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ENERGIE/017: Ende des Atomzeitalters? - UNO-Bericht schlägt Ausstiegs-Szenarien vor (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 20 vom 20. Mai 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Hintergrund

Ende des Atomzeitalters?
Uno-Bericht schlägt Ausstiegs-Szenarien vor

Von Hans-Peter Brenner


Jetzt hat auch der UNO-Rat für Klimafragen, das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change; Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen), den Ausstieg aus der Kernenergie als machbare Alternative verkündet. Damit bezieht das wohl bekannteste Gremium in Sachen Klimaschutz und Klimawandel eindeutig Position gegen die von der Atomindustrie verkündete Propagandalüge "Atomkraft ist klimafreundlich".

In dem am vergangenen Montag in Abu Dhabi vorgelegten "Energiebericht", der von 120 Wissenschaftlern aus aller Welt erstellt worden war, der sogenannten "Arbeitsgruppe III", kommt der IPCC nach 900 Seiten kurz und bündig zu dem Fazit: bis 2050 können 80 Prozent des weltweiten Energiebedarfs aus Erneuerbaren Energiequellen stammen. Bislang sind es nur 13 Prozent.

Das Ende des "Atomzeitalters" - wenn auch nicht auf militärischem Sektor - ist ein weiteres Stückchen näher gerückt, denn das vom IPCC vorgelegte Energieprogramm ist mehr als nur ein Wandel einer bestimmten Technologievariante. Generationen sind weltweit in dem Glauben aufgewachsen, mit der Atomenergie stehe eine schier unerschöpfliche und "saubere" Quelle friedlich zu nutzender Energie zur Verfügung. Die Schrecken von Hiroshima und Nagasaki waren nach Kriegsende schnell in ein diffuses historisches Licht getaucht. Das "Atomzeitalter" - so versprachen seine Propheten - werde "Wohlstand für alle" bringen.

Auch an der Arbeiterbewegung war dieses Zukunftsversprechen nicht spurlos vorbeigegangen. Galt doch für die Kommunisten schon nach dem Ersten Weltkrieg "Sozialismus ist Elektrizität plus Sowjetmacht". Hatte nicht Lenins berühmter GOELRO-Plan zur Elektrifizierung der jungen Sowjetunion alle auf Fortschritt (im weitesten Sinne) orientierten Kommunisten-Herzen höher schlagen lassen? Bewiesen nicht die ersten sowjetischen Atomeisbrecher, wie nützlich die Kernkraft sein würde? Und hatte nicht auch die bürgerlich gewordene ehemalige Arbeiterpartei SPD im Godesberger Programm von 1959 die wunderbaren Perspektiven des "Atomzeitalters" zu würdigen gewusst? Zwar auch mit einem kleinen Schlenker, in dem von der "Widersprüchlichkeit" dieser ansonsten unerschöpflichen Verheißung für ein besseres Leben die Rede war, aber ansonsten war es auch für die Sozialdemokratie klar, dass die Atomkraft für die arbeitenden Menschen von großem Nutzen sein würde.

Die Faszination und die Verheißung die von der "friedlichen Nutzung der Kernenergie" ausging und die die friedensbewegten Ostermarschierer das "Go Ami, Ami, Ami go home! Spalt´ für den Frieden dein Atom!" singen ließen, wirkte lange nach. Und dann auch noch das Argument von der angeblichen "Klimafreundlichkeit". War da nicht trotz allen Unbehagens über die ungelöste Endlagerung was dran?


Voraussetzungen und Kosten des weltweiten Ausstiegs

Deshalb ist es sehr bedeutsam, dass das IPCC nun deutlich ausdrückt, dass mit der Atomenergie keine Zukunft mehr zu gewinnen ist. Voraussetzungen zur Verwirklichung des IPCC-Konzeptes seien aber "optimale politische Bedingungen und hohe Investitionen" für die Erneuerbaren Energien. Der IPCC rechnete dazu 164 Zukunftsszenarien durch, von denen vier beispielhafte genauer analysiert wurden.

In den insgesamt vier näher geprüften Beispielszenarien gingen die Forscher für den Zeitraum 2011 bis 2020 von Investitionen in Höhe von 1 360 bis 5 100 Milliarden US-Dollar (949 bis 3.562 Mrd. Euro) aus. Für das folgende Jahrzehnt setzten sie 1.490 bis 7.180 Milliarden US-Dollar (1.041 bis 5.014 Milliarden Euro) an.

Das Ergebnis ist laut IPCC so zusammenzufassen: Auch in rund 40 Jahren könne die Menschheit nicht völlig auf Kohle, Gas und Erdöl verzichten. Je nach Ausmaß der Unterstützung durch Politik und Wirtschaft könnten die Erneuerbaren Energien 2050 aber weltweit einen Anteil von bis zu 77 Prozent erreichen. Das Geld müsse aus einem "weiten Spektrum an Finanzquellen" von Politik und Wirtschaft kommen.

