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ENERGIE/086: Chile - Licht in Wüstendorf... Indigene Solaringenieurinnen verändern das Leben in Caspana (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. September 2015

Chile: Licht im Wüstendorf - Zwei indigene Solaringenieurinnen verändern das Leben der Menschen von Caspana

Von Marianela Jarroud



Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Liliana Terán (links) und ihre Kusine Luisa haben sich am indischen 'Barefoot College' (Universidad Descalza) zu Solaringenieurinnen ausbilden lassen
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CASPANA, CHILE (IPS) - Liliana und Luisa Terán stammen aus einer Ortschaft in der Atacama-Wüste im Norden Chiles. Ein Lehrgang in Indien hat das Leben der indigenen Frauen grundlegend verändert und ihrer Ortschaft Caspana zu Solarstrom verholfen.

"Am Anfang hatten die Leute hier ihre Schwierigkeiten, sich vorzustellen, dass wir etwas gelernt haben könnten", berichtet Liliana Terán ein. "Am Anfang haben sie uns nichts zugetraut, weil wir Frauen sind. Doch inzwischen sind sie begeistert und respektieren uns."


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Die Indigenenortschaft Caspana in der Atacama-Wüste im Norden Chiles
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Auch ihre Kusine Luisa kann sich noch gut an die Widerstände erinnern, mit denen sich die frisch gekürten 'Barefoot-Solaringenieurinnen' nach ihrer Rückkehr aus Indien konfrontiert sahen. Vor ihrem Abflug zum Subkontinent hätten sich in ihrem Dorf gut 200 Personen für die Einführung von Solaranlagen in dem Dorf interessiert. Die Nachricht jedoch, dass die beiden Frauen die Solarpanelen und -Batterien installieren und warten würden, sorgte dafür, dass es am Ende nur noch 30 waren.

"In unserem Dorf gibt es einen Ältestenrat, der die Entscheidungen trifft. Das ist eine Gruppe, der ich nie angehören werde", versichert Luisa Terán und deutet an, dass eine solche Entscheidung Freiheit bedeutet.

Die 43-jährige Mutter eines Adoptivkindes betreibt eine kleine Farm und beschäftigt sich in ihrer Freizeit mit der Erstellung von Felsmalereien. Sie hat eine weiterführende Schule in Calama 85 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt und später eine Vielzahl von Kursen inklusive Pädagogik besucht.

Ihre Kusine Liliana ist 45 Jahre alt, verheiratet, Mutter von vier Kindern und vierfache Großmutter. Auch sie hat die Sekundarstufe abgeschlossen und Kurse belegt. Sie konzentrierte sich vor allem auf den Tourismus, den sie für eine gute Ergänzung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft betrachtet, der Einkommen sichert und der Landflucht entgegenwirkt.


Energieautonomie

Das Leben in der Atacama-Wüste ist alles andere als einfach, was die beiden Indigenen mit ihren wettergegerbten Gesichtern aus eigener Erfahrungen wissen. Ihnen kommt die Aufgabe zu, Caspana zu einem Mindestmaß an Energieautonomie zu verhelfen.

Caspana, was in der Ende des 19. Jahrhunderts ausgestorbenen Sprache der ethnischen Kunza soviel wie 'Söhne der Senke' ('hijos de la hondada') bedeutet, liegt im Tal El Alto Loa 3.300 Meter über dem Meeresspiegel. 150 der 400 Einwohner leben ständig in der Ortschaft, die restlichen arbeiten außerhalb und kommen nur an den Wochenenden zurück. Sie alle sind Angehörige der Volksgruppe der Atacameño, auch Atacama, Kunza oder Apatama genannt, die heute im Norden Chiles und Nordwesten Argentinien leben. "Jedes Jahr verlassen etwa zehn Familien Caspana, damit ihre Kinder zur Schule gehen können oder junge Leute eine Arbeit finden", berichtet Luisa Terán.


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Auch die Grundschule von Caspana 1.400 Kilometer nördlich der chilenischen Hauptstadt Santiago verfügt inzwischen über Sonnenselektoren
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Bis 2013 verfügte die Siedlung ausschließlich über einen Stromgenerator, der jeden Haushalt abends zweieinhalb Stunden lang mit Strom versorgte. Immer wenn der Generator schlappmachte - was sehr häufig der Fall war, - gingen im 127 Haushalte zählenden Dorf die Lichter aus.

Heute spielt der Generator nur noch als alternative Stromquelle eine Rolle. Den beiden Kusinen ist zu verdanken, dass 127 Haushalte nun energieunabhängig geworden sind und jeden Tag drei Stunden Strom erhalten. Jedes einzelne Wohnhaus ist mit einem Zwölf-Volt-Solarmodul, einer Zwölf-Volt-Batterie und einer Vier-Ampère-LED-Lampe sowie einer Acht-Ampère-Kontrollbox ausgestattet.

Das Equipment ist ein Geschenk des italienischen Stromversorgers 'Enel Green Power', der zusammen mit Chiles Nationalen Frauendienst (SERNAM) und dem Regionalbüro des chilenischen Energieministeriums die Schulung der beiden Frauen am 'Barefoot College' in Indien unterstützt hatte.

Das Barefoot College ist eine Nichtregierungsorganisation, die seit mehr als 40 Jahren Basisdienstleistungen und Lösungen für Probleme in ländlichen Gebieten anbietet. Bereits mehr als 700 Frauen aus Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas aber auch Indiens haben die Lehrgänge absolviert, die sie zu 'Barefoot-Solaringenieurinnen' machten.

