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ASIEN/069: Japan - Ökologische Ethik gefragt, Experten suchen nach neuen Nachhaltigkeitsmodellen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2012

Japan: Ökologische Ethik gefragt - Experten suchen nach neuen Nachhaltigkeitsmodellen

von Suvendrini Kakuchi



Tokio, 12. Juni (IPS) - Namhafte japanische Umweltschützer werben im Vorfeld der UN-Konferenz 'Rio+20' für ein ökologisches Ethikkonzept, das zu mehr Verantwortlichkeit im Sinne der nachhaltigen Entwicklung beitragen soll.

"Umwelt-Ethik basiert auf der Vorstellung, dass die Menschen Verantwortung für den Schutz der natürlichen Ressourcen und der Artenvielfalt übernehmen. Indem wir diesen Aspekt hervorheben, wehren wir uns gegen eine Wertigkeit, die dem Wirtschaftswachstum Priorität einräumt und die bereits den Verlauf früherer Erdgipfel bestimmt hat", sagte der Entwicklungsexperte Ryoichi Yamamoto, der früher an der Universität von Tokio lehrte.

20 Jahre nach dem historischen Erdgipfel in Rio de Janeiro werden die Teilnehmer von 'Rio+20' über den Übergang zu einer grünen Wirtschaft verhandeln. Aktivisten bemängeln jedoch, dass die Debatte wie so oft seit 1992 zu stark auf Technologien gegen die Umweltverschmutzung und auf die Ausbeutung von Rohstoffen zur Förderung des Wirtschaftswachstums abzielt. Ein solcher Ansatz ist ihrer Meinung nach nicht geeignet, um die natürlichen Ressourcen und fragilen Ökosysteme zu schützen.

Mehr als 100 Staaten einigten sich beispielsweise auf das ehrgeizige Ziel, den Anstieg der Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Die Obergrenze für Schadstoffemissionen wurde auf 100 Milliarden Tonnen Kohlendioxid bis 2050 festgesetzt. Dieses Ziel ist allerdings kaum zu erreichen. Aus vielen Studien geht hervor, dass in den vergangenen neun Jahren bereits ein Drittel der erlaubten Emissionsmenge freigesetzt wurde, vor allem seit aufstrebende Wirtschaftsmächte wie Indien und China in großem Ausmaß CO2 ausstoßen.

Hinzu kommt, dass trotz Wachstumsraten von mehr als acht Prozent in Ländern wie China und Indien die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Dem Index der Vereinten Nationen für menschliche Entwicklung ist zu entnehmen, dass Analphabetismus und Kindersterblichkeit in den kleineren Städten Chinas fast sieben Mal höher sind als in den Großstädten.


Ethikausschuss gefordert

Um gegen diese alarmierende Entwicklung anzugehen, treibt Yamamoto eine Kampagne für die Einrichtung eines zwischenstaatlichen 'Ethikausschusses für eine ökologische Zivilisation' voran, der als Sonderorganisation der Vereinten Nationen fungieren soll. Die institutionellen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung sollen durch die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Kultur und Religion gestärkt werden.

Nach Ansicht von Yamamoto hat eine erstklassige wissenschaftliche Erforschung der Anfälligkeit von Ökosystemen aufgrund des wirtschaftlichen Wirtschaftswachs weitreichende Erkenntnisse gebracht, mit deren Hilfe sich politische Entscheidungen beeinflussen ließen. "Was jedoch fehlt, ist eine nachhaltige Entwicklung, die auf der Perspektive einer ökologischen Zivilisation basiert - einer Zivilisation, die im Einklang mit der Natur existieren könnte", sagte er.

Der Ruf nach einem ethischen Ansatz bei der Suche nach Lösungen in Rio hat sich in Japan seit der Naturkatastrophe an den Nordostküsten im März 2011 verstärkt. Nach Ansicht von Umweltaktivisten führten das Erdbeben und der Tsunami, die ganze Dörfer ausgelöscht und eine Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi mit anschließender Verstrahlung der Umgebung verursacht haben, in Japan zu einer tiefen Innenschau.

Die Katastrophe habe bewirkt, dass der wirtschaftliche Erfolg des Landes neu bewertet wurde, wie Yamamoto erläuterte. Sie habe gezeigt, dass materieller Reichtum nicht vor Umweltkrisen schütze und Umweltbelange deshalb in der Wertigkeit nicht erst an zweiter Stelle stehen dürften.

Der öffentliche Rückhalt für die Kernkraft ist in Japan drastisch zurückgegangen. Fast 70 Prozent der Bevölkerung sind inzwischen für die Abschaffung von Atomkraftwerken, die bis zur Katastrophe 2011 als Dreh- und Angelpunkt der Wirtschaft im rohstoffarmen Japan galten. Meinungsumfragen zufolge hat selbst die Gefahr von Stromengpässen im Sommer die Menschen nicht von ihrer ablehnenden Haltung abbringen können.

Angesichts der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, erklärte Takumo Yamada von Oxfam Tokio, dass Rio+20 eine wichtige Plattform für Diskussionen über Alternativen zu einem System sei, in dem multinationale Unternehmen den Kurs vorgäben, der Millionen Bauern in Entwicklungsländern betreffe. "Wir brauchen einen Paradigmenwechsel." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.uncsd2012.org/
http://www.japanfs.org/en/mailmagazine/newsletter/pages/031788.html
http://oxfam.jp/en/whatyoucan/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=108100

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. Juni 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2012