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SOZIALES/025: Guyana - Goldrausch mit Folgen, Umweltzerstörung, Krankheiten und Kinderprostitution (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2012

Guyana: Umweltzerstörung, Krankheiten und Kinderprostitution - Goldrausch mit Folgen

von Bert Wilkinson



Georgetown, Guyana, 24. Juli (IPS) - Pedro Melville lebt in Matthew's Ridge, einem Bergbaubezirk im Nordwesten von Guyana. Der 62-jährige Vater von neun Kindern kann ein Lied von den Folgen der Gold- und Manganproduktion für die lokale Bevölkerung singen: Die Gewässer sind verseucht, und viele Menschen, die ihr Trinkwasser aus den nahen Flüssen beziehen, sehen sich gezwungen, Reservoirs anzulegen, in denen sie das verseuchte Fluss- mit sauberem Regenwasser zu einer weniger gesundheitsschädlichen Mischung verdünnen.

"Die Bergleute scheren sich keinen Deut um die Menschen vor Ort. Ihnen geht es nur darum, alles, was geht, aus dem Boden herauszuholen", klagt Melville im IPS-Gespräch. Auch Hygiene sei ein Problem. "Fäkalien und anderen Rückständen der Bergbauindustrie verdanken wir Krankheiten wie Malaria und Typhus. Um ehrlich zu sein: Die Situation entgleitet uns."

Die für die Goldindustrie zuständigen Behörden haben die Ausgabe neuer Konzessionen für den Abbau von Gold und Diamanten in den Flüssen und Seen verboten und damit innerhalb des Sektors einen Aufschrei der Empörung ausgelöst. Der Regierung wurde gar Machtmissbrauch vorgeworfen.

Melville, ein Mitglied der ethnischen Kariben, hält die Restriktionen für sinnvoll. Er verweist auf das Schicksal des nahe gelegenen Flusses Barima, der inzwischen so sehr belastet ist, dass sich das Wasser für den Privatgebrauch nicht mehr nutzen lässt. Die Schuld dafür gibt er korrupten Beamten, die das Heer einheimischer und brasilianischer Bergleute im Dschungel nicht angemessen kontrollierten.

Die Wasserverschmutzung ist bei weitem nicht das einzige Problem des südamerikanischen Landes. Behördenvertretern zufolge hinterlassen die Bergleute mit ihren Baggern Geröllinseln in den Gewässern und greifen damit in den natürlichen Verlauf der Flüsse ein.


Vergiftetes Trinkwasser

Wie Paulina Williams aus Kako, einem Dorf am Oberlauf des Mazaruni im Westen, berichtet, konnten sich einige Dorfbewohner und brasilianische Goldsucher für Kako und die nahen Flüsse Schürfgenehmigungen mit der Folge beschaffen, dass eine Ortschaft der Akawaio, einer der neun guyanischen Ethnien, in Bedrängnis geraten sei.

"Die Bergleute geben der Gemeinschaft nichts und verschmutzen stattdessen die Flüsse", kritisiert die dreifache Mutter. Auch drückten sie sich um die Zahlung von Steuern und bestächen stattdessen die Polizei. "Auch ich finde, dass der Bergbau an den Flüssen eingeschränkt werden sollte", meint Williams und fügt hinzu, dass sich die Sicherheitskräfte von Brasilianern ohne Papiere ebenfalls schmieren ließen.

Unter Berufung auf Beschwerden von Indigenen und anderen Bewohnern der westguyanischen Bergbauregionen hat der Minister für natürliche Ressourcen, Robert Persaud, ein Verbot für die Vergabe neuer Bergbaulizenzen in Flussnähe verhängt. Die Entscheidung brachte die militante Vereinigung der Gold- und Diamantenschürfer in den Harnisch. Der Zusammenschluss berief seine Mitglieder zu einer Sondersitzung ein, sprach Persaud das Misstrauen aus, drohte mit Streiks und brachte mehr als 50.000 Dollar für Maßnahmen auf, die dazu beitragen sollen, das Verbot zu kippen.

