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LATEINAMERIKA/088: Bolivien - Schwierigkeiten bei der Umsetzung des neuen integralen Umweltgesetzes (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2014

Bolivien: Schwierigkeiten bei der Umsetzung des neuen integralen Umweltgesetzes

von Franz Chávez


Bild: © Franz Chávez/IPS

Der Fluss Rocha leidet in der Trockenzeit unter hohen Giftstoffkonzentrationen
Bild: © Franz Chávez/IPS

La Paz, 21. Mai (IPS) - Eineinhalb Jahre ist es her, dass Bolivien ein bislang einzigartiges Umweltgesetz verabschiedet hat, das der Leben spendenden 'Mutter Natur' weitreichende Rechte einräumt. Doch bis zur Umsetzung dieser ehrgeizigen Bestimmungen ist es noch ein weiter Weg.

Das 'Rahmengesetz für Mutter Erde und integrale Entwicklung für ein gutes Leben' ist seit dem 15. Oktober 2012 in Kraft. 'Vivir Bien' ('gut leben') oder 'Buen Vivir' ('Gutes Leben') ist für die indigenen Völker Lateinamerikas ein zentrales Prinzip des friedlichen und harmonischen Zusammenlebens mit und nicht auf Kosten der Natur.

Das Gesetz stellt die Weichen für einen politischen Paradigmenwechsel weg von den klassischen Entwicklungsmodellen und hin zu einem integralen Modell, das ein Leben im Einklang mit der Natur auf der Grundlage des überlieferten und wiederzuerlangenden indigenen Wissens möglich machen soll.

Das Rahmengesetz ordnet der Natur Rechte zu, distanziert sich von jeder Kommerzialisierung von Umweltleistungen und verlangt die Prävention und Verhinderung ökologischer Schäden sowie den Schutz der Artenvielfalt, der menschlichen Gesundheit und des immateriellen kulturellen Erbes.

Paragraph vier gibt den institutionellen Rahmen für Maßnahmen gegen den Klimawandel vor. Zuständig ist eine Institution, die sich 'Plurinationale Behörde der Mutter Erde' nennt. Leiter ist seit 8. Februar Benecio Quispe, der dabei ist, einen Mitarbeiterstab zusammenzusetzen und ein Büro einzurichten.

Das erste, was Quispes Büro unternommen hat, war der 'Erste Nationale Workshop für Klimawandel-Strategien', der sich an Sozialaktivisten, Wissenschaftler, öffentliche und private Akteure sowie Vertreter der Zentral-, Provinz- und Gemeindebehörden richtete.

Das Rahmengesetz regelt den Aufbau von Kontrollsystemen in den von Entwaldung und Bränden bedrohten Regionen, wie der Abgeordnete der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS), David Cortés, berichtet. Cortés ist zudem Mitglied von 'Globe International', einem weltweiten Zusammenschluss von Parlamentariern.


Mangel an quantifizierbaren Etappenzielen

Die umfassendste Untersuchung des bolivianischen Umweltgesetzes stammt von Globe International und dem Grantham-Institut für Klima- und Umweltforschung am der 'London School of Economics'. Darin wird das Mutter-Erde-Gesetz mit Blick auf das Ressourcenmanagement, den Klimawandel und Ökosystemen zwar als äußerst progressiv gewürdigt, gleichzeitig jedoch das Fehlen quantifizierbarer Umsetzungsziele bemängelt.

Dem Berater des bolivianischen Unterhauses, Víctor Quispe, zufolge kommt die Anwendung des Gesetzes nur deshalb im Schneckentempo und unter großen Schwierigkeiten voran, weil Produktionsmittel, neoliberale Entscheidungen und Unternehmen auf eine rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen abzielten. (Quispe ist mit dem gleichnamigen Leiter der Mutter-Natur-Behörde nicht verwandt).

In Bolivien habe das ökologische Bewusstsein seit der Verabschiedung des Gesetzes zugenommen, meinte wiederum David Cortés und wies auf Bemühungen der Regierung hin, die Menschen zu einem sparsamen Umgang mit Wasser zu ermuntern.

