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ENERGIE/093: Die dunkle Seite der Wasserkraft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2018
Lebensadern unserer Erde
Flüsse - begradigt, gestaut, zerstört.

Die dunkle Seite der Wasserkraft
Staudämme zerstören die Lebensgrundlage tausender Menschen

von Thilo F. Papacek


Wasserkraft gilt oft immer noch als nachhaltige Energiequelle. Die Industrie bewirbt die Technologie als ideales Mittel, um Klimaschutz und Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN) zu erreichen. Doch Erfahrungen mit den menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Folgen von Staudämmen sprechen gegen diese Erzählung.


Die Wasserkraft spielt eine entscheidende Rolle bei der nachhaltigen und umweltfreundlichen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und ist weltweit die größte erneuerbare Quelle für die Stromerzeugung. So steht es in mehreren Pressemitteilungen des deutschen Konzerns Voith Hydro, der zu den Marktführern bei der Produktion von Turbinen und anderer Ausstattung für Wasserkraftwerke gehört.

Die Argumentation scheint schlüssig: Das Wasser treibt Turbinen an, ohne verbraucht zu werden; es werden weder Erdöl, Gas oder Kohle verbrannt noch radioaktive Elemente eingesetzt. So erscheint Wasserkraft als älteste regenerative Energiequelle. Gerade angesichts der Herausforderungen des Klimawandels erscheint Wasserkraft daher als eine notwendige und wichtige Technologie.

So propagiert die International Hydropower Association (IHA), in der sich Konzerne und InvestorInnen aus aller Welt organisieren, die im Geschäft mit der Wasserkraft aktiv sind, ihre Technologie als geeignetstes Mittel zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und des Pariser Abkommens zum Klimaschutz von 2015 und stellt den Welt-Wasserkraft-Kongress im Mai 2019 in Paris unter das Motto "Die Kraft des Wassers in einer nachhaltigen und miteinander verbundenen Welt".[1]

Globaler Staudammboom
Wasserkraftwerke können riesige Mengen Energie erzeugen. Von den weltweit 10 Kraftwerken mit der größten Kapazität sind 9 Wasserkraftwerke. Insbesondere für Länder des Globalen Südens, so die FürsprecherInnen der Wasserkraft, biete diese Energiequelle eine attraktive Möglichkeit, günstig umweltfreundlichen Strom zu erzeugen. Die weltweit bisher installierte Kapazität von etwa 1.300 Gigawatt könne um weitere 4.000 Gigawatt Kapazität erweitert werden, so Uwe Wehnhardt, Geschäftsführer von Voith Hydro.

Gigantische Kraftwerke - für die Nachhaltigkeit?
Nach Aussagen der Industrie und ihrer Interessenvertretung ist also Wasserkraft das hervorragendste Instrument, um den Klimawandel zu bekämpfen (SDG 13: Klima umfassend schützen) und auch andere UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) zu erreichen. So schreibt Seleshi Bekele, der äthiopische Minister für Wasser, Bewässerung und Elektrizität, in einem Beitrag für die IHA, Wasserkraft wirke als Katalysator und Anfangspunkt für Industrialisierung und ökonomische Entwicklung. Deshalb forciere die äthiopische Regierung den Bau von Wasserkraftwerken: Mit der Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre am Blauen Nil und dem Gilgel-Gibe-IV-Damm am Omo-Fluss an der Grenze zu Kenia befinden sich dort die derzeit größten Wasserkraftprojekte Afrikas im Bau. Durch diese Projekte, so Bekele, entstünden Wirtschaftswachstum und Arbeitskräfte (SDG 8: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und faire Arbeit schaffen), mit der geschaffenen Infrastruktur könnten sich andere Industrien ansiedeln (SDG 9: Industrialisierung sozial vertrah gestalten). Dadurch würde die grassierende Armut im Land gemindert (SDG 1: Armut bekämpfen).[2]

China und Brasilien, 2 Hauptländer der Wasserkraft
Der äthiopische Minister Bekele hegt hohe Erwartungen an die Wasserkraft für sein Land. Doch kann die Technologie sie einhalten? Es lohnt sich, einen Blick nach Brasilien und China zu werfen, wo viel Erfahrung mit Wasserkraftwerken besteht. China ist mit 341.000 Megawatt installierter Kapazität eindeutiger Spitzenreiter bei der Nutzung von Wasserkraft, auf Platz 2 folgen die USA (102.900 Megawatt) und Platz 3 belegt Brasilien (100.300 Megawatt). In den USA werden mehr Staudämme ab- als neu gebaut, da deren Lebensdauer aufgrund von Sedimentablagerungen begrenzt ist und die Kosten für das Ausbaggern der Stauseen bis zu 3mal höher sind, als der Bau des Damms selbst. China und Brasilien dagegen planen den Bau weiterer Anlagen.

