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ARTENRAUB/001: Die Bucht von Taiji liegt in Japan - Delphinfang (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 74 Ausgabe 25 [1] - Sommer 2010

Die Bucht von Taiji liegt in Japan

Von Axel Goldau


Im Herbst endet die deutsche Präsidentschaft der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biodiversity: CBD), wenn die japanische Regierung die 10. Vertragsstaaten-Konferenz in Nagoya ausrichtet und die Präsidentschaft von Deutschland für die nächsten zwei Jahre übernimmt. Während tausende Delegierte über den Erhalt, die nachhaltige Nutzung und die gerechte Verteilung der Gewinne, die biologische Vielfalt ermöglicht, beraten, verhandeln und vor allem streiten, ziehen etwa 140km süd-östlich vom Tagungsort Nagoya tausende Delphine verschiedener Arten an der japanischen Ostküste entlang in ihre Überwinterungsgebiete im Ostchinesischen Meer.


Japan trägt die größte Verantwortung dafür, dass den Riesen der Weltmeere, den Walen und Delphinen, noch immer massiv nachgestellt wird. Nur etwa 140km Luftlinie vom Tagungsort entfernt liegt die Bucht von Taiji inmitten eines Naturschutzgebietes, aber zu dieser Zeit mit Stacheldraht und Wachpersonal hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt; denn niemand soll erfahren, was sich hier jeden Herbst tut:

Japanische Fischer, die wie viele ihrer Berufskollegen längst nicht mehr soviel Fische fangen können wie noch vor wenigen Jahren, haben sich auf ein anderes lukratives, aber grausames Handwerk verlegt: den Delphinfang. Wenn die Delphinschulen in Küstennähe vorbeiziehen, fahren die Fischer mit ihrer Flotte hinaus. Mit unvorstellbarem Lärm treiben sie die akustisch hoch sensiblen Tiere wahllos in "die Bucht", wo sie mit Stellnetzen am Entkommen gehindert werden. Der ständige Lärm, dem die Tiere nun ausgesetzt sind, kann - vor dem Hintergrund des aktuellen Wissens über das Sozialverhalten von Delphinen im Allgemeinen und der enormen Bedeutung, die der akustischen Kommunikation dabei zukommt, im Besonderen - durchaus als Folter bezeichnet werden.

Dann kommen die Einkäufer_innen: Sie dürfen in die "verbotenen Zonen", denn sie suchen sich unter den eingepferchten, gequälten Kreaturen ihre "Stars" - vor allem weibliche Große Tümmler (Tursiops aduncus) [1] aus: Ein solcher Delphin kann den Fischern bis 150.000 EURO bringen, wenn er die Torturen des Fangs bis in die Hängematte zum Abtransport in eines der vielen marinen Vergnügungsparks überlebt hat. Die sind allerdings für die dort ausgestellten Kleinwale und Delphine alles andere als ein Vergnügen. Die "nicht benötigten" Tiere werden nun mit Messern, Macheten, Speeren etc. buchstäblich abgeschlachtet, bis sich die Bucht tief rot färbt. Da es auch in Japan kaum einen Markt für Delphinfleisch gibt, wird dies häufig umdeklariert bzw. als Schulspeise an Kinder "zwangsverfüttert".

Hier allerdings gibt es einige Probleme: Einmal ist die Art und Weise wie die Tiere getötet werden äußerst grausam und sollte daher vor jeder Öffentlichkeit verborgen bleiben, zum anderen werden die Tiere wahllos getötet, sodass sich unter ihnen auch Arten befinden können, die in ihrem Bestand ernsthaft gefährdet sind; und zum dritten sind Delphine als Endglieder der marinen Nahrungskette hoch mit Umweltgiften wie etwa Quecksilber angereichert, sodass der Genuss von Delphinfleisch ernsthafte gesundheitliche Probleme mit sich bringen kann.

Über all dies wüssten wir allenfalls nur lückenhaft Bescheid, wenn es sich nicht Ric O'Barry, einer der besten Delphinkenner der Welt, vorgenommen hätte, dieses grausame Treiben an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Ric O'Barry, heute 70 Jahre alt, trainierte einst die drei Großen Tümmler, die als "Flipper" über die Mattscheiben der westlichen Welt flimmerten. Als vor 38 Jahren "Kathy", eine der "Flipper-Darstellerinnen" in seinen Armen starb, wurde ihm klar, welches Leid er den Tieren zugefügt hatte: Für die intelligenten, akustisch hoch sensiblen Meeressäuger stellen die Echos ihrer Orientierungsrufe in den Becken sowie das Spektakel des belustigten Publikums geradezu die Hölle dar. So ist Ric O'Barry auch der festen Überzeugung, dass "seine Kathy" in seinen Armen Selbstmord begangen habe, indem sie die Atmung einstellte. Seither kämpft er gegen jede Haltung von Delphinen - sei es in den marinen "Vergnügungspark", bei der wirtschaftlichen Ausbeutung oder im Dienste des Militärs. Dabei schreckt er auch vor direkten Befreiungsaktionen nicht zurück. Auf die Frage, wie oft ihm dies schon Inhaftierungen eingebracht habe, fragt er lapidar zurück: "In diesem Jahr?"

Zurück zur Bucht von Taiji, nur etwa 140km entfernt von Nagoya, wo im Herbst die 10. Vertragsstaaten-Konferenz der Konvention über die biologische Vielfalt (CoP-10 CBD) stattfinden wird, während tausende Delphine an Japans Ostküste entlang nach Süden ziehen werden. Allen Beteiligten ist klar: Diese dunklen, grausamen Ereignisse in der Bucht von Taiji werden nur weiterhin stattfinden können, solange sie der Öffentlichkeit gegenüber verheimlicht bleiben. Deshalb setzt Ric O'Berry alles daran, dass die Öffentlichkeit endlich erfährt, was sich jeden Herbst in dieser Bucht ereignet.