Zwei Millionen der 10,5 Millionen Bolivianer haben noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Weniger als vier Millionen Einwohner sind ohne sanitäre Grundversorgung, wie Umweltminister José Zamora im letzten Jahr erklärte.

Doch während das Rahmengesetz einer Reihe weiterer Gesetze bedarf, um seine Anwendung und Umsetzung gewährleisten zu können, suchen andere Initiativen nach Lösungen für konkrete Probleme wie Gletscherschmelze und Wasserverseuchung. Sie waren von Cortés auf einem Treffen von Globe International vom 27. bis 28. Februar im US-Senat in Washington vorgestellt worden.

In Bolivien bringt der Klimawandel die Gletscher zum Schmelzen, was sich in der Trockenheit bereits negativ auf die Wasserversorgung in den Städten auswirkt. Gleichzeitig sind Niederschläge und Überschwemmungen in den Monaten Dezember bis Januar intensiver geworden.


Wasserschutzprogramm

Um das Wasser zu schützen, hatte die Regierung 2011 das 'Mein-Wasser-Programm' aufgelegt, durch das die Ressource für den menschlichen Konsum und für Bewässerungszwecke bewahrt werden soll, damit die Ernährungssicherheit, Armutsbekämpfung und Steigerung der Agrarproduktion garantiert werden kann. Bisher profitieren 2.937 Projekte in 98 Prozent der 327 Gemeinden von dem Programm. Bestückt wurde der zuständige Finanzierungsfonds mit 118 Millionen US-Dollar.

Die Wasserverseuchung ist ein weiteres Problem. Die Behörden wollen den Rocha-Fluss säubern, der durch die zentrale Stadt Cochabamba fließt. Rund 50 Fabriken 'entsorgen' ihre Rückstände in dem Gewässer. In der Trockenzeit liegen die Nitrat- und Sulfatwerte des Flusswassers weit über den erlaubten Werten, wie das Büro zum Schutz von Mutter Erde in Cochabamba bestätigt.

Laut dem Leiter der Behörde, Germán Parrilla, wird derzeit ein "integraler Flussbecken-Management-Plan" umgesetzt. Er sieht vor, das Flussgebiet von Festabfällen zu reinigen. Auch soll das Geröll abtransportiert werden, das von Anrainern dazu verwendet wurde, dem Flussgebiet Land abzutrotzen. Ferner sollen Umweltverschmutzer im Einklang mit den 44 Empfehlungen, die von der staatlichen Kontrollstelle 2011 ausgegeben worden waren, bestraft werden.

Rechtsanwalt Quispe bemüht sich derweil um die Zustimmung des Parlaments für ein Gesetz, das die Wiederaufforstung in ehemaligen Bergbaugebieten der Zink-, Zinn- und Wolframindustrie ermöglicht.


Fischsterben

Doch das Hauptziel des juristischen Parlamentsberaters ist die Säuberung des Flusses Pilcomayo, der in Potosí entspringt und von Norden nach Süden durch die Gemeinden Chuquisaca und Tarija fließt, bevor er die Grenzen nach Argentinien und Paraguay hinter sich lässt. Der Pilcomayo führt die Abfälle mit, die Bergbauunternehmen an seinem Oberlauf entsorgt haben und die für das Fischsterben flussabwärts verantwortlich gemacht werden.

"Es geht um Leben und Tod", meinte der Rechtsanwalt. Er hofft, dass der Ausschuss für wirtschaftliche Entwicklung seiner Gesetzesvorlage zustimmt. In einem solchen Fall müssten die Flussgemeinden eine Umweltverträglichkeitsstudie erstellen, Präventionsmaßnahmen ergreifen und das Gewässer mit der finanziellen Unterstützung der Behörden von Potosí, Chuquisaca und Tarija säubern. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/05/ley-boliviana-de-la-madre-tierra-dura-de-implementar/
http://www.ipsnews.net/2014/05/bolivias-mother-earth-law-hard-implement/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2014