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ARTENRAUB/002: Bei den Seebären am Kreuzkap in Namibia (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 74 Ausgabe 25 [1] - Sommer 2010

Bei den Seebären am Kreuzkap (Cape Cross) / Namibia

von Armin Püttger-Conradt (Text) und Axel Goldau (Fotos)


Eine merkwürdige Prozession ist es, die am frühen Morgen Swakopmund verlässt und sich auf die Straße entlang der Meeresküste begibt. In großen Abständen folgen Autos aufeinander, alle mit einer Angelrute versehen, die vorne an der Stoßstange steckt und wie eine Antenne mehrere Meter in die Höhe ragt. Ich sitze in einem der Fahrzeuge und schaue in die Wüste hinaus, deren spärliche Lebewesen gerade dabei sind, sich auf den neuen heißen Tag einzustellen. Das rätselhafte Skelett, das an der Strecke liegt, gibt eine Vorstellung davon, was geschehen kann, sollte man sich abseits der Wege verlaufen.

Die Namibwüste versinkt ohne Übergang im Meer. Entlang der Küste verteilen sich bereits die anreisenden Angler, und da, wo die beiden steinernen Kreuze, Replikate der von Diego Cão im Jahr 1494 errichteten Landmarken, aufragen, verlasse auch ich den Wagen, und während mein Begleiter sich weiter abwärts mit der Angel positioniert, sehe ich mich näher um.

Ein ziemlich öder Ort befindet sich hier, von wenigen barackenartigen Gebäuden, einer heruntergekommenen Fabrik und den aufragenden Kreuzen ist nichts zu entdecken, und so mache ich mich erst einmal auf, die unfern befindliche Kolonie der südafrikanischen Seebären (Arctocephalus pusillus pusillus) aufzusuchen.

Bereits der Weg dahin entlang der Küste des Südatlantiks weist eine große Zahl toter Seebären auf. Die Kadaver liegen weit verstreut im Sand (s. Abb. 1); an der Wasserkante finden sich angeschwemmte Algen und Tange, die einzige sichtbare Vegetation weit und breit. Kormorane sitzen auf erhöhten Posten, während einzelne Strandläufer am Küstensaum zusammen mit seltsamen Eidechsen im Sand umher rennen, um Kleingetier zu erhaschen. Einige Seeschwalben fliegen elegant über dem blau leuchtenden Ozean.

Abb. 1: Bereits der Weg dahin entlang der Küste des Südatlantiks weist eine große Zahl toter Seebären auf. Die Kadaver liegen weit verstreut im Sand. Foto: Axel Goldau

Abb. 1: Bereits der Weg dahin entlang der Küste des Südatlantiks
weist eine große Zahl toter Seebären auf. Die Kadaver liegen weit
verstreut im Sand.
Foto: Axel Goldau

An der Kolonie der Seebären herrscht reges Treiben. Zu Tausenden sind sie anwesend. Unzählige toben in wilden Gebärden durch die Wellen, andere belagern dicht an dicht die Uferfelsen (s. Abb. 2), wo es immer wieder zu Drohgebärden kommt, sollten zwei übermütige junge Bullen aneinander geraten oder ein Mindestabstand nicht gewahrt sein. Viele schlafen ausgestreckt, und nur manchmal geht eine mäßige Bewegung durch den Robbenkörper, oder ein träger Flossenschlag fächelt müde in der Luft. Die Geräuschkulisse erinnert an ein Schwimmbad; der Geruch beißt unangenehm in die Nase (s. Abb. 3). Hoch stäubt die Gischt der anrollenden Wellenkämme, die sich an den schwarzen Klippen brechen und eine ständige Dusche über die Tiere ergießt, so dass sie in der heißen Sonne nicht "verbrennen", sondern der Kontakt zu ihrem eigentlichen Element gewahrt bleibt. Auch weit draußen im Meer sieht man viele Robben schwimmen, anlanden und sich unter die bereits an Land befindlichen Artgenossen mischen.

