeber und alle staatlichen Instanzen in Deutschland ständig dazu ermahnen, sich nachhaltig mit der Herausforderung einer menschenwürdigen Trinkwasserversorgung zu befassen. Die Kernverpflichtung, die sich aus dem UN-Sozialpakt ergibt, hat ja mehrere Rechtsaspekte: Zunächst einmal geht es um den Schutz natürlicher Ressourcen und um nachhaltiges Wassermanagement. Ohne diese ökologischen Voraussetzungen könnte der Staat überhaupt nicht gewährleisten, dass es in seinem Hoheitsgebiet eine funktionierende Infrastruktur gibt, die Zugang zu sauberem Trinkwasser bietet. Die staatlichen Behörden sollten also angesichts des Klimawandels und seiner Folgen rechtzeitig darüber nachdenken, wie die Trinkwasserversorgung bei künftig zu erwartenden Trockenperioden gesichert werden kann.

Darüber hinaus sollten der Gesetzgeber und die staatlichen Behörden in Deutschland viel stärker den menschenrechtlichen Aspekt der Wasserversorgung beachten. Bisher ist es für uns selbstverständlich, dass die Trinkwasserlieferungen und die Abwassersysteme funktionieren. Aber es gibt in Deutschland eine wachsende Armut, und das Sozialsystem hat sich - nicht zuletzt infolge der Hartz-IV-Gesetzgebung - massiv geändert. Es kommt mittlerweile auch in Deutschland vor, dass Familien von der Wasserversorgung abgeschnitten werden, weil sie ihre Wasserrechnungen nicht begleichen können. In der Regel wehren sich die Betroffenen nicht gegen solche "Cut-offs". Aber schon vor einigen Jahren, im April 2007, hat das Oberverwaltungsgericht Bremen ein wichtiges Urteil (Az.: S 2 B 157/07) gefällt: Eine Familie mit fünf minderjährigen Kindern konnte ihre Wasserrechnungen nicht bezahlen, weil der staatliche Träger der Grundsicherung (§ 22 Sozialgesetzbuch II) die Kostenübernahme verweigerte. Daher kündigte das regionale Versorgungsunternehmen an, die Wasserlieferung einzustellen. Das im Eilverfahren angerufene Gericht entschied, dass die Rechnung umgehend zu begleichen war, um akute Gesundheitsgefahren vor allem für die Kinder infolge einer mangelnden Wassergrundversorgung zu verhindern. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, welche Konsequenzen die in der Verfassung garantierten Grundrechte im konkreten Einzelfall haben können. Der Staat steht in der Verantwortung dafür, dass minderjährige Kinder genügend Wasser zum Trinken und für die sanitäre Versorgung bekommen.

Wißler: Sollte der Staat Einfluss auf die Wasserpreise nehmen, um zu gewährleisten, dass Wasser für untere Einkommensgruppen bezahlbar bleibt?

Laskowski: Ich denke, wir sollten in der Tat über die Einführung von Sozialtarifen nachdenken. Die Trinkwasserversorgung gehört in den Bereich der Daseinsvorsorge, die der Staat durch seine Sozialgesetzgebung aktiv unterstützen muss - genauso wie die Energieversorgung. Aufgrund der Armutsentwicklung gibt es in Deutschland bereits Familien, die sich keine ausreichende Heizung mehr leisten können. Der Staat darf den Zugang zu Wasser, Energie und Wohnraum, ebenso wie zu den Bildungseinrichtungen, nicht völlig dem freien Wettbewerb privater Anbieter überlassen.

Wißler: Plädieren Sie dafür, dass ausschließlich der Staat für die Wasserversorgung zuständig sein sollte, oder kann eine gerechte Wasserversorgung auch bei einem Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern gewährleistet sein? Ein staatliches Monopol ist ja noch keine Garantie für Verteilungsgerechtigkeit ...

