Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


SOZIALES/090: Globaler Aktionsaufruf zum Schutz von Landrechten gestartet (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

Landrechte - Jetzt!
Globaler Aktionsaufruf zum Schutz von Landrechten gestartet

von Marion Aberle


Kein Land, kein Leben. Für Milliarden Menschen ist Land die Basis ihrer Existenz. Doch diese ist zunehmend bedroht. Schwache Landrechte sind ein Grund dafür. Ein weltweiter Aktionsaufruf will eine Trendwende einleiten.


Für die meisten in unserer zunehmend urbanisierten Welt ist es schwer zu ermessen, was Land für 2,5 Milliarden Menschen immer noch bedeutet. Hierzulande ist ein Schrebergarten eine Freizeitbeschäftigung, eine willkommene Abwechslung in der Mühle von Arbeitsalltag und Konsumdruck. In dieser anderen Welt ist Feld- und Gartenarbeit die Existenzgrundlage - kein Land, kein Leben. Diese Existenzgrundlage ist zunehmend bedroht. Fruchtbares Ackerland, Weidegründe und Wälder schrumpfen durch Bodendegradierung und Klimawandel, gleichzeitig breiten sich Agrar- und Minenkonzerne immer weiter aus. Die meisten ländlichen Gemeinden und indigenen Völker sind diesem Druck weitgehend schutzlos ausgesetzt.

In den vergangenen Jahren hat das Thema Landrechte deshalb wieder mehr Aufmerksamkeit unter EntwicklungsexpertInnen erfahren. Um diesen Trend weiter zu stützen, haben rund 300 Organisationen weltweit am 2. März 2016 einen globalen Aktionsaufrufruf zum Schutz von Landrechten gestartet; in Deutschland beteiligten sich Oxfam und die Welthungerhilfe daran. Ziel des Aufrufes ist es, bis 2020 den Anteil der formell abgesicherten Landrechte von indigenen und ländlichen Gemeinden zu verdoppeln.


Nur ein Fünftel der Landrechte formell abgesichert

Um Verdoppelung zu konkretisieren, muss zunächst der Status quo erfasst werden. Die Ergebnisse liegen in einem Bericht der Rights and Resources Initiative (RRI), einem weltweiten Netzwerk zu Forschung und Advocacy zu den Themen Landrechten und Marktreform, vom September 2015 vor.[1] RRI untersuchte 64 Länder, die 82 Prozent der weltweiten Landfläche umfassen. Im Durchschnitt sind weniger als ein Fünftel - 18 Prozent - der Fläche in den untersuchten Ländern formell als "Besitz von" oder "Nutzung durch" ländliche Gemeinden und indigene Völker anerkannt. Der Durchschnitt täuscht allerdings darüber hinweg, dass es zwischen den Ländern große Unterschiede gibt. In China sind rund 50 Prozent anerkannt, in Kanada mehr als 40 Prozent. Dagegen sind es etwa in Kambodscha nur rund 3 Prozent. Auch innerhalb Subsahara-Afrikas, das ganz besonders zum Ziel von großflächigen Agrarinvestitionen geworden ist, gibt es große Unterschiede. Während in Botswana, Tansania, Uganda und Sambia mehr als 50 Prozent der Landfläche formell ländlichen Gemeinschaften gehört, geht insbesondere in Konfliktstaaten wie Sudan, Süd-Sudan, Kongo, Tschad oder Zentralafrikanische Republik der Wert gegen Null. Aber auch relativ stabile Staaten wie Kenia (6 Prozent) oder Äthiopien (0,2 Prozent) stehen schlecht da.

Im Durchschnitt liegt bei der Hälfte aller untersuchten Länder der Wert bei unter 5 Prozent. Nach dem Ergebnis der Studie machen insbesondere die ärmsten Länder wenig Fortschritte bei der Formalisierung von Landrechten. Das ist besonders problematisch, da gerade in diesen Ländern das Überleben der Armen, darunter insbesondere Frauen und Kinder, vom Land abhängt.

Der Bericht kann keine Aussage darüber machen, wie groß die Lücke ist, das heißt, welcher Anteil des restlichen Landes, das noch nicht ländlichen Gemeinden oder indigenen Völkern zugesprochen wurde, diesen noch zustehen würde. Einzelne Länderbeispiele zeigen aber großen Handlungsbedarf. So gehört in Peru indigenen Völkern etwa ein Drittel des Landes, nach Schätzungen müsste aber mindestens ein weiteres Sechstel abgesichert werden. Peru ist aber auch ein Beispiel dafür, dass mit der formellen Absicherung von Landrechten noch immer kein vollständiger Schutz geschaffen ist. So hat der peruanische Kongress eine Reihe von Gesetzespaketen verabschiedet, welche den Schutz indigener Völker vor Enteignung zugunsten kommerzieller Konzessionen aufweichen.


Licht und Schatten

Dennoch: Es gibt auch positive Entwicklungen, Landrechte besser zu sichern. Auf nationaler Ebene sind es etwa mehrere Länder in West- und Zentralafrika, die Schritte unternehmen, die Landadministration zu verbessern. In Liberia, das sich von einem blutigen Bürgerkrieg erholt, erkannte die Regierung, dass ohne Lösung der Landfragen kein dauerhafter Frieden und Stabilität möglich sein wird. Nach Schätzung von ExpertInnen wird 71 Prozent der Landfläche Liberias nach dem Gewohnheitsrecht verwaltet. Die liberianische Regierung richtete 2008 eine Nationale Landkommission ein. In der neuen Landrechtspolitik von 2013 wurde das Gewohnheitsrecht ländlicher Gemeinden grundsätzlich anerkannt. Aktuell geht es um den Entwurf eines Landrechtsgesetzes, das Gewohnheitsrecht rechtlich anerkennt, ohne dass es eines Verfahrens zum Erwerb von Landtiteln bedarf. Ähnliche Ansätze gab es bereits in Mosambik, Tansania, Uganda und Sambia.