Das optimistischste Szenario stammte von Greenpeace. Es ist ein seit mehreren Jahren fortgeschriebenes Konzept für den klimafreundlichen Umbau der Energieversorgung mit dem Namen "Energy Revolution." Greenpeace rechnet dabei mit einer Wirtschaft, die sehr effizient mit Energie umgeht.

Nach dem pessimistischsten Szenario lag der Anteil der erneuerbaren Energien in der Mitte des 21. Jahrhunderts bei 15 Prozent. Diesem Ausstiegsszenario lag der "Weltenergieausblick" der Internationalen Energieagentur (IEA) zugrunde. Die IEA ging dabei von einer Wirtschaft aus, in der Effizienz keine besondere Rolle spielt und rechnete daher mit einem knapp doppelt so hohen Energiebedarf im Jahr 2050 wie Greenpeace. Laut IPCC werden die auf den ersten Blick enormen Kosten für die Erneuerbaren Energien insgesamt nicht höher sein als ein Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes. Außerdem müssten die derzeit künftigen Gewinne der erneuerbaren Energien in die Kalkulationen einbezogen werden; dies geschehe oftmals zu wenig. Außerdem würden die "Nebenkosten" der fossilen Energien wie Erderwärmung und Gesundheitsschäden zu gering angesetzt.

Der IPCC weist zudem darauf hin, dass für die Erreichung des IEA-Szenarios in den kommenden Jahren deutlich weniger Geld investiert werden würde, als es in den Krisenjahren 2008 und 2009 zur Stabilisierung des internationalen Banken- und Währungssystems der Fall gewesen sei.


Positive Resonanz bei Umweltverbänden

Umweltorganisationen wie Greenpeace sind - wie zu erwarten - zufrieden und reagieren positiv auf den IPCC-Bericht. Der Report zeige, dass es wissenschaftlich keine Probleme gebe, die Welt mit alternativen Energien zu versorgen", erklärte Co-Autor Sven Teske von Greenpeace International. "Technisch könnten die 560 Gigatonnen Kohlendioxid mit Erneuerbaren Energien eingespart werden, die wir brauchen, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen." Daneben müsse die Waldzerstörung zurückgehen, die zu rund 20 Prozent zum Kohlendioxidausstoß beiträgt. Die Windenergie sei in einigen Regionen schon so günstig wie die herkömmliche Stromversorgung.

Auch die Umweltstiftung WWF (World Wide Fund For Nature) begrüßte den alternativen Energiebericht: "Der Weltklimarat hat hervorragende Arbeit geleistet, beides herauszustellen: die großen Herausforderungen und die noch viel größeren Chancen und Gewinne für alle Nationen durch Erneuerbare Energien", erklärte WWF-Sprecher Stephan Singer. Der Weltklimarat zeige die mögliche Kostenreduktion der Erneuerbaren ebenso auf wie die Möglichkeit für neue Jobs. Der Report sei ein "Meilenstein auf dem Weg zu 100 Prozent Erneuerbare Energien".


Konflikte, Widersprüche und sonderbare Koalitionen

Innerhalb des IPCC kam dieses Ergebnis keineswegs unwidersprochen und konfliktfrei zustande.

Insbesondere Brasilien sowie die Ölstaaten Saudi Arabien und Katar hätten laut Greenpeace die Verhandlungen immer wieder verzögert und Kernaussagen des Reports in der Kurzfassung für Politiker verwässert.

Die Ölstaaten hätten zäh versucht, jeglichen Hinweis auf die technischen und wirtschaftlichen Potenziale der Erneuerbaren Energien in dem Papier zu tilgen. Damit seien sie aber nur gelegentlich erfolgreich gewesen, meinte Teske. Brasilien wiederum wollte alle Aussagen darüber blocken, dass es für Agrartreibstoffe glaubwürdige Nachhaltigkeitsvorgaben braucht, damit sie dem Klima nutzen und nicht durch Regenwaldzerstörung oder den Umbruch von Naturlandschaften zu Äckern sogar noch mehr Treibhausgase freisetzen. Doch schließlich obsiegte eine merk- und denkwürdige "Koalition der Willigen und Vernünftigen".

Kommunisten und andere Linke könnten sich dabei gleich in doppelter Hinsicht angesprochen und bestätigt fühlen: als Bürger des bundesdeutschen Staates, in dem eine mittlerweile unübersehbare Massenbewegung für einen Ausstieg aus der Atomenergie Druck macht und als "Internationalisten".

Zum Ersten: Ein Deutscher, Professor Ottmar Edenhofer, ist Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des IPCC und hat als Hauptautor den Bericht mitverfasst. Edenhofer ist Chefvolkswirt des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und zudem Professor für Klimaökonomie an der Technischen Universität Berlin. Er gilt als Klimaberater der Bundesregierung und zählt keinesfalls zu den politischen "Systemveränderern". In seiner Person werden Möglichkeiten, aber auch die Widersprüchlichkeiten einer großen antimonopolistischen Bewegung gegen die Macht der Atomindustrie deutlich.