Abb. 2: An der Kolonie der Seebären herrscht reges Treiben. Unzählige toben in wilden Gebärden durch die Wellen, andere belagern dicht an dicht die Uferfelsen. Foto: Axel Goldau

Abb. 2: An der Kolonie der Seebären herrscht reges Treiben.
Unzählige toben in wilden Gebärden durch die Wellen, andere
belagern dicht an dicht die Uferfelsen.
Foto: Axel Goldau

An der namibischen Küste fließt der Benguelastrom entlang. Er führt kaltes, planktonreiches Wasser aus der Antarktis gen Norden und bringt dabei zahlreiche Fischschwärme mit sich, von denen sich die Seebären seit undenkbaren Zeiten ernähren. So finden antarktische Meerestiere ihren Weg bis an die südlichen Küsten Afrikas. Selbst Pinguine (Spheniscus demersus) sind dadurch in Namibia ansässig und bilden auf den Inseln vor der Küste große Nistkolonien. Auch sie leben von Fischfang, sind jedoch aufgrund ihres selteneren Vorkommens nicht so ins Visier der Fischer geraten. Allerdings war das nicht immer so; denn in frühen Jahren wurde auch ihnen unerbittlich nachgestellt. Zudem machen ihre kecken Frackkostüme sie ganz erheblich zu Sympathieträgern: Dies haben sie zweifelsohne den nur als Jungtiere niedlich wirkenden Seebären voraus (s. Abb. 4).

Dass sich hier zu manchen Zeiten ein Massenschlachtplatz befindet, ist so gar nicht zu erahnen. Wie so häufig auf der Erde, stehen sich am Kreuzkap Mensch und Tier als vermeintliche Konkurrenten gegenüber. So werden häufig die Seebären für den Rückgang der Fischbestände vor Namibias Küste verantwortlich gemacht: Eine elegante "Lösung des Problems" - darf doch Sündenbock Seebär für die gewaltigen Plünderungen des Meeres durch industrielle Fischerei herhalten - teils "legal" lizensiert durch die Regierung Namibias, teils völlig illegal in der kostengünstigen Piratenfischerei- Variante. Dazu kommt, dass die "Schädlingsbekämpfung" auch noch gutes Geld einbringt: Die Felle werden international gehandelt; Robbenpenisse finden gute Absätze in Ostasien zur Weiterverarbeitung zu Aphrodisiaka.

Wie viele Individuen tatsächlich in den Seebärenkolonien leben, ist nur schwer einzuschätzen, da sie nie gemeinsam an Land kommen, und sie im Meer nicht gezählt werden können. Zudem schwankt der Bestand von Jahr zu Jahr, so dass es wohl zwischen 800 000 und einer Million an der Küste des gesamten südlichen Afrikas sind. Hieraus wird die Fischmenge berechnet, die sie im Jahr verzehren und mit dem angeblichen Verlust für Menschen aufgewogen, wonach das Ministerum für Fischerei und Meeres-Ressourcen die Abschussquote festlegt, die in vielen Jahren bei etwa 30.000 bis 40.000 Exemplaren lag. Nach Jahren des Abschussverbots ist die Jagd in Namibia wieder aufgenommen, wobei vorwiegend Heuler zu Zehntausenden erschlagen werden, wogegen man die adulten Tiere erschießt. Bei den Kühen ist die Abschussrate am geringsten.

