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GLOBAL/175: Neues Abkommen für die Artenvielfalt (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 154/3.2022

Neues Abkommen für die Artenvielfalt

von Fenna Otten, ROBIN WOOD-Tropenwaldreferentin


Sie trafen sich in Genf und Nairobi und wollten sich eigentlich im Juli in Kunming zusammensetzen. Jetzt kommen sie doch erst im Dezember in Montreal zusammen, um endlich ein neues Abkommen zu beschließen: Regierungsvertreter:innen, Umweltschutzverbände, Wissenschaftler:innen und Wirtschaftsakteure arbeiten auf Hochtouren am sogenannten 'post-2020 Global Biodiversity Framework', kurz GBF. Damit wollen sie das Artensterben auf dem Planeten stoppen und unser Überleben sichern.

Das GBF ist ein strategischer Plan, um die Konvention für biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) umzusetzen, die 1992 auf dem UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro verabschiedet und von mittlerweile 196 Vertragsstaaten unterzeichnet wurde. Die Zielsetzung der Konvention ist der Erhalt der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung und die gerechte Verteilung der wirtschaftlichen Gewinne.

Das GBF soll noch in diesem Jahr von den Vertragsstaaten beschlossen werden und damit die Aichi-Ziele ablösen, auf die man sich 2010 auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz in Aichi, Japan, einigte. Keines der 20 Aichi-Ziele wurde erreicht. Die Artenvielfalt hat drastisch abgenommen. Dennoch geht es weiter wie bisher - die Zielsetzungen von Aichi und dem GBF ähneln sich stark.

Von Artenschutz und Landraub

Ein Kernziel des GBF ist, 30 Prozent der Erde bis 2030 unter Schutz zu stellen. Damit löst es gewissermaßen Aichi-Ziel Nr. 11 ab, unter dem Schutzziele von 17 Prozent für Landmassen und zehn Prozent für Küsten- und Meeresgebiete bis 2020 anvisiert wurden.

Dieses pauschale '30x30'-Schutzziel bringt dem Artenschutz jedoch wenig, könnte im Gegenteil aber zum größten 'grünen' Landraub aller Zeiten führen. Denn es besteht vollkommene Unklarheit darüber, wer die Entscheidungsmacht hat oder nach welchen Kriterien entschieden wird, wo genau die Schutzgebiete liegen sollen.

Piereo Visconti und Kolleg:innen (2019) untersuchten das Resultat des Aichi-Schutzziels Nr. 11, analysierten insbesondere den Sinn und Unsinn quantitativer Zielvorgaben für Schutzgebiete. Zwar wurde das Ziel fast erreicht, 17% der Landmassen und 10% der Küstengebiete und Meere zu schützen - der Verlust der Artenvielfalt wurde jedoch nicht aufgehalten, weder innerhalb noch außerhalb der Schutzgebiete. Manchmal liegen die Schutzgebiete gar nicht dort, wo die Artenvielfalt besonders hoch oder gefährdet ist. Viele Schutzgebiete werden eingerichtet, ohne dass Managementpläne erarbeitet oder Schutzregeln aufgestellt werden.

Die Liste der Probleme ist lang. In diesem Zusammenhang sehr spannend: Würde man Gebiete, die besonders artenreich sind, den heute schon formal unter Schutz stehenden Flächen hinzurechnen, dann wären wir fast schon bei dem geforderten Schutzziel von 30 Prozent angekommen. Das Artensterben gestoppt hat das aber nicht. Da viele der besonders artenreichen Gebiete gleichzeitig die Heimat lokaler Gemeinschaften und indigener Völker sind, besteht besonders im Globalen Süden die Gefahr einer neuen Ära des Landraubs. Angetrieben von Klimakrise und Artensterben steht die globale Forderung nach mehr Naturschutz über der Anerkennung von lokalen Landrechten. Auch heute noch bedeuten die Ausweisung von Naturschutzgebieten für viele Menschen Gewalt und Vertreibung.

