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ARTENRAUB/179: Artenschwund trifft indigene Gemeinschaften (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Oktober 2014

Umwelt: Artenschwund trifft indigene Gemeinschaften

von Stella Paul


Bild: © gkrishna63/CC-BY-ND-2.0

In den letzten 20 Jahren sind 99 Prozent aller indischen Geier verschwunden
Bild: © gkrishna63/CC-BY-ND-2.0

Pyeongchang, Südkorea, 17. Oktober (IPS) - Kimisha Thomas aus dem karibischen Inselstaat Dominica, kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als Antillen-Ochsenfrösche in ihrem Hinterhof keine Seltenheit waren. Doch inzwischen ist die Art aus der Familie der Südfrösche, die in ihrem Heimatland 'Crapaud' genannt werden, akut vom Aussterben bedroht.

Die Amphibie, die über 20 Zentimeter groß und 800 Gramm schwer werden kann, ist wichtiger Teil der nationalen Identität. Traditionell wurde sie zu festlichen Anlässen wie dem nationalen Unabhängigkeitstag verspeist. Seit sie jedoch ums Überleben kämpft, darf sie nicht mehr gejagt und verzehrt werden. Wissenschaftlern zufolge ist die Population auf 8.000 Exemplare geschrumpft.

Erste Anzeichen dafür, dass es diesen Froschlurchen mit dem wissenschaftlichen Namen Leptodactylus fallax in Dominica nicht mehr gut geht, zeigten sich vor rund zehn Jahren. Sie hätten sich lethargisch verhalten, die Haut habe Abschürfungen aufgewiesen, erläutert Thomas, Expertin im Umweltministerium ihres Landes.

"Schnell wurden die Crapauds den Menschen suspekt. Man hatte auf einmal Angst, dass sie Krankheiten übertragen könnten", fügt sie hinzu. Tatsächlich ergaben wissenschaftliche Untersuchungen, dass die Antillen-Ochsenfrösche von der tödlichen Amphibienkrankheit Chytridiomykose befallen wurden.


Wappentier verschwindet

Dominica sieht sich auch mit dem Verlust einer weiteren Tierart konfrontiert. Auch die Kaiseramazone (Amazona imperialis), auch Sisserou genannt, die es ausschließlich in diesem karibischen Inselstaat gibt, streicht das Gefieder. Dafür ist Thomas zufolge die großflächige Zerstörung ihrer Habitate, der Gebirgsregenwälder, verantwortlich.

Der Roten Liste der gefährdeten Arten des Weltnaturschutzbundes (IUCN) zufolge sind 2.599 der 71.576 kürzlich untersuchten Tierarten gefährdet. Bis 2020 soll die Zahl der berücksichtigten Spezies auf 160.000 erhöht werden. Auch wenn die Liste erst die Hälfte der weltweiten Tierspezies beinhaltet, sind die Zukunftsaussichten düster.

Der Artenschwund ist ein weltweites Problem. Doch werden die indigenen Gemeinschaften und Waldbewohner die ersten sein, die die kulturellen, wirtschaftlichen und sonstigen Folgen zu spüren bekommen. "Der Crapaud war unser Nationalgericht", so Thomas. "Die Kaiseramazone prangt auf unserer Nationalflagge. Sie zu verlieren, bedeutet den Verlust unserer kulturellen Identität."

Ähnliche Warnungen kommen von den ethnischen Parsen in Indien. Ihre Kultur sieht vor, dass die Toten in sogenannten 'Türmen des Schweigens' bestattet werden, damit sie von Greifvögeln verzehrt werden. Diese einzigartige Bestattungsart ist integraler Bestandteil des zoroastrischen Glaubens, Menschen nach ihrem Ableben der Natur zurückzugeben.

Doch in den letzten 20 Jahren sind 99 Prozent aller indischen Geier ausgestorben. Das macht es für die Parsen schwierig, an ihrer Jahrhunderte alten Tradition festzuhalten.

Abgesehen von den Rückschlägen, die der Artenschwund für die alten Kulturen und die spirituellen Praktiken bedeutet, wirkt sich der Artenschwund auch negativ auf die wirtschaftliche Lage der indigenen Gemeinschaften aus, wie Anil Kumar Singh berichtet, der vor 65 Jahren in Indiens nordöstlichen Hügelbezirken geboren wurde und dort aufgewachsen ist.