Laskowski: Das ist richtig. Grundsätzlich ist zunächst einmal entscheidend, dass der Staat nicht wie ein privatwirtschaftliches Großunternehmen agieren darf, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Er muss sicherstellen, dass die Menschen auf seinem Hoheitsgebiet - also nicht allein die eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger - zu gleichen Anteilen von Leistungen profitieren, die von existenzieller Bedeutung sind. Das bedeutet nicht, dass die Wasserversorgung ausschließlich in der Hand staatlicher Betriebe sein sollte. Der Staat hat allerdings sicherzustellen, dass private Wasserversorgungsbetriebe ihre Aufgaben so erfüllen, wie er selbst sie erfüllen müsste. Denn Wasser ist kein Gut, über dessen Verteilung allein der Markt entscheiden darf. Wasser ist eine öffentliche Ressource, die der Allgemeinheit gehört. Sie muss der Allgemeinheit so zur Verfügung gestellt werden, dass niemand von der Versorgung ausgeschlossen wird. Das heißt auch: Private Unternehmen dürfen die Preise nicht beliebig erhöhen; es sollte eine Obergrenze geben. Diese kann der Staat gesetzlich regeln.

Wißler: Sollte der Staat nicht aber zugleich eine Subventions- und Preispolitik vermeiden, die keine Anreize zum sparsamen Umgang mit Trinkwasser enthält und Verschwendung fördert?

Laskowski: Ja, an diesem Punkt kommt wieder der ökologische Aspekt des Rechts auf Wasser zum Tragen. Der Staat muss die verfügbaren Wasserressourcen schützen und vor Übernutzung bewahren. Diese Pflicht bezieht sich auf die Qualität der Ressourcen, die nicht durch Abwässer in verantwortungsloser Weise verunreinigt werden dürfen; sie bezieht sich aber auch auf die Quantität des verfügbaren Wassers. Dem Recht der Bevölkerung auf ausreichende Mengen sauberen Wassers entspricht auf staatlicher Seite die Pflicht zu einem ökologisch-nachhaltigen Wassermanagement. In Deutschland hat der Bundestag im Jahr 2009 das Wasserhaushaltsgesetz mit dem Ziel erneuert, den Nachhaltigkeitsgrundsatz zu stärken. Auf europäischer Ebene enthält die europäische Wasserrahmenrichtlinie grundlegende Vorschriften zum Schutz der Wasserressourcen.

Wißler: Gibt es ein europäisches Land, in dem die Implementierung des Menschenrechts auf Wasser besonders weit fortgeschritten ist?

Laskowski: Bei wissenschaftlichen Untersuchungen ist mir die Gesetzgebung in Belgien positiv aufgefallen, und zwar in der Region Flandern. Hier gibt es staatliche Regelungen, die darauf hinauslaufen, dass jeder Einwohnerin und jedem Einwohner eine bestimmte Menge Trinkwasser unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden muss. Diese Menge überschreitet sogar die täglichen 20 Liter, die von der Weltgesundheitsorganisation als Mindestbedarf definiert wurden. So ist in Flandern gewährleistet, dass Privathaushalte nicht von der Wasserversorgung abgehängt werden dürfen - selbst wenn Wasserrechnungen, aus welchen Gründen auch immer, nicht bezahlt wurden.

"Wasser ist eine öffentliche Ressource, die der Allgemeinheit gehört. Sie muss der Allgemeinheit so zur Verfügung gestellt werden, dass niemand von der Versorgung ausgeschlossen wird."

Wißler: Die eingangs zitierte Resolution der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2010 fordert die UN-Mitgliedsstaaten dazu auf, in ihren Beziehungen untereinander dafür zu sorgen, dass alle Menschen einen Zugang zu sauberem und bezahlbarem Trinkwasser haben. Wirtschaftlich starke Länder sollen die Entwicklungsländer beim Aufbau einer entsprechenden Wasserversorgung unterstützen. Was kann die Wasserwirtschaft in Deutschland in diesem Zusammenhang leisten?