Abb. 3: Die Geräuschkulisse erinnert an ein Schwimmbad; der Geruch beißt unangenehm in die Nase. Foto: Axel Goldau

Abb. 3: Die Geräuschkulisse erinnert an ein Schwimmbad;
der Geruch beißt unangenehm in die Nase.
Foto: Axel Goldau

Beeindruckt von der Lebendigkeit der Seebären in der Kolonie begebe ich mich langsam zu den Gebäuden vorbei an den toten Tieren am Strand. Hier findet sich eine Informationstafel, worin "die Ernte" der Seebären nicht verhohlen wird. Das Gebäude daneben trägt die Aufschrift: "Siehe auch die andere Seite." Neugierig betrete ich den Raum des "Museums" und werde mit den Ansichten der Fischer konfrontiert, wo die Seebärenjagd verteidigt wird. Immer wieder die gleichförmigen Aufrechnungen, wie viel Fisch die Robben verzehren. Darüber hinaus finden sich hier Informationen über die Verarbeitung "der Ernte", das Tran Kochen, die hergestellten Schuhe, Taschen, Zierfelle, Jacken, Hüte etc. Draußen werfe ich einen Blick zu dem Fabrikgebäude, in dem die erlegten Tiere verarbeitet und gekocht werden (Abb. 5). Ein Bild aus fernen Jahrhunderten des Wal- und Robbenschlags baut sich hier zwischen Wüste und Meer vor mir auf, das ich längst der Vergangenheit zugehörig glaubte.

Abb. 4: Seebären wirken nur als Jungtiere niedlich. Foto: Axel Goldau

Abb. 4: Seebären wirken nur als Jungtiere niedlich.
Foto: Axel Goldau

Gibt es eine natürliche Bestandsregulierung bei den Seebären, frage ich mich? Die vielen tot am Strand liegenden Robben sind an Unterernährung gestorben, hervorgerufen durch Überfischung und Rückzug der Fischbestände. Die Fettschicht der Muttertiere wurde zu dünn, so dass die im Leib heranwachsenden Jungen im kalten Wasser bereits erfroren und tot geboren wurden. Auch Alttiere sterben an Unterkühlung und Hunger, ja manche wurden bereits beobachtet, wie sie in die Wüste zogen, um dort abseits der kühlen Winde Wärme zu tanken. Andererseits setzt wohl auch der Klimawandel auf der südlichen Halbkugel den Seebären zu, da durch die Erwärmung des Benguelastroms die Algenblüte zunimmt, mit der Folge, dass die Strände damit zugespült werden und die Fischschwärme weiter aufs offene Meer ziehen. Unter ungünstigen Verhältnissen kann so die Hälfte und mehr der in einem Jahr geborenen Heuler umkommen, was neuerdings immer wieder geschieht.

Für die natürliche Bestandsregulierung spielen möglicherweise besonders Viren - vermutlich auch das Masernvirus - bei den Seebären eine wesentliche Rolle. Fraglos ist jedoch der natürliche Rhythmus der Seebärenkolonien durch unterschiedliche menschengemachte Eingriffe durcheinander geraten. Ob ein Massentöten der Tiere den gewünschten Erfolg für die Vermehrung der Fische mit sich bringt, ist äußerst zweifelhaft: Nicht die Seebären sind für den Rückgang der Fischbestände verantwortlich, sondern die geregelte und ungeregelte industrielle Fischerei. So spült die "Seebären-Ernte" am Kreuzkap für einige Zeit noch etwas Geld in die Staatskasse; am Niedergang der wirtschaftlich nutzbaren Fischbestände ändert dies allerdings überhaupt nichts.

Abb. 5: Draußen werfe ich einen Blick zu dem Fabrikgebäude, in dem die erlegten Tiere verarbeitet und gekocht werden. Foto: A. Püttger-Conradt

Abb. 5: Draußen werfe ich einen Blick zu dem Fabrikgebäude, in
dem die erlegten Tiere verarbeitet und gekocht werden.
Foto: A. Püttger-Conradt

Nachdenklich wandere ich in die Wüste hinein. In der Ferne sehe ich die hohen Bergzüge aufragen. Der Besuch hätte ein Idyll sein können zwischen Meereswellen und Wüstensand. Geblieben ist eine traurige Konfrontation durch die Ausbeutung sogenannter Ressourcen.


*


Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 74 Ausgabe 25 [1] Sommer 2010, S. 34-35
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2010