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WALD/240: Wie Wälder überleben können (WWF Magazin)


WWF Magazin, Ausgabe 3/2019
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Wie Wälder überleben können

von Susanne Winter, WWF


Die Schatzkammern des Lebens sind weiter geschrumpft. Das besagt der aktuelle Waldzustandsbericht des WWF von 2018. Ist nun die Wende in Sicht? Erstmals werden wichtige politische Weichen gestellt, um Waldlandschaften weltweit im großen Maßstab wiederherzustellen.


Wälder beherbergen etwa zwei Drittel aller bekannten Tier- und Pflanzenarten, sie regulieren das Klima, speichern unsere Süßwasservorräte und sind Lebensgrundlage für Millionen von Menschen. Umso schwerer wiegt, was der WWF in seinem jüngsten Waldzustandsbericht ermittelt hat: Zwischen 1990 und 2015 wurden fast 2,4 Millionen Quadratkilometer Naturwald vernichtet, vor allem in den tropischen Ländern. Das entspricht der sechseinhalbfachen Fläche Deutschlands. Wälder werden - oft illegal - abgeholzt oder abgebrannt, um Platz zu schaffen für Äcker, Viehweiden oder Plantagen. Mangroven werden in Shrimpzuchten umgewandelt. Dazu kommen weitere 1,85 Millionen Quadratkilometer Wald, die geschädigt sind, weil etwa zu viele alte Bäume entfernt werden oder Weidetiere die Jungpflanzen abfressen.

Durch Raubbau und Missmanagement verschwinden nicht nur Wälder, sondern verlieren ganze Waldlandschaften ihre ökologischen Funktionen - wie Wasser zu speichern oder fruchtbaren Boden zu bilden. Darunter leiden die Menschen vor Ort. Und es betrifft spätestens durch den Klimawandel die gesamte Weltbevölkerung. Daher ist die Wiederherstellung von Waldlandschaften (Forest Landscape Restoration) eine Herausforderung unserer Zeit. Mit einem Bündel von Maßnahmen soll sie gelingen: Neben dem Schutz oder der naturnahen Bewirtschaftung vorhandener Waldflächen sowie der Wiederaufforstung gehört eine nachhaltige und effiziente Landwirtschaft dazu, die weniger Ressourcen verbraucht, Erosion verhindert und die Fruchtbarkeit des Bodens aufbaut und stabilisiert.

All dieser Raubbau hat gravierende Folgen: Landschaften ohne Bäume können weder Kohlenstoff aus der Atmosphäre noch Regenwasser in ausreichender Menge speichern. Wo ein Blätterdach fehlt, gibt es keine Abkühlung in Hitzeperioden. Böden trocknen aus, erodieren allmählich und verlieren ihre Fruchtbarkeit. In diesen Landschaften verschwindet die Artenvielfalt und im schlimmsten Fall werden Wälder zu Wüsten. Die Zerstörung von Waldlandschaften beschleunigt zudem die Erderhitzung gleich doppelt. Wir verlieren natürliche Treibhausgasspeicher - und setzen zugleich die bereits gespeicherten Treibhausgase frei. Mehr als elf Prozent der von Menschen gemachten Kohlenstoffemissionen entstehen, weil Wälder mit ihren kohlenstoffspeichernden Böden geschädigt oder vernichtet werden. Deshalb ist es überlebenswichtig, dass nicht nur intakte Wälder geschützt, sondern auch einst baumreiche Landschaften mit vielfältigen Landnutzungen großflächig wiederhergestellt werden.

Wald restaurieren

Weltweit gibt es bereits mehr als 20 Millionen Quadratkilometer Waldlandschaften, die stark erodiert, übernutzt oder in ihren ökologischen Funktionen (zum Beispiel Trinkwasserversorgung, Bodenschutz) stark eingeschränkt sind - eine Fläche größer als ganz Südamerika.

