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KLIMA/144: Die (Un)wahrheit unserer Klimaziele - Investitionen in Kohlekraftwerke (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011

Global Governance - Eine Chimäre?

Aktuell


Die (Un)wahrheit unserer Klimaziele
Investitionen in Kohlekraftwerke in Indien und China im Rahmen des Clean Development Mechanism

von Eva Maria Filzmoser


Mittlerweile wissen wir, dass unsere Klimaziele weit davon entfernt liegen den Anstieg globaler Temperaturen auf 2°C zu begrenzen. Fehlerhafte Regeln des Kyoto-Protokolls untergraben diese Klimaziele zusätzlich. Eine jüngste Entscheidung des UNFCCC Gremiums macht dies nun auch offiziell - Emissionsgutschriften von Kohleprojekten werden weiterhin anerkannt. Umweltorganisationen fordern nun, Kohleprojekte ein für allemal aus dem CDM zu verbannen.

Es ist erst die halbe Wahrheit, dass unsere Klimaziele weit davon entfernt liegen, den Anstieg globaler Temperaturen auf 2°C zu begrenzen: fehlerhafte Regeln und Berechnungsmethoden im Regelwerk des Kyoto-Protokolls, um Emissionsminderungen zu erreichen, untergraben diese Klimaziele erheblich. Neue Berechnungen schätzen, dass diese Untergrabung zwischen 15Gt und 28Gt CO2 Emissionen liegen. Mit unseren derzeitig gesetzten Klimazielen wollen wir aber bis 2020 nur 18Gt CO2 reduzieren. Das heißt, dass wir im besten Fall 3Gt Emissionen sparen, im schlechtesten Fall aber durch unsere Klimaziele sogar 10Gt mehr ausstoßen dürfen. Diese Untergrabung nennt sich im UNFCCC Jargon "loopholes" = Schlupflöcher.


Schlupflöcher im Kyoto-Protokoll

Die größten Schlupflöcher stammen von Emissionszertifikaten, die von der UN für die erste Verpflichtungsperiode ausgegeben wurden. Um das Kyoto-Protokoll ratifizieren zu können, brauchte man dringend die osteuropäischen Länder, vor allem Russland und die Ukraine. Um diesen Ländern das Kyoto-Protokoll schmackhaft zu machen, liess man es zu, dass ihre Reduktionsziele auf den Stand von 1990 gesetzt wurden. Dies obwohl Mitte der neunziger Jahre in diesen Ländern durch den Zusammenbruch der Planwirtschaften längst auch der CO2-Ausstoß viel niedriger war als im Jahr 1990. Mit dem zunehmenden Wirtschaftseinbruch, der vor allem die Schwerindustrie zunichte machte, sanken die Emissionen weiter so stark, dass nun 9 bis 13 Milliarden Zertifikate und ebenso viele Gigatonnen CO2 "heiße Luft" übrig geblieben sind, die nun Russland und die Ukraine gerne verkaufen würden.

Weitere Lücken entstehen durch kreative Rechnungslegungsvorschriften für Emissionen der Forstwirtschaft und Landnutzung. Emissionen der Luftfahrt und Schifffahrt sind derzeit überhaupt nicht im Rahmen des Kyoto-Protokolls eingerechnet. Außerdem können noch mehr Reduktionslöcher entstehen, wenn Emissionsminderungen sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern an Klimaziele angerechnet und somit doppelt verrechnet werden. Ein beachtlicher Anteil dieser Reduktionslücken kommt von Emissionszertifikaten, die durch den sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) für Emissionsreduktionsprojekte, die keine echten Emissionsreduktionen darstellen, ausgestellt werden.


Loopholes: Cumulative emissions in Gt 2013-2020

High Estimate
Surplus AAUs: 13
LULUCF (weak rules): 4.8
CDM (non-additional, overcredited): 3.3
Double counting: 1.6
Bunker fuels: 4.5
Total: 27.2 GT

Low Estimate
Surplus AAUs: 9
(LULUCF loopholes zero in low estimate)
CDM (non-additional, overcredited): .7
Double counting: .6
Bunker fuels: 4.2
Total: 14.5 GT

Cumulative emissions reductions from Annex 1 country pledges - Total: 18 Gt


Loopholes: Cumulative emissions in Gt 2012-2020

High Estimate
Surplus AAUs: 13
LULUCF (weak rules): 4.8
CDM (non-additional, overcredited): 4.5
Double counting: 1.6
Bunker fuels: 4.9
Total: 28.8 GT

Low Estimate
Surplus AAUs: 9
(LULUCF loopholes zero in low estimate)
CDM (non-additional, overcredited): .7
Double counting: .6
Bunker fuels: 4.7
Total: 15 GT

Cumulative emissions reductions from Annex 1 country pledges - Total: 18 Gt


Milliardeninvestitionen in Kohlekraftwerke in Indien und China

Im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) der UN-Klimakonvention können durch Investitionen in Projekte in Entwicklungsländern Emissionsgutschriften erzeugt werden, die auf Klimaschutzverpflichtungen in Industrieländern angerechnet werden können. Dabei werden bisher auch Kohlekraftwerke in Entwicklungsländern anerkannt, wenn sie darlegen, dass dort ohne CDM-Gutschriften ein weniger effizientes neues Kohlekraftwerk gebaut worden wäre.

