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CHEMIE/053: Die Weltgemeinschaft im Auftrag für eine chemikaliensichere Zukunft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2019

Schutz der Umwelt und Gesundheit
Die Weltgemeinschaft im Auftrag für eine chemikaliensichere Zukunft

von Marijana Todorovic


Chemikalien sind überall - in den Produkten, die wir kaufen, den Kleidern, die wir tragen, in unserem Essen, unserem Trinkwasser und in der Luft, die wir atmen. Klar ist auch, dass Chemikalien einen wichtigen Beitrag zu medizinischen, technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen leisten. Ohne Chemikalien wäre ein Leben, wie wir es heute führen, gar nicht möglich. Wo die von ihnen ausgehende Gefahr für unsere Gesundheit oder unsere Umwelt nicht einschätzbar oder sogar bewiesen ist, muss der Gebrauch von Chemikalien substituiert, eingeschränkt oder ganz verboten werden. Um sich dafür stark zu machen, hat die internationale Staatengemeinschaft einen Prozess in Gang gesetzt, der zu mehr Sicherheit im Umgang mit Chemikalien weltweit führen soll.


Die Weichen für ein gemeinsames Vorgehen zum verantwortlichen Umgang mit Chemikalien weltweit wurden 2002 beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg gestellt. Als Ziel hat die Staatengemeinschaft damals vereinbart, die negativen Auswirkungen von Chemikalien auf die menschliche Gesundheit und Umwelt bis zum Jahr 2020 zu reduzieren.

SAICM: Der Strategische Ansatz
Diesem Ziel folgend wurde in Dubai 2006 die erste Rahmenvereinbarung zur globalen Chemikalienstrategie (SAICM = Strategic Approach to International Chemicals Management) bis 2020 verabschiedet. SAICM ist eine völkerrechtlich nicht bindende Multi-Stakeholder-Plattform unter dem Dach der Vereinten Nationen (UN), in der staatliche und nichtstaatliche AkteurInnen aus aller Welt und verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sektoren gemeinsam das Ziel verfolgen, Aspekte der Chemikaliensicherheit von der Herstellung über die Verwendung bis zur Entsorgung der verschiedenen Chemikalien zu verwalten.

Im Vordergrund steht dabei der Aufbau einer globalen, institutionellen Architektur mit strategischen Zielen und Unterzielen, sowie der Ausbau nationaler Kapazitäten und länderübergreifender Partnerschaften. Eine große Herausforderung stellen die bisher unzureichende Finanzierung für den Kapazitätsaufbau in Ländern des Globalen Südens und der mangelnde Umsetzungswillen einzelner - insbesondere Industrieund Schwellenländer dar.

Alle unter einem Dach?
Es gibt bereits mehrere Abkommen über einzelne Chemikalien oder bestimmte Abschnitte des Lebenszyklus von Chemikalien, wie beispielsweise das Basler Übereinkommen, in dem grenzüberschreitende Transporte gefährlicher Abfälle geregelt sind oder auch das Rotterdamer Übereinkommen, in dem festgelegt ist, dass bei bestimmten Chemikalien der Export vom importierenden Land erlaubt werden muss. Eine wichtige Rolle spielt auch das Stockholmer Übereinkommen, durch welches bestimmte langlebige, organische Schadstoffe (POPs - persistent organic pollutants) eingeschränkt oder verboten werden können.

Trotz all dem ist über diese (und weitere) Abkommen nur der Umgang mit einem Bruchteil aller Chemikalien geregelt, die weltweit im Umlauf sind und das auch nur in bestimmten Situationen. Die Aufgabe eines zukünftigen SAICM ist es, ein solides Management aller Chemikalien weltweit und während ihres gesamten Lebenszyklus zu erreichen. Es soll neben den bestehenden Übereinkommen existieren und diese ergänzen.

Die Zivilgesellschaft vernetzt sich
Das Netzwerk, in dem Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus der ganzen Welt zusammenarbeiten, heißt IPEN (International POPs Elimination Network). In dem 1998 gegründeten NGO-Netzwerk sind mittlerweile über 500 Organisationen aus mehr als 100 Ländern Mitglied. Der Großteil der Aktiven kommt aus Ländern des Globalen Südens.

Das Ziel von IPEN ist es, eine giftfreie Zukunft zu schaffen. Dazu gehören Themen, wie der Schutz von Frauen und Kindern vor giftigen Chemikalien, die Reduktion und Beseitigung der gefährlichsten Chemikalien, das Verbot von Blei in Farben und die Verringerung der Quecksilberbelastung. Außerdem fordern die unter dem Dach von IPEN organisierten Organisationen, dass die Hersteller über Chemikalien in ihren Produkten umfassend informieren. Darüber hinaus wird das Konzept der Agrarökologie(1) genauso propagiert wie die Herstellung giftfreier Elektrogeräte.

Auch die deutsche Zivilgesellschaft bekennt sich in ihrer Stellungnahme vom Februar 2019(2) klar zum übergeordneten Ziel des Schutzes der Umwelt und Gesundheit sowie der Vermeidung und Minimierung des Einsatzes von gefährlichen Chemikalien und Pestiziden. Um die Belastung durch Chemikalien auf Natur und Menschen so weit wie möglich zu vermeiden, fordert sie Unternehmen auf, wo möglich nicht-chemische bzw. sichere Alternativen zu entwickeln, diesen stets den Vorrang zu gewähren sowie Transparenz im gesamten Lebenszyklus von Chemikalien von der Produktion bis zur Entsorgung zu schaffen.