Die gute Nachricht aber ist: Wir könnten die ökologischen Funktionen großer Regionen für Mensch und Natur wieder in Gang setzen, wenn wir ganze Lebensräume reaktivieren. Wenn wir möglichst heimische Bäume anpflanzen oder die natürliche Wiederbewaldung zulassen. Wenn wir zugleich die Landwirtschaft nachhaltiger und effektiver betreiben. So gewinnen wir zum Beispiel wieder fruchtbare Böden, die Wasser speichern. Und wir schaffen eine neue Heimat sowohl für wilde Tierarten als auch für Nutztiere, von deren Wohl sehr viele Menschen abhängig sind.

Um diese Herkulesaufgabe anzugeben, hat die deutsche Bundesregierung 2011 unter anderem mit Unterstützung des WWF die sogenannte Bonn Challenge gestartet. Dieser Initiative sind bisher 58 Entwicklungs- und Schwellenländer sowie Unternehmen beigetreten. Sie haben die Wiederherstellung von insgesamt 1,7 Millionen Quadratkilometer Waldlandschaften bis 2030 zugesagt. Das entspricht fast der fünffachen Fläche Deutschlands. Ein vielversprechender Anfang, aber noch lange nicht genug.

Die Bonn Challenge hat sich bis 2030 die Wiederherstellung von 3,5 Millionen Quadratkilometer Waldlandschaften vorgenommen. Dies würde einen Nutzen von 152 Milliarden Euro pro Jahr generieren - durch Wasserschutz, Erträge aus der Land- und Forstwirtschaft sowie durch die Bindung von bis zu 1,7 Gigatonnen Kohlendioxidäquivalenten jährlich. Das wäre auch ein massiver Beitrag zum Klimaschutz. Tatsächlich ist die Chance gewachsen, dass ein so großer globaler Ruck in Richtung Wiederbewaldung weltweit gelingt. Am 1. März 2019 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen, für 2021 bis 2030 das Jahrzehnt zur Wiederherstellung von Ökosystemen auszurufen. Das bedeutet neuen Schwung auch für die Bonn Challenge.

Die Verödung zu stoppen, ist in vielen degradierten Landschaften ein Wettlauf mit der Zeit. Zum Beispiel in Ostafrika: Dort werden Wälder dringend als Wasserspeicher und Wasserspender benötigt. Etwa in Kenia, wo von der ursprünglichen Waldfläche gerade einmal sieben Prozent übrig geblieben sind. Die Regierung des Landes hat sich nun bereit erklärt, 52.000 Quadratkilometer Waldlandschaften wiederherzustellen - eine Fläche größer als Niedersachsen.

Der WWF hilft und wird dabei finanziell vom Bundesumweltministerium unterstützt: Wir haben zusammen mit vielen Partnern wie Behörden und Gemeinden konkrete Projekte gestartet, um alle Landschaftsformen genau zu erfassen. Danach wird ermittelt, wie und wo die ökologische Qualität der Landschaften gezielt erhöht werden kann. An allen maßgeblichen Entscheidungen sind die Bewohner der Region beteiligt. Ziel ist es, dass zum Beispiel renaturierte Berg- oder Küstenregionen eines Tages auch die Menschen im Land wieder mit mehr sauberem Wasser versorgen - etwa in der stark anwachsenden Stadt Nairobi.

Viele Wege führen zum Ziel

Kenia ist kein Einzelfall. Bevölkerungswachstum und steigende Nachfrage nach Holz, Weide- und Ackerflächen bedrohen waldreiche Landschaften weltweit. Deshalb hilft der WWF, regional passende Lösungen für Mensch und Natur zu finden.

In der Demokratischen Republik Kongo zum Beispiel arbeiten wir daran, dass die Menschen weniger Holz aus dem Wald holen müssen. Im Umfeld des Virunga-Nationalparks hat der WWF mit mehr als 9000 Eigentümern kleiner Landflächen die Anpflanzung von Bäumen vereinbart und sie finanziell gefördert. So können sie nach wenigen Jahren ihr eigenes Brennholz ernten. Zudem unterstützen wir die Produktion effizienter Kohleöfen, sodass weniger Holz für das Kochen verwendet werden muss.