Gegenwärtig sind es 45 Kohlekraftwerkprojekte, in Indien (32 Projekte) und China (13 Projektes), die sich als CDM Projekte registrieren lassen wollen. Sechs dieser Projekte sind bereits registriert und könnten 89 Millionen Emissionsgutschriften generieren (sogenannte CERs), die mehr als 600 Millionen Euro wert sind. Sollten alle beantragten Projekte nach den gegenwärtigen Anrechnungsregeln zugelassen werden, werden sie 451 Millionen CERs im Wert von Milliarden von Euro generieren. Diese CERs können gekauft und zur Anrechnung im EU-Emissionshandelssystem genutzt werden.

Der deutsche Stromkonzern RWE, der wegen seiner klimaschädlichen Kohlekraftwerke in Deutschland unter Druck geraten ist, gehört zu denjenigen Unternehmen, die bereits Kaufverträge für Emissionsgutschriften aus chinesischen Kohlekraftwerken abgeschlossen haben, um damit Emissionsreduktionsverpflichtungen in Deutschland auf dem Papier erfüllen zu können. Andere Investoren solcher Kohlekraftwerkprojekte sind beispielsweise EcoSecurities, Carbon Resource Management, Japans Mitsui & Co, die Bunge Emissions Group, Climate Bridge, der Nordic Carbon Fund sowie Merrill Lynch.


Schlupfloch Kohlekraft

Eine im November veröffentlichte Studie des Stockholm Environment Institute (SEI) zeigt, dass effiziente, sogenannte "superkritische" und "ultra-superkritische" Kohlekraftwerkstechnologien keine CDM-Finanzierung brauchen, sondern sich rasch als Stand der Technik etablieren. Das liegt einerseits am Preisdruck am Kohlemarkt, aber auch an zahlreichen Auflagen der indischen und chinesischen Regierungen, die effizientere Technologien vorschreiben. Mit anderen Worten, die Analyse belegt, dass CDM-Kohlekraftwerkprojekte nicht "zusätzlich" sind und daher zu künstlichen Emissionsgutschriften führen.

Abgesehen von der fehlenden Zusätzlichkeit macht die Studie aber auch verschiedene Mängel deutlich, mit denen bis zu 250 Prozent überzählige Emissionsgutschriften generiert werden könnten. Nach den gegenwärtigen Regeln würden die 45 Projekte, die sich als CDM Projekte angemeldet haben, zu 451 Millionen Emissionsgutschriften führen. Nach Einschätzung der SEI-Analyse sollten sie jedoch nur circa 132 Millionen Emissionsgutschriften erhalten, wenn man davon ausgeht, dass sie zusätzlich wären. Die Autoren stellen ferner fest, dass es aus technischen Gründen wahrscheinlich nicht möglich ist, die Anrechnungsregeln so zu ändern, dass Emissionsgutschriften aus Kohlekraftwerken tatsächliche Emissionsreduktionen bewirken.


Reaktion

Ein Teil dieser Mängel wurde nun auch vom Methodologieausschuss des CDM erkannt. Auch die technischen Experten kamen zu dem Schluss, dass die Berechnungsgrundlage der Emissionsgutschriften fehlerhaft ist. Die gute Nachricht ist, dass der CDM-Exekutivrat diese Regeln nun suspendiert hat. Die schlechte Nachricht ist, dass die Regeln gerade in Umsetzung sind und eine Revision Anfang 2012 verabschiedet werden soll.

Leicht verbesserte Regeln werden die erheblichen Auswirkungen von Kohleprojekten auf unsere Klimaziele jedoch nicht verbessern. Fast 100 Umweltorganisationen haben deshalb in Durban in einen Offenen Brief an die Präsidentin der Klimakonferenz für einen Ausschluss von Kohlekraftwerken aus dem CDM plädiert.

Dieser Appell richtet sich auch an potentielle Käufer von Emissionszertifikaten: Zwischenzeitlich diskutieren auch die Verantwortlichen in der EU bereits, ob Restriktionen für weitere Projekttypen erforderlich sind, um die Integrität der europäischen Klimaschutzpolitik zu gewährleisten.

Die Autorin ist Projektkoordinatorin von CDM Watch beim Forum Umwelt und Entwicklung.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Aktion bei der COP17 "kickcoal-out-of-CDM"


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2011, S. 26-27
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2012