Edenhofer war auf der 29. Versammlung des IPCC zum Vorsitzenden der Arbeitsgruppe III ernannt worden. Nach seiner Wahl hatte er für die kommenden sieben Jahre Überlegungen zu Lösungsstrategien für die Klima- und Energieproblematik angekündigt, womit auch das Fundament für den äußerst fragwürdigen weltweiten Emissionshandel gelegt werden sollte. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte er angekündigt, dass im Dialog mit der "Arbeitsgruppe II" des IPCC "Klimafolgen, Anpassung und Vulnerabilität" erörtert werden müsste, wo die "Grenzen der Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft" liegen und welche Handlungsoptionen bestehen. Edenhofer kündigte eine Reihe von Sonderberichten an.

Der erste zur Bedeutung der erneuerbaren Energien für die Klimapolitik liegt nun vor. "Mit einer konsistenten Klimaund Energiepolitik können erneuerbare Energiequellen bedeutend zum menschlichen Wohlbefinden und einer nachhaltigen Energieversorgung beitragen", so kommentierte Edenhofer nun den Energie-Bericht.

Edenhofer will laut Presseerklärung des Potsdam-Instituts "Unternehmen und Nicht-Regierungs-Organisationen" in Expertenworkshops einladen, ihr Wissen in die Sachstands- und Sonderberichte des IPCC einfließen zu lassen. "Wir brauchen diese Expertise", erklärte Edenhofer und betonte, dass es nicht Aufgabe des IPCC sei, Politik zu ersetzen, sondern als "ehrlicher Makler zwischen Wissenschaft und Gesellschaft" das notwendige Wissen für vernünftige Entscheidungen bereitzustellen. Ein Energie-"Revolutionär" klingt wahrlich anders und würde eine Kooperation zwischen der Atomindustrie und deren Kritikern eher als "lächerlich" bewerten. Doch kann man wohl nicht umhin, dem Potsdamer Professor ein großes Geschick als "Reformator" zu attestieren. Weitere Sonderberichte zur Verknüpfung regionaler Kohlenstoffmärkte und zur Anpassung und Vermeidung in Megastädten sollen folgen. Das Büro der "Arbeitsgruppe III", die sogenannte Technical Support Unit, ist am PIK angesiedelt. Potsdam wird als bedeutender Standort für die Entwicklung internationaler Klimaschutzkonzepte weiter ausgebaut.

Zum Zweiten: Ein weiterer Ko-Vorsitzender der "Arbeitsgruppe III" ist der Kubaner Ramon Pichs vom Wirtschaftsforschungszentrum in Havanna. Er betonte: "Der Bericht zeigt, dass es nicht um das Vorhandensein der Ressourcen geht, sondern um die Politik." Davon hänge ab, in welchem Tempo der Anteil erneuerbarer Energien weltweit steigen werde. Denn das technische Potenzial der erneuerbaren Energien liege weltweit um ein Vielfaches höher als die heutige globale Energienachfrage.

Sein malischer Kollege und dritter Ko-Vorsitzender, Youba Sokona, der für das Afrika Klimapolitikzentrum in Äthiopien arbeitet, lobte, dass die erneuerbaren Energien "die Bedürfnisse der Armen befriedigen" könnten. Das Wachstum der erneuerbaren Energien könne auch zu einem bedeutsamen Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern beitragen.

Zeitgleich zum IPCC-Bericht wurde ein weiterer Bericht über die Folgen des Klimawandels von einem Staat vorgelegt, dem man normaler Weise eine solche Aktivität nicht zutrauen würde: vom Vatikan. Er veröffentlichte einen Bericht zur weltweiten Gletscherschmelze, in dem führende internationale Wissenschaftler eindringlich vor den Folgen des Klimawandels warnen.

Im Report wurden zahlreiche Fälle des Rückgangs von Gletschern aufgelistet. So sei in den Alpen bereits die Hälfte der Eismasse verschwunden. Dieser Trend habe dort seit 30 Jahren deutlich an Tempo gewonnen. Auch im Himalaja schrumpften Tausende kleiner Gletscher. Dem Report zufolge sind globale wie auch regionale Ursachen für die Gletscherschmelze verantwortlich.

Neben den Treibhausgasen seien Ruß und Staub wichtige Verursacher, so dass es zu einer bedeutenden Erwärmung in Höhenlagen komme. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gehörte zu der für den Bericht von der VatikanAkademie der Wissenschaften ausgewählten Arbeitsgruppe.

Rhein-Anlieger und die Rhein-Schifffahrt erleben gegenwärtig durch den ungewöhnlich niedrigen Wasserstand die Folgen der Gletscherschmelze. Spaziergänge auf dem Grund des Rheines, die in den letzten Jahren erst im Spätsommer möglich waren, sind schon jetzt Gang und Gäbe.

Ob "Vater Rhein" das recht und lieb ist, mag bezweifelt werden.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 20 vom 20. Mai
2011, S. 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2011