Es wurden außerdem acht Gemeindewälder mit forstlichen Vereinigungen gegründet sowie 1000 Hektar Agroforstsysteme mit Kaffee und genauso viele mit Kakao angelegt. Dabei sind, das ist das "System" dahinter, die Anbauflächen ausgeklügelt aufeinander abgestimmt - zum Beispiel so, dass die Kakaobäume dem angebauten Gemüse Schatten spenden und beide in Kombination die Bodenfruchtbarkeit erhöhen. Fast 100 Menschen wurden in der Nutzung von Geoinformationssystemen geschult, um die Berücksichtigung von Landrechten und eine Überwachung der eigenen Flächen zu ermöglichen. Mehrere Hundert Menschen wurden zudem im Waldmanagement weitergebildet.

Schützen und nützen

Im Kaukasus hingegen geht es darum, Vielfalt zu verbinden: In der teilautonomen Republik Adscharien in Georgien unterstützt der WWF die staatliche Forstverwaltung, ihre Waldflächen in Zukunft nach Grundsätzen des naturnahen Waldbaus nachhaltig zu bewirtschaften. Sie gehören zu den kolchischen Regenwäldern, einem Hotspot der Artenvielfalt, und bieten Schutz vor Erosion und Lawinen. Zugleich sind sie ein wichtiger Brennholzlieferant für die teils sehr arme Bergbevölkerung. Zu den ersten Maßnahmen gehört eine genaue Bestandsaufnahme der Waldflächen und ihrer Artenzusammensetzung. Finanziert wurden sie vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

In Tansania hilft der WWF, Gemeindewälder wieder aufzubauen: Angelegt wurden sie im artenreichen Küstenregenwald von Namatimbili, um dort seltene Baumarten großzuziehen, die einst als Heilpflanzen von großem Nutzen waren. Deren Produkte sollen nun für Arznei- und Körperpflegemittel eingesetzt werden. Durch diese nachhaltige Waldwirtschaft verbessert sich die Lebensgrundlage vieler lokaler Familien. Zugleich werden ursprüngliche Wälder geschont.

Treibhausgase binden

Auch die Wälder in Asien stehen unter enormem Druck. Besonders gravierende Folgen hat die Vernichtung von Torfmoorwäldern auf Borneo. Denn sie binden etwa 20- bis 40-mal so viel Kohlenstoff wie eine gleich große Fläche Regenwald ohne torfigen Untergrund. Entsprechend viele Treibhausgase entstehen, wenn sie zerstört werden. Durch Entwässerung können die geschädigten Wälder zudem leicht in Brand geraten. Im Süden Borneos wurden auf diese Weise viele ehemalige Feuchtwälder vernichtet. Dadurch wurden Kohlenstoffmengen freigesetzt, die das Doppelte der gesamten Jahresemission Deutschlands ausmachen.

Mit Unterstützung der Brauerei Krombacher hat der WWF in Sebangau auf Borneo mit Gemeinden vor Ort großflächig bereits mehr als 1400 Dämme gebaut, um Entwässerungskanäle zu schließen. So soll der noch verbliebene Moorboden allmählich wiedervernässt werden. Wo der Wald nicht natürlich nachwuchs, pflanzt der WWF Bäume an, bislang auf 1000 Hektar.

Wälder weltweit sind auch durch illegalen Holzeinschlag bedroht. Dessen Nährboden ist einerseits Armut und andererseits die Korruption - auch in Europa. Deshalb führt der WWF mit Interpol seit März dieses Jahres ein Forest-Crime-Projekt in Osteuropa durch. Dabei werden Polizei, Staatsanwälte und Richter nicht nur in der Antikorruptionsarbeit unterstützt, sondern auch in forensischen Methoden geschult, um illegales Holz aufspüren zu können.