Das Muskelspiel zeigte bereits Wirkung. Inzwischen gab das Ministerium bekannt, dass das Schürfverbot nur einen Monat gültig sei. Die Pause sei notwendig, um das Ausmaß der Umweltzerstörung durch die Bergbauindustrie zu untersuchen, heißt es.

Der Verband der Bergleute macht zwar kein Geheimnis aus den ökologischen Problemen, gibt aber 'Einzeltätern' die Schuld. "Wir sehen nicht ein, warum alle Anträge abgelehnt werden sollten", meint dazu der Verbandssprecher Colin Sparman. "Lasst uns die schwarzen Schafe aussortieren."

Das Ministerium gibt auch den Baggerbesitzern eine Mitschuld an den Umweltschäden. Sie ermutigten die Bergleute und Firmen dazu, in unmittelbarer Flussnähe zu operieren. Auf diese Weise würden 100 Jahre alte Bäume entwurzelt, die wiederum kleinere Flüsse und die Schifffahrt blockierten. Und diese Probleme seien erst die Spitze des Eisbergs.


Gefahr für Landwirtschaft und Fischerei

Die Indigenenorganisation 'Amerindian People's Association' (APA) und das guyanische Ministerium für natürliche Ressourcen sind gleichermaßen der Meinung, dass die Bergbauindustrie die kleinbäuerliche Landwirtschaft und Fischerei ernsthaft gefährdet und mit ihren ohrenbetäubenden Aktivitäten die wildlebenden Tiere vertreibt.

Die Guyanische Menschenrechtsorganisation (GHRA) betrachtet den laufenden Disput als einen "Kampf um die Kontrolle von Guyanas Flüssen". Sie weist darauf hin, dass der Guayanische Schild, bestehend aus Guyana, Suriname und Französisch-Guayana, die weltgrößten Süßwasserreserven birgt. Jede unkontrollierte Zerstörung der Gewässer im Namen der Wirtschaftsentwicklung könne nur als "kurzsichtig" bezeichnet werden.

"Es handelt sich im Grunde nur um wenige Jahrzehnte, dann wird Wasser so kostbar wie Erdöl sein", argumentiert die Gruppe und erinnert daran, dass es bereits in Nahost und in der China-Tibet-Region sowie in Südostasien zu Konflikten kommt.

Die rapide anziehenden Weltmarktpreise für Gold in den letzten fünf Jahren haben Guyana mehr als eine Milliarde US-Dollar an Direktinvestitionen gebracht. Dies veranlasste Suriname und Dutzende kanadische, US-amerikanische und brasilianische Unternehmen dazu, in dem kleinen südamerikanischen Land tätig zu werden. Der sich anschließende Bergbauboom traf das strukturschwache Land völlig unerwartet.


Strukturelle Schwachstellen

Erst jetzt ist die Bergbaukommission soweit, Goldankaufzentren in den mineralienreichen westlichen Gebieten einzurichten. Diese Zentren ersparen den Bergleuten den Weg durch einsame Gebiete, in denen ihnen schwer bewaffnete Gangs auflauern. Nach Angaben der lokalen Polizei kommt es in der Region aufgrund der allgemeinen Goldgräberstimmung und der verbreiteten Rechtlosigkeit mindestens einmal pro Woche zu einem Mord.

Auch die US-Unternehmen machen den guyanischen Behörden zu schaffen. Ihre Lager werden offenbar von Menschenhändlern mit Kinderprostituierten versorgt. Die Sicherheitskräfte haben in den letzten Monaten mehrfach solche Opfer aus ihrer Zwangslage befreit.

Ein weiteres Problem ist der Schmuggel der Mineralien selbst. Nach Schätzungen des Ministeriums für natürliche Ressourcen wird die Hälfte der nationalen jährlichen Goldproduktion von 600.000 Feinunzen illegal nach Venezuela, Brasilien und nach Suriname ausgeführt. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.apa.org.gy/
http://www.ipsnews.net/2012/07/guyanas-gold-boom-brings-pollution-and-conflict/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2012