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SOZIALES/001: Indien - Streit mit Pakistan um Damm in Kaschmir, Ureinwohner wollen nicht umziehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Oktober 2011

Indien: Streit mit Pakistan um Damm in Kaschmir - Ureinwohner wollen nicht umziehen

von Athar Parvaiz

Bauern im Gurez-Tal - Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Bauern im Gurez-Tal
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Gurez, Jammu und Kaschmir, 6. Oktober (IPS) - Eine Entscheidung des Ständigen Schiedshofs (PCA) in Den Haag hat den Bau eines Staudammes im nordindischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir vorerst ausgesetzt. Nach den Vorstellungen von Neu-Delhi sollen dem Projekt mehr als tausend Ureinwohner weichen. Ihnen hat das Urteil einen kleinen Aufschub verschafft.

Der Fluss verläuft auch durch den pakistanischen Teil Kaschmirs, wo er Neelum heißt. Pakistan hatte die internationale Schiedsinstanz im Mai angerufen, um den Plänen Indiens Einhalt zu gebieten. Die Regierung in Islamabad bezog sich dabei auf einen Vertrag von 1960. Am 23. September verkündete der Schiedshof Interimsmaßnahmen, um auf Antrag Pakistans zu verhindern, dass der natürliche Verlauf des Flusses verändert wird. Der PCA ist kein Gericht im eigentlichen Sinne, sondern eine Einrichtung, die die Anrufung der Schiedssprechung in internationalen Streitfällen erleichtern soll.


Ureinwohner wollen um jeden Preis bleiben

"Wenn der Bau endgültig gestoppt würde, wäre ich der glücklichste Mensch auf Erden", sagte der Bauer Abdul Majeed Najar. "Wir wollen nicht von dem Land unserer Vorväter vertrieben werden."

Im malerischen Gurez-Tal, das sich über eine Länge von 80 Kilometern im Himalaja-Gebirge erstreckt, ist die Ethnie Dard Shin heimisch. Najar und andere Mitglieder seines Volkes haben das Entschädigungsangebot der Regierung für einen Umzug abgelehnt, obwohl ihnen die Behörden das Doppelte des üblichen Preises zahlen wollten. Die Menschen wollen jedoch ihre Heimat unter keinen Umständen verlassen.

Indien will in dem Gebiet das Kishenganga-Wasserkraftwerk mit einer Produktionsleistung von 330 MW errichten. Das Bauvorhaben ist bereits zu 40 Prozent abgeschlossen. Pakistan wandte ein, dass das Projekt den Indus-Wasservertrag verletzt, der die gemeinsame Nutzung des Indus und seiner fünf Nebenflüsse regelt. Der Indus ist der längste Fluss auf dem indischen Subkontinent.

Kishanganga-Damm in Kaschmir - Bild: © Arhar Parvaiz/IPS

Kishanganga-Damm in Kaschmir
Bild: © Arhar Parvaiz/IPS

Der Übereinkunft zufolge darf Pakistan die im Westen verlaufenden Flüsse Indus, Jhelum und Chenab exklusiv nutzen. Indien werden die gleichen Rechte an den östlich fließenden Flüssen Sutlej, Beas und Ravi zuerkannt. Alle diese Flüsse erreichen auch pakistanisches Staatsgebiet. Am unteren Lauf des Neelum baut Pakistan das Neelum-Jhelum-Kraftwerk, das 969 MW Strom erzeugen soll. Laut der Regierung würde dieses Projekt durch das indische Vorhaben beeinträchtigt.

Nach dem Scheitern bilateraler Verhandlungen brachte Pakistan den Fall vor die Haager Schiedsinstanz und warf dem Nachbarstaat vor, den unter Vermittlung der Weltbank geschlossenen Indus-Vertrag verletzt zu haben. Dieses Abkommen sieht ein Instrumentarium für die Beilegung von Streitfällen vor.

Die indischen Kraftwerksbauer forderten indes, 1.200 Menschen aus dünn besiedelten Gebiet in andere Regionen zu verbringen. Das Gurez-Tal liegt an der Kontrolllinie, die den indischen und pakistanischen Teil Kaschmirs voneinander trennt.

Er habe ein kleines Stück Land, auf dem er Kartoffeln und Getreide anbaue, sagte der Bauer Abdul Razzaq. "Mein Feld verschafft mir nicht nur Nahrung, sondern bietet auch Sicherheit für die Zukunft. Eine staatliche Entschädigung kann den Verlust, den meine Kinder erleiden, nicht wett machen." Razzaq zufolge ist die Regierung auf die Vorbehalte der Anwohner nicht eingegangen. "Wer kümmert sich schon um die Wünsche armer Menschen, die in den Bergen leben?"


Umweltstudie warnt vor schweren Schäden

Eine Umweltverträglichkeitsstudie der Universität von Neu-Delhi warnt davor, dass der Staudamm das Überleben vieler Himalaja-Tier- und Pflanzenarten wie Schneeleopard und Schwarzbär gefährdet. Die lokalen Ökosysteme würden durch die Bauarbeiten schwer geschädigt. Laut der Studie wären insgesamt etwa 500 Hektar Äcker und Waldgebiete betroffen.

Bau des Wasserkraftwerks in Gurez - Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Bau des Wasserkraftwerks in Gurez
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Das Kishenganga-Projekt wird von der staatlichen indischen 'National Hydroelectric Power Corporation (NHPC) zu Kosten von rund 560 Millionen US-Dollar durchgeführt. Beteiligt sind außerdem die staatliche 'Hindustan Construction Company ' mit Sitz in Mumbai und die private britische 'Halcrow Group'.

Vertreter politischer Parteien in Jammu und Kaschmir kritisieren, dass sie in dem Streitfall nicht angehört worden seien. "Wir gehen nicht davon aus, dass das in Den Haag getroffene Urteil für uns irgendetwas ändert", meinte Nayeem Akhtar, der Sprecher der 'People's Democratic Party', die die größte Oppositionsfraktion im Parlament des Bundesstaates stellt.

"Indien und Pakistan schlagen Profit aus den Wasserressourcen, während wir in die Rolle der stummen Zuschauer abgedrängt werden", kritisierte Akhtar. Elektrizität sei in Jammu und Kaschmir nach wie vor knapp, obwohl dort bis nach dem derzeitigen Stand zu 20.000 MW produziert werden könnten. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.pca-cpa.org/upload/files/Press%20Release%20dated%20September%2026,%202011.pdf
http://www.pca-cpa.org/upload/files/16.%20Order%20on%20Interim%20Measures%20dated%2023%20September%202011.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105254

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2011