Verlust traditioneller Heilpflanzen

Wenn er als Kind krank geworden sei, habe man ihn mit lokalen Heilpflanzen behandelt, erläutert er. "Bei Schmerzen und Schnitten haben mir Vishalyakarni geholfen. Bei Husten ein Tee aus den Blättern des Indischen Lungenkrauts. Ruhr ließ sich mit Lotusblüten kurieren", erinnert er sich. "Doch inzwischen sind diese Pflanzen verschwunden. Versuche, sie wieder auszubringen, sind gescheitert. Aus uns unbekannten Gründen gehen sie ein. Das heißt, wir sind jetzt auf Medikamente aus den Apotheken angewiesen."

Zudem sind es nicht immer nur monetäre Kosten, die die Betroffenen zahlen müssen. In nordindischen Bundesstaaten wie Haryana und Uttar Pradesh gefährdet eine explosionsartige Verbreitung streunender Hunde die Gesundheit der Lokalbevölkerung.

Wie Neha Sinha von der 'Bombay Natural History Society in India' (BNHS) mit Sitz in Mumbai erklärt, lässt sich das Problem auf die gängige Praxis indischer Farmer zurückführen, verendetes Vieh den Greifvögeln zu überlassen. Doch da es kaum noch Geier gibt, sind es nun die wilden Hunde, die die Kadaver ausweiden. BNHS versucht die Geier in Gefangenschaft nachzuzüchten. Dass sie aber jemals wieder auf eine Population von wie vor 20 Jahren anwachsen, ist unwahrscheinlich.

Einer Untersuchung von 'Birdlife International' ist zu entnehmen, dass die Zahl der streunenden Hunde in Indien seit dem Verschwinden der Geier um 5,5 Millionen zugenommen hat. Dem Bericht zufolge wurden 38,5 Millionen mehr Menschen von Hunden gebissen. Auch die dadurch bedingten Todesfälle etwa durch Tollwut haben um mehr als 47.300 zugenommen.

Das fast völlige Verschwinden der Geier in Indien wird auf das Schmerzmittel Diclofenac zurückgeführt, das häufig Kühen und Büffeln verabreicht wird und bei Geiern allergische Reaktionen auslöst. Umfangreiche Kampagnen gegen das Arzneimittel führten 2004 dazu, dass es verboten wurde. Doch Singh von der BNHS zufolge wird Diclofenac nach wie vor häufig verabreicht.

Oft können sich die Gemeinschaften keinen Reim darauf machen, warum und weshalb eine Art verschwindet. In Dominica beispielsweise ist bis heute unklar, wie der Pilz, der die Chytridiomykose verursacht, überhaupt den Inselstaat erreichen konnte und wie er sich ausrotten lässt.

Wie Lucy Mulenekei vom 'Indigenous Information Network' (IIN) im Gespräch mit IPS am Rande der Vertragsstaatenkonferenz der Artenvielfaltskonvention vom 6. bis 17. Oktober im südkoreanischen Pyeongchang erläuterte, hat der Viehverlust in Kenia dazu geführt, dass das traditionell von seinen Herden abhängige Hirtenvolk auf die Landwirtschaft umsteigen muss.


Keine Chancen für Nomaden

"Die Massai haben gar keine Ahnung, was sie für den Landbau brauchen oder wie die Geräte einzusetzen sind. Sie wissen nicht, welches Saatgut geeignet ist und woher sie es bekommen können. Es besteht ein riesiges Wissens- und Technologiedefizit", erläuterte Mulenekei, die selbst eine Massai ist.

Regierungen und UN-Agenturen setzen auf Initiativen, die das Problem an der Wurzel packen sollen. Carlos Potiara Castro, technischer Berater des brasilianischen Umweltministeriums, führt im 160 Kilometer entfernten Gemeindebezirk Macapa ein Projekt durch, das Fischer in Artenschutz unterweist. Darüber hinaus wurden Gemeindemitglieder mit den Eigenschaften von 154 Heilpflanzen vertraut gemacht.

Das Projekt kostet jährlich um die 50.000 US-Dollar. Potiara zufolge bedarf es noch größerer Investitionen, um die Arbeit voranzubringen und die Bemühungen anderswo zu replizieren. Dies könnte sich möglicherweise mit Hilfe einer neuen Initiative erreichen lassen, die die deutsche Bundesregierung zusammen mit dem UN-Entwicklungsprogramm und der Globalen Umweltfazilität (GEF) durchführt. So ist vorgesehen, den indigenen Gemeinschaften in 130 Ländern insgesamt 12,3 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren bereitzustellen, damit sie den Schutz von Schutzgebieten gewährleisten.

Wie Yoko Watanabe vom GEF-Sekretariat gegenüber IPS erklärte, werden mit den Geldern auch die Kosten für die Fortbildung der indigenen Gemeinschaft gedeckt, die als "unverzichtbar für den Artenschutz" erachtet werden. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/vanishing-species-local-communities-count-their-losses/

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IPS-Tagesdienst vom 17. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2014