In China steht unter anderem der größte Staudamm der Welt. Gleichzeitig ist der Drei-Schluchten-Damm mit einer Nennleistung von 22.400 Megawatt auch das größte Kraftwerk der Welt. Doch der Damm brach auch einen anderen Rekord: Über 1,2 Millionen Menschen mussten für das Kraftwerk umgesiedelt werden, mehr als bei jedem anderen Kraftwerk der Welt. Doch wie eine Studie der US-amerikanischen Naturschutzorganisation International Rivers zeigt, gab es bei der Umsiedlung massive Probleme. Entschädigungszahlungen kamen teilweise nicht bei den Betroffenen an, das Projekt war von Beginn an mit massiver Korruption verbunden und Proteste von Betroffenen dagegen wurden unterdrückt.[3] Trotz dieser negativen Bilanz für das Projekt plant die chinesische Regierung den Bau weiterer Staudämme im Land und chinesische Firmen beteiligen sich am Ausbau der Wasserkraft in anderen Teilen der Welt.

In Brasilien, der anderen aufsteigenden Macht im Staudammgeschäft, sieht die Situation kaum besser aus. Für den Bau des mit einer Nennleistung von 14.000 Megawatt zweitgrößten Wasserkraftwerks der Welt, dem auf der Grenze zwischen Paraguay und Brasilien am Paraná-Fluss gelegene Itaipu-Damm, wurden in den 1980er Jahren etwa 1.500 indigene Guaraní umgesiedelt. Sowohl in Brasilien als auch in Paraguay regierten damals Militärdiktaturen und bei der Umsiedelung der Indigenen kam es zu psychologischen und physischen Aggressionen gegen die betroffenen Indigenen, und sogar Morden, wie eine Wahrheitskommission zum Staudammbau in diesem Jahr dokumentieren konnte. Im Jahr 1981 ließen sich MitarbeiterInnen der binationalen Itaipu-Gesellschaft sogar dabei fotografieren, wie sie Dörfer von Indigenen abbrannten.[4]

Solche schwerwiegenden sozialen und menschenrechtlichen Probleme von Wasserkraftwerken sind keine Ausnahmen, sondern die Regel. Nach Schätzungen von International Rivers wurden weltweit zwischen 40 und 80 Millionen Menschen für Dämme umgesiedelt, für die meisten bedeutete dies eine Verschlechterung ihrer Lebenssituation.

Beim Bau des drittgrößten Staudamms der Welt, Belo Monte in Brasilien, kam es ebenfalls zu massiven menschenrechtlichen Problemen. Die zuständige Staatsanwaltschaft von Altamira ermittelt in dem Zusammenhang wegen Ethnozids, da betroffenen Indigenen die Lebensgrundlage genommen wurde. Dabei verdienten auch europäische Konzerne an dem Bau mit, da sie Turbinen lieferten oder die (Rück-)Versicherung für das Projekt übernahmen.[5] Am Tapajós-Fluss plant die neue brasilianische Regierung den Bau mehrerer weiterer Staudämme, die katastrophale Folgen für den amazonischen Regenwald und die dort lebenden Indigenen hätten. Bereits seit vielen Jahren leisten indigene Munduruku Widerstand gegen diese Zerstörung und besetzen immer wieder Baustellen von Staudämmen und verzögern so empfindlich deren Bauzeiten.

Profite auf Kosten der Bevölkerung
Wasserkraftprojekte sind oft die Türöffner für andere Industrien in entlegenen Regionen und gehen mit dem Bau von Straßen einher. In erster Linie profitieren diejenigen, die an ihrem Bau beteiligt sind oder am Export des Stroms verdienen, sowie energieintensive Industrien wie Bergbau und Aluminiumverhüttung - nicht die lokale Bevölkerung. Mit Staudämmen können auch Stromschnellen überflutet werden, um Flüsse für die Schifffahrt zu erschließen, wie es bei Staudämmen am Tapajós geplant ist. So will die brasilianische Regierung entlegene Regionen für die expandierende Agrarindustrie erschließen.

Der Bau von Staudämmen zieht also nicht nur unmittelbare, lokale Folgen nach sich, sondern ist gleichzeitig auch Katalysator für weitere Landkonflikte in der gesamten Amazonasregion. Dem Jahresreport der Nichtregierungsorganisation Global Witness zufolge wurden im vergangenen Jahr in Brasilien 57 MenschenrechtsverteidigerInnen ermordet, mehr als in jedem anderen Land. Die meisten dieser Morde erfolgten im Kontext von Landkonflikten im Zusammenhang mit Agrarindustrie, Bergbau oder Wasserkraftprojekten in der Amazonasregion. Die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Kosten von Staudämmen sind nicht zu rechtfertigen.


Autor Thilo F. Papacek ist Projektreferent bei der Initiative GegenStrömung, die sich mit den menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Folgen von Wasserkraftwerken beschäftigt.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.



Anmerkungen

1. http://congress.hydropower.org/.

2. International Hydropower Association (2018): 2018 Hydropower Status Report. IHA London, S. 16f.
https://www.hydropower.org/download/file/nojs/18956.

3. International Rivers (2003): Human Rights Dammed Off at Three Gorges.
https://www.internationalrivers.org/resources/human-rights-dammed-off-at-three-gorges-4032

4. https://theintercept.com/2018/06/12/fotos-funcionarios-itaipu-incendioindigenas/.

5. GegenStrömung (2014): Der Belo-Monte-Staudamm und die Rolle europäischer Konzerne.
http://www.gegenstroemung.org/web/wp-content/uploads/2014/07/GegenStr%C3%B6mung_Belo-Monte-und-Europ-Konzerne_2014.pdf

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Quelle:
Rundbrief 4/2018, Seite
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 910, Fax: 030/678 1775 80
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Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2019

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