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MEER/194: Kleine Meerestiere auf großer Fahrt - Klima- und Ökosystemwandel im Mittelmeer (idw)


MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen, 19.08.2015

Kleine Meerestiere auf großer Fahrt

Klima- und Ökosystemwandel im Mittelmeer


Seit der Eröffnung des Suez-Kanals im Jahr 1869 sind mehrere Hundert Tier-und Pflanzenarten aus dem Roten Meer in das östliche Mittelmeer eingewandert und haben dort teils gravierende Veränderungen in den Meeresökosystemen verursacht. In einer Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift Plos One erschienen ist, belegt ein internationales Forscherteam am Beispiel winziger Organismen, den Foraminiferen, wie der Klimawandel diese Invasion beflügelt.


Foto: © C. Schmidt, MARUM

Die Foraminiferenart Pararotalia calcariformata auf der Makroalge Jania rubens.
Foto: © C. Schmidt, MARUM

Die Foraminifere Pararotalia ist ein äußerst unscheinbares Lebewesen. Sie ist zwar einzellig und winzig klein. Dennoch spielt sie für küstennahe Ökosysteme eine buchstäblich tragende Rolle. Kalkschalen abgestorbener Organismen, die sog. Foraminiferensande, sammeln sich in Korallenriffen und bilden so ein Fundament, das die Riffe stabilisiert. Expertinnen wie Dr. Christiane Schmidt können Foraminiferen u.a. an Hand dieser Schalen identifizieren. Von Frühjahr 2012 bis zum Herbst 2013 sammelte die Geoökologin, die derzeit in Japan forscht und demnächst ans MARUM wechselt, u.a. mit ihren zukünftigen Bremer Kollegen Proben von lebenden Foraminiferen vor dem israelischen Nationalpark Nachscholim südlich von Haifa. Auf ihrer "Fahndungsliste" stand vor allem Pararotalia, die erstmals 1994 im östlichen Mittelmeer nachgewiesen worden war und sich dort seitdem geradezu explosiv vermehrt hat.

"Im Roten Meer fehlt es weitgehend an Nachweisen dieser Foraminifere", sagt Christiane Schmidt. MARUM-Forscher Dr. Raphael Morard führte die molekulargenetischen Untersuchungen durch und ergänzt: "Mit diesen Methoden konnten wir absichern, dass Pararotalia ursprünglich aus dem Indischen Ozean bzw. aus dem Pazifik stammt, dass es sich also tatsächlich um eine eingewanderte Art handelt."

Dass die Gattung jetzt im Mittelmeer so erfolgreich ist, liegt zum einen an ihrer Lebensweise: Die Foraminifere lebt in Symbiose mit einzelligen Kieselalgen. Diese Vergesellschaftung mit den Mikroalgen bietet zwei Vorteile: Die Algen betreiben Photosynthese und stellen so den Nahrungsnachschub für Pararotalia sicher; zudem fördern sie das Wachstum ihrer Kalkschalen.

"Letztlich sind es aber die Temperaturverhältnisse, die über Sein oder Nichtsein der Foraminifere entscheiden", sagt Christiane Schmidt. "Wir haben im Labor Kulturen angelegt und herausgefunden, dass die Foraminifere bei Meerwassertemperaturen um 28 Grad Celsius optimal gedeiht; bei unter 20 bzw. über 35 Grad aber extreme Schwierigkeiten hat, zu überleben."

Im nächsten Schritt entwickelte das Forscherteam ein Computermodell, um zu bestimmen, welche Regionen im östlichen Mittelmeer besonders günstige Lebensbedingungen für Pararotalia bieten. Das Modell berücksichtigt bislang publizierte Fundstellen der Foraminifere sowie die dort vorherrschenden Lichtverhältnisse bzw. die Trübung des Meerwassers; beides sind wesentliche Überlebensfaktoren. Es greift zudem auf die vor Israel gesammelten Proben zurück. - Die Modellergebnisse lieferten eindeutige Befunde: Demnach bieten die Küstengewässer vor Israel und dem Libanon aktuell die besten Lebensbedingungen für Pararotalia. Aber vor Syrien und der südöstlichen Türkei findet die Gattung noch ein hinreichendes Auskommen.

Das Modell legt aber auch nahe, dass die Foraminifere zukünftig infolge des anhaltenden Klimawandels weitere Lebensräume erobern wird. Steigende Wassertemperaturen führen dazu, dass sich Pararotalia innerhalb der kommenden Jahrzehnte auch in den weiter westlich gelegenen Küstengewässern des Mittelmeeres heimisch fühlen wird. Mitautorin Dr. Anna Weinmann von der Universität Bonn sagt: "Unser Modell zeigt klar auf, dass die Foraminifere im Jahr 2100 dank der vorherrschenden Strömungen wahrscheinlich in der Ägäis, dem Ionischen Meer, also östlich und westlich von Griechenland, sowie vor Libyen heimisch geworden sein wird."

MARUM entschlüsselt mit modernsten Methoden und eingebunden in internationale Projekte die Rolle des Ozeans im System Erde - insbesondere im Hinblick auf den globalen Wandel. Es erfasst die Wechselwirkungen zwischen geologischen und biologischen Prozessen im Meer und liefert Beiträge für eine nachhaltige Nutzung der Ozeane.

Das MARUM umfasst das DFG-Forschungszentrum und den Exzellenzcluster "Der Ozean im System Erde".


Publikation:
Christiane Schmidt, Raphael Morard, Ahuva Almogi-Labin, Anna E. Weinmann, Danna Titelboim, Sigal Abramovich, Michal Kucera
Recent Invasion of the Symbiont-Bearing Foraminifera Pararotalia into the Eastern Mediterranean Facilitated by the Ongoing Warming Trend
In: PLOS One online, 13. August 2015,
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0132917

Weitere Informationen finden Sie unter
https://www.marum.de/Kleine_Meerestiere_auf_groszer_Fahrt.html
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0132917

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news636216

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution314

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität
Bremen, Albert Gerdes, 19.08.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2015

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