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WASSER/117: Eine Maya-Gemeinde in Guatemala fürchtet den Bau eines Wasserkraftwerks (ARA Magazin)


ARA Magazin 18, 2/12 - Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.

Ein Tag im Tal des Xeputul

Eine Maya-Gemeinde fürchtet den Bau eines Wasserkraftwerks



Für den 21. Dezember 2012 haben die antiken Mayas angeblich das Ende der Welt vorausgesagt. Eigentlich, sagen spirituelle Führer der heutigen Maya-Bevölkerung, die in Guatemala immer noch die Bevölkerungsmehrheit stellen, geht es nur um eine "Zeitenwende". Die allerdings steht für einige Maya wirklich an, wenn am Fluss Xeputul ein Wasserkraftwerk Wirklichkeit wird. Unser Mittelamerika-Experte Andreas Boueke hat die betroffene Gemeinde besucht.

Große, gelbe Schaufelbagger graben eine Straße durch die grüne Vegetation und den fruchtbaren Urwaldboden des guatemaltekischen Hochlandes. Wo noch vor kurzem Bäume standen, die nie von Menschenhand berührt wurden, brennt die heiße Sonne auf schattenlose Abhänge, die eine weithin zerfurchte Landschaft prägen. Über viele Kilometer schlängelt sich ein breiter Wasserkanal aus Beton bis zu einem Auffangbecken, dessen Wasser schon bald die Turbinen eines Kraftwerks antreiben soll.

"Früher war hier überall Wald", erzählt der siebzehnjährige Juan Toma. "Dann hat der Konzern die Straße gebaut. Seither werden auf großen Flächen Tausende Bäume gefällt. So wird der Wald zerstört. Sieh' mal den Hang dort drüben. Da ist eine Menge Erde abgerutscht. Der ganze Boden geht verloren. Alles geht kaputt. Früher gab es sowas nicht. Da haben die Bäume den Boden gehalten."

Juan zeigt auf eine breite Schneise, die aus der Ferne wie eine riesige Rutschbahn aussieht. Hunderte Tonnen Erde sind bis zum Boden des Tals gefallen, durch das noch vor kurzem der Fluss Xeputul floss. Heute ist das Flussbett weitgehend leer. Das Wasser aus den Bächen und Rinnsalen, die früher den Xeputul gespeist haben, landet jetzt im Kanal.

Es gibt zwar eine beruhigende Studie über die ökologischen Konsequenzen des veränderten Wasserverlaufs, aber die Menschen, die unterhalb des Kraftwerks wohnen, sind nicht überzeugt. Sie fürchten, das regelmäßige Ablassen großer Wassermengen aus dem Auffangbecken könnte zur Unterspülung ihrer Hänge führen und schließlich Erdrutsche mit katastrophalen Folgen auslösen.

Angst vor Erdrutschen

Auch Chico Lopez fürchtet, der Bau des Wasserkraftswerks könnte zu einer Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschen in Wachalal führen. Vor ein paar Jahren hat er schon einmal erlebt, wie seine Hütte und Äcker durch einen großen Erdrutsch zerstört wurden. "Mein Grundstück ist in eine Schlucht gerutscht. Dort kann ich jetzt nichts mehr anbauen. Wenn es mal ordentlich gewittert, sagt meine Familie noch immer, wir sollten uns lieber ein ebenerdiges Stück Land suchen. Aber wie soll ich das bezahlen. Wir leben in ständiger Angst. Wenn es lange regnet, denke ich immer nur: Mein Gott, lass es nicht wieder geschehen."

Seit Beginn der Bauarbeiten für das Wasserkraftwerk hat Chico Lopez noch mehr Angst. Zum einen fürchtet er die großen Schlammmassen, die sich oberhalb der Gemeinde durch den Bau der Straße lösen könnten. Zum anderen glaubt er, dass durch das Ablassen des Wassers aus dem Auffangbecken unterhalb von Wachalal Erdrutsche ausgelöst werden könnten, die die Hütten und Parzellen mit sich reißen. Diesen Gefahren ist die Siedlung schutzlos ausgeliefert. Von den entsprechenden Behörden in der Provinzhauptstadt erwartet Chico Lopez keinerlei Unterstützung. Er weiß aus Erfahrung, dass sich dort niemand für die Sorgen einer kleinen Mayagemeinde wie Wachalal zuständig fühlt.

Besonders dann nicht, wenn diese Sorgen auf einen Konflikt mit einem kapitalstarken ausländischen Konzern wie ENEL hinauslaufen. Und schon gar nicht glaubt Chico Lopez, dass sich die Geschäftsleute für sein Schicksal interessieren: "Wenn wir eines Tage am Rand des Abgrunds stehen, schenken sie uns vielleicht ein paar Wellblechplatten. Und wenn wir in einer Schlammlawine sterben, erfahren sie nichts davon. Sie wohnen ja in der Stadt. Sie haben viel Geld, und mit diesem Projekt verdienen sie noch mehr." In der Tat hat der italienische Konzern ENEL, der das Wasserkraftwerk baut, den Bewohnern von Wachalal vor kurzem einen Stapel nagelneuer Wellblechplatten geschenkt, als Geste guter Nachbarschaft.

Während der Planungsphase des Projekts sind die betroffenen Gemeinden nie informiert worden. Erst als die Bagger mit dem Graben begannen, hat ENEL eine Informationsveranstaltung durchgeführt. In einem PowerPoint-Vortrag auf Englisch, der für die betroffenen Mayas ins Spanische übersetzt wurde, hat ein italienischer Repräsentant der Geschäftsführung die saubere Energieproduktion der Wasserkraft gepriesen. Danach flog der Mann mit dem Hubschrauber wieder Richtung Hauptstadt. Die Menschen hat er kein einziges Mal nach ihrer Meinung gefragt.

Francisco Oxlaj, ein schmächtiger Mann Ende vierzig, ist der Wortführer der betroffenen Maya-Gemeinde Wachalal. Als Kind hat er die schlimmste Zeit des guatemaltekischen Bürgerkriegs in den Wäldern der Umgebung verbracht. Damals haben Soldaten der Armee den gesellschaftlichen Status Quo verteidigt. Die Rebellen der links gerichteten Guerilla wollten Reformen durchsetzen und das fruchtbare Land der Großgrundbesitzer unter der landlosen Bevölkerung verteilen. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen, unter denen vor allem die zivile Mayabevölkerung litt.

Während des Bürgerkriegs starben in Guatemala zweihunderttausend Menschen. Francisco Oxlaj kann sich noch gut an diese Zeit erinnern: "Auch meine Familie hat gelitten. Das Militär zerstörte unsere Felder und zündete unsere Hütte an. Viele Nachbarn wurden getötet, gefoltert, entführt. Andere sind verhungert oder haben sich im Urwald verlaufen. Wieder andere haben eine Kugel abbekommen oder sind im Bombenhagel gestorben. So ging das viele Jahre lang."

Auch Candelaria Soch kann sich noch an die Zeit des Bürgerkriegs erinnern. In den achtziger Jahren wurden über eine Millionen Guatemalteken aus ihren Heimatorten vertrieben. Damals haben die meisten Erwachsenen, die heute in Wachalal leben, all ihr Hab und Gut verloren. "Es fehlt uns noch immer an allem." Jetzt kommt das Wasserkraftwerk, vordem sich alle fürchten. Schon bald wird es große Mengen Elektrizität produzieren, die in das nationale Stromnetz eingespeist werden. Aber bei den Menschen in Wachalal wird davon nichts ankommen.

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Quelle:
ARA Magazin 18, 2/12, Seite 12-14
Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2013