Für eine nachhaltige Entwicklung
Weltweit wird die Umwelt durch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden stark in Mitleidenschaft gezogen. Gleichzeitig spielen Chemikalien eine Schlüsselrolle für die Bekämpfung von Armut und Krankheiten, die Verbesserung von Gesundheits- und Umweltbedingungen sowie die Erhaltung bzw. Erhöhung der Lebensstandards von Menschen in allen Ländern, unabhängig ihres Entwicklungsstandes. Obwohl einige besonders gefährliche Chemikalien wie das Insektizid DDT oder der Giftstoff PCB weltweit verboten sind, nimmt die Produktion und der Gebrauch giftiger Chemikalien zu. Bis 2030 soll sich die Chemieindustrie insgesamt verdoppeln.(3) Momentan kommen jedes Jahr rund 1500 neue Chemikalien auf den Markt. Beides ist unter anderem auf die rasant wachsende Produktion von Konsumgütern in sogenannten Schwellenländern zurückzuführen sowie auf die zunehmend komplexeren und globalisierten Handelsströme. Insbesondere in Ländern des Globalen Südens, in denen gleichzeitig die wenigsten Ressourcen für einen ausreichend geregelten Umgang mit Chemikalien vorhanden sind, gibt es keine ausreichenden Gesetze und Mechanismen zur Durchsetzung, um Menschen vor der Belastung durch Chemikalien zu schützen. Nicht einmal das Globale Harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (GHS), ist bis dato noch immer in mehr als 120 Ländern nicht implementiert worden.(1) Umso erstaunlicher ist es, dass die entwicklungspolitische Community - zumindest hierzulande - das Thema Chemikaliensicherheit für eine nachhaltige Entwicklung bisher noch so gut wie nicht auf dem Schirm zu haben scheint. Gesundheit ist eine Hauptursache von Armut und spielt damit auch eine bedeutende Rolle für nachhaltige Entwicklung. Daher werden auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die internationale Arbeitsorganisation (ILO) in den SAICM-Prozess miteinbezogen. Laut WHO sind im Jahr 2016 etwa 1,6 Millionen Menschen wegen gesundheitlicher Belastung aufgrund einzelner Chemikalien gestorben.(4) Die gesundheitliche Belastung am Arbeitsplatz aufgrund von Chemikalien ist Todesursache Nummer 1 bei der Arbeit. Besonders gravierend für die Menschen ist die Arbeit in Färbereien, Gerbereien, Minen, Mülldeponien und auf dem Acker, z. B. bei der Baumwollernte oder dem Rosenschneiden. Vieles sind Jobs, die zudem leider oft vor allem von Frauen geleistet werden. Schwangere Frauen und Kinder sind in dieser Hinsicht besonders gefährdet. Wenn wir die Ziele für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN) bis 2030 auch nur ansatzweise erreichen möchten, kommen wir nicht darum herum, uns für eine chemikaliensicherere Umwelt einzusetzen.

2020: Deutschland und die EU-Ratspräsidentschaft
Deutschland kommt gleich in mehrerer Hinsicht eine besonders gewichtige Rolle im laufenden SAICM-Prozess zu. Zum einen hat das deutsche Umweltministerium die Präsidentschaft für die Verhandlungen bis zu deren Abschluss auf der entscheidenden Konferenz im Oktober 2020 inne. Gleichzeitig übernimmt die Bundesregierung im 2. Halbjahr 2020 auch die EU-Ratspräsidentschaft. Als einer der größten Chemiestandorte der Welt kommt auch der deutschen Industrie die besondere Verantwortung zu, sich überdurchschnittlich zu engagieren, um in der Produktion weltweit Schutz vor gefährlichen Chemikalien für die Menschen und unsere Umwelt zu gewährleisten - dafür braucht es ein möglichst verbindliches internationales Abkommen nach 2020 sowie bessere nationale Gesetze und Regelungen.

Die Liste der Aufgaben für die deutsche Regierung im Hinblick auf das Umwelt-Jahr 2020 ist lang: Neben SAICM tagt auch noch die Konvention für Biologische Vielfalt, die Gemeinsame Agrarpolitik der EU wird neu ausgerichtet und sowohl die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN als auch die Klimaziele werden evaluiert. Es bleibt abzuwarten, ob es der deutschen Regierung gelingen wird, all diese Konferenzen wegweisend mitzugestalten und auch die Zusammenhänge dieser wichtigen Themen zu erkennen und zu nutzen. Indessen ist es die Aufgabe der Zivilgesellschaft, der Regierung bei diesen Aufgaben auf die Finger zu schauen - und zwar sowohl von der Umwelt- als auch der Entwicklungsseite.


Autorin Marijana Todorovicist Referentin für internationale Chemikalienpolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.


1) https://www.forumue.de/wp-content/uploads/2019/01/ Positionspapier_Agrar%C3%B6kologiest%C3%A4rken_Januar-2019.pdf.

2) https://www.forumue.de/wp-content/uploads/2019/02/Stellungnahme-dt.NGOs-zu-SAICM-Post2020.pdf.

3) https://papersmart.unon.org/resolution/ uploads/k1900123.pdf#overlay-context=pre-session-unea-4.

4) https://apps.who.int/iris/bitstream/ handle/10665/206553/WHO_FWC_PHE_EPE_16.01_eng.pdf?sequence=1.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Baumwollplantagen sind durch den hohen Pestizideinsatz reinste Chemiekeulen. Während ein Baumwollshirt oft nur ein paar Euro kostet, bezahlen viele FeldarbeiterInnen mit ihrer Gesundheit.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2019, Seite 32 - 33
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2019

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