Naturschutz kann schaden

Naturschutz kann - vor allem im Globalen Süden - Menschenleben zerstören. Als Schutzgebiet deklariert, umzäunt und mit Waffengewalt verteidigt - das ist das Konzept der sog. 'fortress conservation'. Die Einrichtung von Schutzgebieten nützt dabei häufig viel mehr der Wirtschaft als der Natur oder den Menschen vor Ort. Unternehmen können beispielsweise ihre Kohlenstoffbilanz mit Investitionen in den Naturschutz auf der anderen Seite der Welt aufbessern. Damit leisten sie jedoch lediglich einen Beitrag dazu, dass Natur zur Ware und Umweltschutz privatisiert werden. Über 'carbon offsets', 'habitat banks' oder 'wildlife derivatives' können Unternehmen Profit machen. Naturschutz darf aber kein Geschäftsmodell sein!

In Deutschland werden Wälder abgeholzt, um dann doch lieber eine neue Autobahn zu bauen - wie im Dannenröder Wald, einem Natura-2000-Gebiete, 2020 geschehen. Unter solchen Umständen tragen viele Schutzgebiete nicht zum Artenschutz bei, sondern existieren nur auf dem Papier, so dass sich bereits der Begriff 'Paper-Parks' etabliert hat. Einfach 30 Prozent der Erde in Naturschutzgebiete umzuwandeln und zu hoffen, damit die Artenvielfalt erhalten zu können, reicht nicht aus.

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Artenschutz durch Schutzgebiete?

Eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld, bei der über einen Zeitraum von fast 30 Jahren die Insekten-Biomasse in geschützten Gebieten Deutschlands erfasst wurde, belegt, dass in diesem Zeitraum die Biomasse der Fluginsekten um 76 Prozent zurück ging. Eine andere Studie (Wauchope et al., 2022) hat weltweit untersucht, wie sich Schutzgebiete auf die Population von Wasservögeln ausgewirkt [haben]. Ergebnis: Schutz allein garantiert keinen positiven Einfluss auf die biologische Vielfalt. Um den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten, müsse die Qualität bestehender Schutzgebiete verbessert und auch außerhalb bestehender Schutzgebiete Maßnahmen ergriffen werden, um die Bedrohungen abzuwenden.

Wenn es um den Erhalt der Artenvielfalt geht, kommt es also auch darauf an, was auf den Flächen außerhalb der Schutzgebiete passiert: Auf den Äckern, Forsten und in den Städten.
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Natur schützen oder Zerstörung stoppen

Der Verlust artenreicher Ökosysteme ist die Folge unserer Lebensweise. Die Ausweisung von Naturschutzgebieten allein ändert nicht unser Wirtschaftssystem oder unsere Konsummuster, stoppt nicht die steigende Nachfrage nach Rohstoffen und die Expansion agrar-industrieller Produktion. Wir stoppen damit auch keine Subventionen, die direkt oder indirekt zur Zerstörung unserer Umwelt beitragen. Wir schließen, ganz im Gegenteil, weiter fröhlich Handelsabkommen, die Produktion und Konsum steigern sollen - alles andere wäre ungemütlich für uns, hier im Globalen Norden. Der Erhalt der Artenvielfalt kann nur gelingen, wenn in Schutzgebieten effektive Maßnahmen umgesetzt und außerhalb der Schutzgebiete Naturzerstörung unterbunden werden.

Es kann einen riesigen Unterschied machen, ob wir die Natur schützen oder die Zerstörung unserer Umwelt aufhalten. 17 Prozent, 30 Prozent, 50 Prozent - das sind Zahlen, die Hoffnung geben sollen, obwohl sie allzu oft reine Symptombekämpfung sind, willkürliche gesetzte Grenzen, die in Form von Stacheldrahtzäunen Landrechte übergehen. Diese Zahlen machen für die Artenvielfalt im Zweifel keinen Unterschied, für viele Menschen aber bedeuten sie Gewalt und Vertreibung.

Es gibt unglaublich viele Gründe, das globale Artensterben zu stoppen - nicht zuletzt unser Überleben. Es gibt aber ebenso viele Gründe, nicht einfach 30 Prozent der Erde in Naturschutzgebiete umzuwandeln und zu hoffen, damit die Artenvielfalt zu erhalten.

tropenwald@robinwood.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Obwohl der Dannenröder Wald in Hessen nach der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie geschützt ist, wurde er 2020 abgeholzt, um Platz für den Bau einer neuen Autobahn zu machen

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 154/3.2022, Seite 12-13
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Verlag:
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 1. Oktober 2022

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