Im Gegenzug haben sich die Kursteilnehmerinnen verpflichtet, über einen Zeitraum von fünf Jahren Solarmodule in ihren Dörfern zu installieren, zu reparieren und zu warten. Auch sind die Frauen angehalten, eine Werkstatt einzurichten, in der sie die Reparaturen durchführen und Ersatzteile lagern.

Die Indienreise von Liliana und Luisa Terán liegt inzwischen mehr als drei Jahre zurück.

Im März 2012 hatten sich die beiden Kusinen in Begleitung von anderen Frauen aus der Atacama-Wüste nach Tilonia im nordwestlichen indischen Bundesstaat Rajasthan aufgemacht, wo das 'Barefoot College' liegt.

"Wir hatten eine Anzeige gelesen, dass man dort zu Ausbildungszwecken nach Frauen im Alter zwischen 35 und 40 suchte", so Luisa Terán. "Ich war sehr interessiert, doch als man mir sagte, dass ich ein halbes Jahr weg sein würde, war ich unsicher. Das ist schließlich eine lange Zeit, die man von der Familie getrennt ist." Als ihre Schwester ihr versprach, die Tochter zu versorgen, beschloss sie die Reise zu machen - allerdings ohne Außenstehende über den Zweck der Reise zu informieren.

Das Leben auf einem anderen Kontinent sei nicht so einfach gewesen, berichten beide Kusinen. Sie hätten auf dünnen Matratzen auf harten Holzgestellen geschlafen. In den Schlafzimmern hätten sich Käfer getummelt, und warmes Wasser zum Waschen habe es nicht gegeben. Und auch die ungewohnten Speisen hätten ihnen zu schaffen gemacht.


Anpassungsschwierigkeiten

"Ich brauchte drei Monate, bis ich mich eingelebt hatte", erinnert sich Luisa Terán. "Die meiste Zeit hatte ich Bauchschmerzen, sicherlich weil viele der Nahrungsmittel gebraten waren. Ich habe mich weitgehend an Reis gehalten und bin abgemagert. Meine Kusine aber", so die Indigene mit einem Lachen in Richtung Liliana Terán, "die ebenfalls nur Reis gegessen hat, ist dicker geworden."

Nach ihrer Rückkehr begannen die Frauen mit der Umsetzung dessen, was sie in Indien gelernt hatten. Für umgerechnet 45 US-Dollar installierten sie die kleinen Solar-Units an Wohngebäuden. Für die Wartung und Reparatur der bisher 127 Solarpanelen bezahlt ihnen die Gemeinde alle zwei Monate jeweils 75 Dollar. "Wir nehmen unsere Aufgabe sehr ernst", versichert Luisa Terán. "So haben wir Enel aufgefordert, uns nicht nur die Basisteile zu liefern, sondern auch alles andere, was für die Installation erforderlich ist."

Dann jedoch seien zehn Batterien defekt gewesen. Doch der Stromversorger habe sich geweigert, sie gegen einwandfreie Batterien einzutauschen. "Das war's dann mit der Zusammenarbeit", mein Terán. Beide Kusinen hätten ein Dokument unterzeichnen müssen, wonach die Zusammenarbeit abgeschlossen sei. Seither warten mehr als 40 Familien darauf, an Solaranlagen angeschlossen zu werden.

Es gibt Menschen in der Ortschaft, die sich den Kauf einer solchen Grundausstattung nicht leisten können. Das bedeutet, dass in diesen Fällen Spenden benötigt werden.

Trotz aller Herausforderungen freuen sich beiden Indigenen über die wichtige Rolle, die sie für ihr Dorf spielen. "Die Menschen hier respektieren uns und das, was wir tun. Viele der Ältesten waren erst überzeugt, als die erste Solarzelle in Betrieb ging und ihnen dabei die Bedeutung klar wurde, die der Naturstrom mit sich bringt. Die lange Warteliste mit den Namen von Solarkraft-Interessenten spricht für sich."

Luisa Terán ist fest davon überzeugt, zusammen mit ihrer Kusine für die Frauen etwas bewegt zu haben. Sogar die "Patriarchen" des Ältestenrates hätten inzwischen einräumen müssen, dass nur wenige Männer den Mut gehabt hätten, eine solch weite Reise zu unternehmen, um etwas zu lernen, das sich als nützlich für ihre Gemeinde herausgestellt hätte.

Nachdem die Lokalregierung von Calama die Arbeit der beiden Frauen begutachtet hatte, war sie schnell bereit, in die Installation von Solarkraft zur Beleuchtung der öffentlichen Gebäude wie Gesundheitszentren zu investieren.

"Wenn ich male, kommt manchmal ein Nachbar vorbei, der Näheres über unsere Reise nach Indien wissen will. Wenn ich dann zu erzählen beginne, durchlebe das alles noch einmal. Ich bin mir sicher, dass ich den Rest meines Lebens von dieser Erfahrung zehren kann. Und wenn ich nochmal vor einer ähnlichen Entscheidung stünde - ich würde es tun." (Ende/IPS/kb/03.09.2015/2015)



Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/08/dos-ingenieras-solares-indigenas-cambiaron-su-pueblo-en-chile/
http://www.ipsnews.net/2015/09/two-indigenous-solar-engineers-changed-their-village-in-chile/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2015

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