Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

KLIMA/185: Phantomzertifikate untergraben Klimaschutzziele (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012

Phantomzertifikate untergraben Klimaschutzziele
Die EU muss jetzt handeln!

von Anja Kollmuss



Bis zur nächsten Klimakonferenz in Doha (COP-17) sind es noch vier Monate. Dann müssen sich die Länder drauf einigen, was sie mit dem Überschuss an Kyotozertifikaten tun wollen. Im Kyoto Protokoll haben Länder mit Emissionsverpflichtungen eine entsprechende Anzahl Klimazertifikate erhalten, sogenannte Assigned Amount Units (AAUs). Jedes AAU berechtigt ein Land, eine Tonne CO2-Äquivalent auszustoßen oder zu verkaufen. Im Klimaschutzprotokoll ist vorgesehen, dass nicht genutzte AAUs in die nächste Handelsperiode übertragen werden dürfen.

Länder wie Neuseeland und Australien behaupten gerne, dass diese ungenutzten Zertifikate durch ambitionierte Klimaziele angehäuft worden seien. Dies ist nicht der Fall: Der riesige Berg von überschüssigen Zertifikaten ist auf den Kollaps der Wirtschaft in den ehemaligen Ostblockstaaten zurückzuführen. Durch die Wirtschaftskrise und den dadurch verringerten CO2-Ausstoß ist er in den letzten Jahren weiter angestiegen.

Dazu kommen überschüssige Zertifikate aus den Kompensationsmechanismen - Clean Development Mechanism (CDM) und Joint Implementation (JI) - die ebenfalls in die neue Handelsphase übertragen werden dürfen.

Bis Ende 2012 dürften sich weltweit bis zu 13 Milliarden AAUs ansammeln. Das entspricht dem Dreifachen der jährlichen CO2-Emissionen der Europäischen Europäischen Union oder dem Zweifachen der amerikanischen Emissionen. Russland, die Ukraine und Polen verfügen über die größten Mengen dieser AAUs und blockieren daher immer wieder Lösungsansätze.


Alarmieren sollten diese Zahlen:

Wenn diese gigantischen Schlupflöcher nicht innerhalb der nächsten Monate geschlossen werden, könnten alle bisherigen Klimaschutzbemühungen bis 2020 zunichte gemacht werden. Dies bestätigt eine neue Studie im Wissenschaftsmagazin Climatic Change. Zu niedrige Klimaziele plus »Überschuss« ergeben eine Milchmädchenrechnung: nämlich Emissionen, die so hoch sind,wie die für 2020 prognostizierten Business-asusual-Emissionen. An diesem Zustand ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn Russland seine Zertifikate nicht verkaufen könnte. (Russland hat nicht die Absicht, in die nächste Verpflichtungsperiode einzutreten.)

An den Klimaverhandlungen in Südafrika wurde letztes Jahr beschlossen, dass alle Länder, auch Entwicklungsstaaten, ab 2020 verpflichtende Klimaziele haben sollen. Das neue Klimaabkommen muss bis 2015 stehen. Wenn die reichen Länder bis 2020 ihrer Klimaverantwortung nicht nachkommen, sondern ihre Emissionen auf businessas-usual belassen, dann ist das ein sehr schlechter Ausgangspunkt für die Verhandlungen mit den Entwicklungsländern

Zu den Verfechtern der konsequenten Löschung von AAUs gehören die durch den Klimawandel bedrohten Inselstaaten (AOSIS) und die afrikanischen Staaten. Beide Gruppierungen haben an den Internationalen Klimaverhandlungen entsprechende Vorschläge zur Lösung des Problems gemacht.

Die EU hat sich bei internationalen Verhandlungen zum Thema AAU-Löschung bislang nicht geäußert, weil es unter den EU Mitgliedsstaaten keinen Konsens zum Banking der Zertifikate gibt. Deutschland oder Großbritannien sind Verfechter der Löschung überschüssiger AAUs. Polen und andere ehemalige Ostblockstaaten wollen die Zertifikate hingegen in die nächste Handelsperiode übertragen.

Die EU muss diese Staaten entweder von den Vorteilen einer Einschränkung überzeugen oder keine Rücksicht mehr auf Polen und andere Gegner nehmen und sich für die Löschung aussprechen. Rein rechtlich gesehen wäre das möglich. Ein Konsens-Entscheid ist gesetzlich nicht verankert und daher also nicht Pflicht, auch wenn internationale Klimapositionen der EU traditionell so entschieden wurden. Eine Mehrheit im Europäischen Rat würde also ausreichen, um eine EU-Position zu verabschieden, die eine fast vollständige Eliminierung der Zertifikate befürwortet.

Eine solche Entscheidung muss beim nächsten Europarat-Treffen der Umweltminister im Oktober 2012 gefunden werden.

CDM Watch und das Center for Clean Air Policy (CCAP) haben ein Positionspapier veröffentlicht (1) und richten einen Appell an die EU. Wenn die EU ihrem Ruf als Klimaschützer gerecht werden will, muss sie nun Farbe bekennen.

Die Autorin arbeitet für CDM Watch und verfolgt seit Jahren die Kohlenstoffmärkte, insbesondere den CDM.

Weitere Informationen unter
www.cdm-watch.org

(1) Das Positionspapier »The Phantom Menace: An introduction to the Kyoto Protocol Allowances surplus« steht hier zum Download bereit:
http://bit.ly/SurplusPhantomMenace


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012, S. 30
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2012