Laskowski: In Hinblick auf die internationale Entwicklungszusammenarbeit ist es ein Vorteil, dass die deutsche Wasserwirtschaft überwiegend öffentlich-rechtlich organisiert ist. Deshalb kann und sollte sie im Rahmen von europäischen und internationalen "Public-Public-Partnerships" daran mitwirken, dass in Afrika, Asien und Südamerika selbstverwaltete, demokratisch verfasste Systeme der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung entstehen. Die Weitergabe entsprechender Konzepte, aber natürlich auch der Austausch von Technologie und Know-How, sind dabei wichtige Erfolgsfaktoren.

Wißler: Seit einiger Zeit sind in der internationalen Politik Tendenzen erkennbar, die auf eine stärkere Betonung nationaler Interessen, ja sogar auf eine gewisse Renationalisierung hinauslaufen. Sind Sie dennoch optimistisch, dass es zu einer Vertiefung und Ausweitung der multilateralen Zusammenarbeit kommt, um das Menschenrecht auf Wasser und auf eine sanitäre Grundversorgung umzusetzen?

Laskowski: Ja; denn dies liegt schon im eigenen Interesse der Industrieländer. Wenn es nicht gelingt, die Wasser- und Sanitärversorgung weltweit voranzubringen, und wenn sich die Situation infolge des Klimawandels noch verschärft, wird die Zahl der Umweltflüchtlinge drastisch steigen. Bereits heute haben etwa 2,4 Milliarden Menschen keinen ausreichenden Zugang zu sanitären Anlagen, 1,2 Milliarden werden nicht angemessen mit Trinkwasser versorgt. Die drei UN-Weltgipfel von 1992, 2000 und 2002 haben wesentlich dazu beigetragen, dass die globale Wasserkrise und das Menschenrecht auf Wasser ins Rechtsbewusstsein der Weltgemeinschaft gerückt sind.

Ich denke, man sollte auch die moralische Ausstrahlungskraft, die von internationalen menschenrechtlichen Regelungen ausgeht, nicht unterschätzen. Die Weltgemeinschaft kann zwar nur in begrenztem Umfang Sanktionen gegen Staaten aussprechen, die sich solchen Regelungen entziehen wollen. Aber es hat sich mittlerweile gezeigt, dass internationale Abkommen und Beschlüsse schon aufgrund ihrer moralischen Komponente eine steuernde Wirkung entfalten können.


ZUR PERSON

Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski ist seit 2009 Professorin für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht, Schwerpunkt Umweltrecht, am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel. Die völker-, europa- und verfassungsrechtliche Verankerung des Menschen- und Grundrechts auf Wasser stehen im Mittelpunkt ihres Buches: "Das Menschenrecht auf Wasser - Die rechtlichen Vorgaben zur Sicherung der Grundversorgung mit Wasser und Sanitärleistungen im Rahmen einer ökologisch-nachhaltigen Wasserwirtschaftsordnung", Tübingen 2010.


Das Interview führte Christian Wißler, Stabsstelle Presse, Marketing und Kommunikation der Universität Bayreuth.


VEREINTE NATIONEN

Resolution adopted by the General Assembly 64/292. The human right to water and sanitation

The General Assembly,

[...]
1. Recognizes the right to safe and clean drinking water and sanitation as a human right that is essential for the full enjoyment of life and all human rights;

2. Calls upon States and international organizations to provide financial resources, capacitybuilding and technology transfer, through international assistance and cooperation, in particular to developing countries, in order to scale up efforts to provide safe, clean, accessible and affordable drinking water and sanitation for all;
[...]


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Kambodschanisches Mädchen beim Wasserpumpen. Die UN-Kinderrechtskonvention enthält explizite Regelungen, die den Zugang zu Wasser und Sanitäranlagen betreffen.

Abb. 2: Begrüßungszeremonie auf dem UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002.

Abb. 3: Wasserzähler zeigen mit Hilfe eines eingebauten Flügelrads das Volumen der durchgeflossenen Wassermenge an. Das Prinzip wurde schon 1851 in England entwickelt.

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Quelle:
spektrum, Ausgabe 1, November 2012, S. 70 - 75
Herausgeber: Universität Bayreuth
Stabsstelle Presse, Marketing und Kommunikation
95440 Bayreuth
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2013