Waldaufbau in großem Stil

Der WWF zeigt in zahlreichen Projekten, wie eine nachhaltige Nutzung von Waldlandschaften praktisch funktionieren kann, wenn die betroffene Bevölkerung von Anfang an miteinbezogen wird. Für die Wiederherstellung ganzer Waldlandschaften indes brauchen wir weitere starke Verbündete.

Mehr als ein Drittel der gesamten Waldfläche weltweit haben wir bereits verloren. Die Folgen bekommen immer mehr Menschen vor allem in tropischen Ländern zu spüren. Deren Regierungen müssen sich endlich der Tatsache stellen, dass jede weitere Zerstörung ihrer Wälder des schnellen Geldes wegen ihr Naturvermögen langfristig vernichtet. Dass es also ganz konkret um die Zukunft ihrer eigenen Bevölkerung geht. Zumal gerade die tropischen Länder die Hauptleidtragenden des Klimawandels sind. Darauf macht der WWF in allen betroffenen Ländern auf politischer Ebene immer wieder aufmerksam. Und ist vorrangig in den Industrieländern aktiv, um die Hauptursachen des Klimawandels zu bekämpfen.

Deshalb ist die Bonn Challenge eine ganz wichtige Initiative, um Länder wie Kenia zu ermutigen, seine Naturgüter nicht mehr zu verschleudern und zugleich mit dem Wiederaufbau von Waldlandschaften einen wichtigen Beitrag für den weltweiten Klimaschutz zu leisten. Die Argumente der Bonn Challenge sind absolut überzeugend: Der bis heute zugesagte Waldaufbau der 58 Staaten wird nach Schätzungen der Initiative einen Nutzen von rund 75 Milliarden Euro pro Jahr erbringen - durch Wasserschutz, Erträge aus nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft sowie die Bindung von Kohlenstoff. Zugleich werden dabei auch Einkommensmöglichkeiten für die ländliche Bevölkerung geschaffen - zum Beispiel über den Verkauf von Holz und anderen Waldprodukten. Ökologisch intakte Waldlandschaften sind Existenzvorsorge im besten Sinne. Deshalb werben der WWF und seine Verbündeten bei allen Waldstaaten, bei der Bonn Challenge mitzumachen und ihre Waldlandschaften zu retten. Deren Wiederherstellung ist ein großer Schritt, um die Zukunft unserer Erde zu sichern. Denn die Wiederherstellung schützt nicht nur Umwelt und Klima, sie hilft auch, Hunger und Armut zu bekämpfen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Refugien retten
Gerade die Trockenwald-Zone der afrikanischen Savannen könnten zum ökologischen Rückgrat der neuen Waldlandschaften werden.

Löcher stopfen
In der Amazonas-Region wird der Regenwald vielerorts zerstückelt. In der Region Pie de Monte in Kolumbien hilft der WWF Bauern beim Pflanzen von Nutzbäumen und bei der Einrichtung nachhaltiger Agrarforstsysteme. So verringert sich die Erosionsgefahr und die Bodenqualität wird besser.

Leben und leben lassen
Der Virunga-Nationalpark im Kongobecken ist die Heimat der seltenen Berggorillas. Damit die Menschen im Umfeld weniger Brennholz aus dem Wald holen müssen, hilft ihnen der WWF, Bäume anzupflanzen und spezielle Öfen zu produzieren, mit denen holzsparend gekocht werden kann.

Hoffnungsschimmer statt Endzeitstimmung
Wenn Torfmoorwälder verbrannt werden, entstehen besonders viele Treibhausgase. Dadurch dass der WWF auf Borneo viele Dämme gebaut hat, konnten große Teile des Nationalparks Sebangau wieder unter Wasser gesetzt und renaturiert werden.

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Quelle:
WWF Magazin 3/2019, Seite 10 - 17
Herausgeber:
WWF Deutschland
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Tel.: 030/311 777 700
E-Mail: info@wwf.de
Internet: www.wwf.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2019

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