Im Film "DIE BUCHT - THE COVE" dokumentieren der Filmemacher Louie Psihoyo und Ric O'Berry mit welcher Zähigkeit - bis hin zu Morddrohungen - ein Apparat aus Polizei, Verwaltung und Fischereibehörden sowie skrupellosen Geschäftemachern die grausame Wirklichkeit in einer der reichsten Industrienationen vor der Weltöffentlichkeit zu vertuschen versucht:

"Was Ric O'Barry jedoch im japanischen Küstenort Taiji entdeckt, ist unvorstellbar. In einer abgelegenen Bucht, die von der Außenwelt durch Stacheldraht und Sicherheitspersonal abgeschottet wird, liegt ein dunkles und tödliches Geheimnis. DIE BUCHT zeigt, wie sich Ric O'Barry gemeinsam mit Regisseur Louie Psihoyos auf eine Undercover-Mission begibt, um dieses Geheimnis ans Licht zu bringen. (...) Die beiden rekrutieren ein Team von Spezialisten bestehend aus Tauchern, Surfern, Unterwasserfilmern und Special Effects-Künstlern (...) Ihr Ziel: die Vorgänge in der Bucht zu filmen und damit aufzudecken, was der Öffentlichkeit bisher verschwiegen wurde. Die Polizei, lokale Behörden und Fischer von Taiji sind ihnen immer auf den Fersen, doch mit Nachtsichtgeräten, Wärmekameras und weiterer High-Tech-Ausrüstung sind O'Barry, Psihoyos und ihr Team ihren Widersachern immer einen Schritt voraus. Sie kommen dem Geheimnis immer näher. Dem Geheimnis, das nur die Spitze des Eisbergs ist (...)." www.diebucht-derfilm.de

Der Film läuft seit dem 22. Oktober in deutschen Kinos und ist seit Januar auch in Österreich und der Schweiz zu sehen. Der Filmverleih (www.drei-freunde.de) arbeitet mit verschiedenen Naturschutzorganisationen zusammen: Sie werben für den Film, und der Verleih stellt die Verteilung von Informations- und Aktionsmaterialien in den Kinos zur Verfügung. Mit ihren "WalhelferINNEN" wollen die Tierschutzorganisationen den Druck auf die japanische Regierung erhöhen, diesen Grausamkeiten ein Ende zu bereiten.

Und es tut sich etwas! Wenige Tage bevor der preisgekrönte Film auch in Deutschland anlief, teilten die beteiligten Tierschutzorganisationen mit, dass die Behörden von Taiji begonnen haben, Haarproben von der Bevölkerung zu nehmen, um die menschliche Quecksilberbelastung zu untersuchen, die als Folge des Verzehrs von Delphinfleisch ernsthafte gesundheitliche Probleme mit sich zu bringen droht. "Die Behörden wollen offenbar darauf hinarbeiten, dass ihnen der Gesundheitsaspekt einen Grund liefert, die Delphinjagd zu beenden - denn Delphine sind hochgradig mit dem Schwermetall kontaminiert. Egal aus welchem Grund: Hauptsache, Japan beendet diese Massaker.", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von PRO WILDLIFE, DER WHALE AND DOLPHIN CONSERVATION SOCIETY (WDCS) und OCEAN CARE, die Kooperationspartner des Filmverleihs für DIE BUCHT sind.

Auf dem offiziellen Internet-Portal für die CoP-10 CBD steht nichts von Quecksilber, wohl aber: "Danken Sie der Natur für Ihre täglichen Mahlzeiten!" (Express gratitude to nature for your daily meals: http://www.cop10.jp/aichi-nagoya/english/cop/do.html). Der Film und die Vorbereitungen auf die CoP-10 unter deutscher Konventions-Präsidentschaft sollte dafür genutzt werden, Japan zu veranlassen, dieses grausame Geschäft einzustellen. Damit nicht nur das Gemetzel in der Bucht ein Ende findet, sondern auch der lukrative Delphinfang für "Ozeanarien" und "Meeres-Erlebnis-Parks", wo Delphine und Kleinwale zur Belustigung gegen Eintrittsgeld bei all dem Krach früher oder später in den Tod getrieben werden. In Deutschland versuchen sich drei wissenschaftlich geführte und dem Artenschutz verpflichtete Zoos weiterhin in der Delphinhaltung. Auch bei ihnen sollte endlich das Signal ankommen, dass nicht alle Tierarten "artnah" oder gar "artgerecht" gehalten werden können. Kleinwale und Delphine gehören zweifelsfrei zu diesen Arten.

Mitte März wurde "DIE BUCHT" als einer unter 12 Filmen mit dem Oscar in der Kategorie "bester Dokumentarfilm" ausgezeichnet [2]: Eine gute Voraussetzung, den Druck auf Japan bis zur Vertragsstaaten-Konferenz über die Konvention über die biologische Vielfalt zu erhöhen. Und dies erscheint jetzt notwendiger denn je: Die japanische Regierung versucht nämlich gerade das bestehende Moratorium für den kommerziellen Walfang aufzuheben.[3]


[1] Angabe nach der aktuellen IUCN-redlist: www.redlist.org. Es wird erwogen, die die indo-pazifische Form als separate Art zu betrachten.
[2] http://www.oscars.org/press/pressreleases/2010/20100317.html: zuletzt gesichtet am 02.05.10
[3] http://www.presseportal.de/pm/8211/1600748/mail: zuletzt gesichtet am 02.05.10


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 74 Ausgabe 25 [1] Sommer 2010, Seite 4-5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2010