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WASSER/090: Brasilien - Wasserkraft-Projekt bedroht heilige Stätte der Amazonas-Ureinwohner (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012

Brasilien: 'Sieben Wasserfälle' vom Untergang bedroht - Amazonas-Ureinwohner fürchten um heilige Stätte

von Fabiola Ortiz



Rio de Janeiro, 20. August - In Brasilien droht den 'Sieben Wasserfällen' des Flusses Teles Pires, der durch die zentralbrasilianischen Bundesstaaten Mato Grosso und Pará fließt, der Untergang. Sie würden bei der Flutung eines 95 Quadratkilometer großen Stausees in den Wassermassen versinken.

Den indigenen Kayabi ist das Gebiet heilig. Sie wollen die Zerstörung verhindern. "Das ist eine heilige Stätte, der Sitz unserer Schöpferin", sagte João Kayabi, Kazike der 106-Seelen-Gemeinde Kururuzinho, im Telefongespräch mit IPS. "Unserem Schamanen zufolge ist das der Platz, an dem die Fische laichen."

Für die Kayabis ist die Landschaft der Sieben Wasserfälle eines der Gebiete, das die Menschen niemals betreten sollten. Hier befinde sich der Sitz einer Gottheit, die für das natürliche Gleichgewicht zuständig sei, sagen sie. "Wird das Gebiet geflutet, bleibt nur noch die Erinnerung", so der 52-jährige João Kayabi. "Wir wollen nicht, dass das geschieht."

Es gibt noch zwei weitere Ethnien, die die in 20 Meter Tiefe stürzenden Sieben Wasserfälle verehren: die Apiaká und Mundurukú. Für die Mundurukú ist das Gebiet die Mutter aller Fische und die Wohnstätte ihrer Vorfahren. "Sie sagen, dass das Wasserkraftprojekt den Fluss austrocknen wird", berichtet Kayabi. "Es wird uns dann an Nahrung und Fisch fehlen."


Immenser Artenreichtum

Das staatliche Energieforschungsunternehmen hat in dem Flussbereich, der als Standort für das Wasserkraftwerk vorgesehen ist, 700 Pflanzen- und mehr als 200 Fischarten ausgemacht. Der Teles Pires gilt als einer der fischreichsten Flüsse.

Auf dem Hügel, auf dem sich Kayabis Dorf befindet, leben 293 Menschen von der Jagd, vom Fischfang und dem Sammeln von Früchten. "Bisher gibt uns das Land, was wir zum Leben brauchen. Doch wissen wir, was uns die Zukunft bringt?", fragte der Kazike und Vater von sieben Kindern. "Was soll aus meiner Familie werden? Wovon soll sie leben?"

Das Wasserkraftwerk am Teles Pires hat eine Stromkapazität von 1.820 Megawatt. Derzeit versucht das Bauunternehmen mit Hilfe eines Gerichtsverfahrens das Recht zu erwirken, die Anlage fertigzustellen. Die Arbeiten sind immer wieder im Zuge juristischer Interventionen stillgelegt worden.

"Das Unterfangen kollidiert mit der Religion, den Gewohnheiten und Traditionen von insgesamt 12.000 Kayabi, Mundurukú und Apiaká", erläuterte Juliana de Paula Batista, Rechtsberaterin der indigenen Organisationen im Südwesten des Amazonasgebiets.

Anfang August hatte das Regionale Föderale Gericht der Ersten Region die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet. Doch nach Intervention der Generalstaatsanwaltschaft der Union und des Brasilianischen Instituts für Umwelt und natürliche Ressourcen (Ibama) wurde das Bauverbot am 14. August wieder aufgehoben.

"Es findet ein unglaublicher Klau von Ressourcen statt, die für das Überleben der Ureinwohner so wichtig sind", sagte Batista. Anfang des Jahres hatte die Staatsanwaltschaft versucht, die von Ibama im August 2011 erteilte Umweltlizenz rückgängig zu machen und das Projekt zu stoppen.


Genehmigungsprozess "fehlerhaft"

Der Anwältin zufolge ist der Genehmigungsprozess fehlerhaft. "Zu keinem Zeitpunkt sind die Auswirkungen des Projekts auf die Ureinwohner korrekt dargelegt worden. Der Staudamm gefährdet den Fischbestand, die heilige Stätte, die Wasserqualität, seltene und endemische Arten, die Vegetation und die Jagd", sagte sie.

Die Indigenen müssten zwar nicht umgesiedelt werden, hätten aber Angst, dass es im Fall eines Unfalls zum Bruch der Talsperre kommen könnte und sie von den Fluten mitgerissen würden, berichtete Batista. Die Kayabi leben nur 50 Kilometer von dem Wasserkraftwerk entfernt.

Zu den Unregelmäßigkeiten, die der Staatsanwaltschaft aufgefallen sind, gehört auch die fehlende Rücksprache mit den betroffenen Ethnien. Im März hatte die Staatsanwaltschaft den Stopp der Bauarbeiten verfügt. Die Betreiberfirma 'Companhia Hidrelétrica Teles Pires' erklärte jedoch in einer von der Justiz veröffentlichten Mitteilung, dass es zu den erforderlichen öffentlichen Anhörungen gekommen sei, die man auf Video aufgezeichnet habe.

Teles Pires ist Teil des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsprogramms der Regierung des ehemaligen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011). Das 1,97 Milliarden teure Projekt soll bis August 2015 fertig gestellt und in der Lage sein, 2,7 Millionen Familien mit Strom zu versorgen. Vorgesehen ist, die generierte Energie ins nationale Stromnetz einzuspeisen.

Im Amazonasgebiet gibt es offenen Widerstand gegen Dutzende Wasserkraftwerke. Am 13. August hatte das gleiche Regionale Föderale Gericht den Bau des Belo-Monte-Kraftwerks am nordbrasilianischen Fluss Xingú ausgesetzt. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.epe.gov.br/MeioAmbiente/Paginas/AAI/BaciadoRioTelesPires.aspx?CategoriaID=101
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101398

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2012