Aber auch in Liberia wird die Kluft zwischen Rechtslage und Realität offensichtlich: Wo es schon staatliche Konzessionen auf Gemeindeland gibt, tritt der Rechtsanspruch erst ein, wenn die Konzession erloschen ist - und das vor dem Hintergrund, das für rund drei Viertel von Liberias landwirtschaftlich nutzbarer Fläche schon Konzessionen ausgegeben wurden. Auch in den Fällen, in denen der Rechtsanspruch theoretisch in Kraft getreten ist, ist nicht gesichert, dass er auch verwirklicht wird. Ein Mangel an Verwaltungskapazität und Koordinierung führte dazu, dass Gemeinden mit Rechtstiteln ohne Kompensation enteignet wurden. Eine große Anstrengung von Seiten der Regierungen - mit Unterstützung der Geberstaaten - ist also erforderlich, um echte Rechtssicherheit zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund ist auch die noch andauernde Diskussion um den Landindikator der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung zu sehen. Unter Ziel 1 - alle Formen von Armut überall beenden - findet sich das Unterziel Zugang zu Land. In der scheinbar technischen Diskussion um Indikatoren wird hart gerungen, den Landrechten indigener Völker und ländlicher Gemeinden Sichtbarkeit und Schutz zu verschaffen.


Politikwandel gefordert

Landrechte - so fasst es auch der Bericht 'Common Ground' [2] von Oxfam, RRI und der International Land Coalition zusammen - sind essentiell, um Hunger und Armut zu bekämpfen, politische Stabilität herzustellen und zu sichern, Ressourcen zu schützen und den Klimawandel einzudämmen. Berichte der Welthungerhilfe und zahlreicher anderer Nichtregierungsorganisationen dokumentieren, wie Vertreibung und Enteignung von Menschen zu sozialer Zerrüttung, mehr Armut und Hunger führt.

Zwar gibt es Fälle, in denen Agrarinvestitionen zu Beschäftigungs- und Wachstumsimpulsen geführt haben. Dennoch dürfen VerliererInnen dieser Investitionen nicht als Kollateralschaden angesehen werden, zumal kein soziales Sicherheitsnetz sie auffängt. Andererseits zeigen gerade sehr großflächige, monokulturelle Investitionen, dass sich Beschäftigungs- und "Spill-over"-Effekte nicht materialisieren.

Ohne sichere Landrechte als Schutz vor Landraub, so bestätigt auch die Weltbank, ist Wachstum in Afrika nicht möglich. Modernisierung, so heißt es da, bedeute nicht, den Gemeinden ihre Landrechte wegzunehmen, sondern sie zu dokumentieren, anzuerkennen und zu regulieren. Das ist eine wichtige, allerdings nicht ausreichende Erkenntnis. Zum einen blendet sie die kulturelle Bedeutung aus, die Land und Wälder haben. Den Menschen selbst sollte überlassen bleiben, ob sie sich überhaupt "modernisieren" wollen. Außerdem bleibt, wie oben aufgeführt, die Frage, ob bedrohte Gruppen ihre Rechte effektiv einfordern können. Die UNLandleitlinien (Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure) von 2012 sind ein wichtiger Meilenstein, die menschenrechtliche Grundlage der Landfrage zu schärfen. Die Umsetzung geht allerdings nur zögerlich voran, der ökonomische Druck auf Ressourcen ist ungebrochen.

Die UnterzeichnerInnen des Aktionsaufrufes zum Schutz vor Landrechten sehen daher sieben Felder für Politikwandel:

  • Regierungen müssen Landrechte durch bessere legale Rahmenbedingungen (Gesetze, Institutionen, Prozesse) schützen
  • Geber müssen indigene Völker und ländliche Gemeinden unmittelbar stärken
  • Unternehmen und Finanzinstitutionen müssen das Recht auf Einverständnis ("free, prior and informed consent") respektieren
  • Ein starker Fokus auf Frauen, da ihre Rechte besonders häufig verletzt werden
  • Verantwortungsvolles Konsumverhalten, mehr Transparenz über die Herkunft von Produkten
  • Mehr und bessere Daten über Besitzverhältnisse und Nutzung von Land unter Beteiligung der betroffenen Bevölkerung
  • Monitoring und Rechenschaft

Es gibt eine große Kluft zwischen guten Absichten und der Realität aufgrund des großen Machtungleichgewichts zwischen Unternehmen und Regierungen auf der einen, sowie ländlichen Gemeinden und indigenen Völkern auf der anderen Seite. Wir alle sollten dafür sorgen, dass ihre Stimmen gehört werden.


Die Autorin ist Landrechtsexpertin bei der Deutschen Welthungerhilfe.

Weitere Informationen unter: www.landrightsnow.org.


Anmerkungen:

[1] Who owns the world's land. A global baseline of formally recognized indigenous and community land rights. Rights and Resources Initiative. September 2015,
http://www.rightsandresources.org/wp-content/uploads/GlobalBaseline_web.pdf.

[2] Common Ground. Securing land rights and safeguarding the earth. ILC, Oxfam, RRI. A Global Call to Action on Indigenous and Community Land Rights. March 2016,
http://www.landrightsnow.org/en/common-ground/.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 7-8
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang