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ABFALL/040: Argentinien - Müllfestival, die Stadt Bouwer wehrt sich gegen jahrzehntelange Verseuchung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2013

Argentinien: Müllfestival in Bouwer - Eine Stadt wehrt sich gegen jahrzehntelange Verseuchung

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung der Bewegung 'Müllfreies Bouwer'

'Geopfertes Gebiet' - Mit diesem Warnschild protestieren die Einwohner von Bouwer in Argentinien gegen die Verseuchung ihrer Stadt
Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung der Bewegung 'Müllfreies Bouwer'

Bouwer, Argentinien, 17. Dezember (IPS) - Städte zeigen gern das, was sie auszeichnet. Bouwer in Zentralargentinien wird sich dieser Tradition anschließen und auf das hinweisen, was im Überfluss vorhanden ist: Müll. Das Erste Festival gegen Verseuchung und Diskriminierung ist als Protestaktion, als Form des Widerstands einer Gemeinde gedacht, deren Wünsche und Forderungen seit Jahrzehnten ignoriert werden.

Stattfinden wird das 'Fest' am 22. Februar. Die 2.000 Einwohner zählende Arbeiterstadt, 17 Kilometer von der Provinzhauptstadt Córdoba entfernt, hat angekündigt, dass es auf dem Festival Fleisch vom Grill geben wird und dort mehrere Künstler auftreten werden.

28 Jahre lang war Bouwer die Müllkippe der Provinzhauptstadt Córdoba und der umliegenden Gemeinden. In neun offenen Gruben lagern bis heute zwölf Millionen Tonnen Abfall. Nach jahrelangen Protesten gelang es den Einwohnern vor drei Jahren, die Schließung der Müllkippe zu erreichen. Doch wurde das Areal nie gesäubert und versiegelt, wie dies die Menschen und die Stadtregierung zum Schutz von Umwelt und Gesundheit gefordert hatten.

"Abgesehen davon, dass die vor sich hin rottenden Abfälle unsere Lebensqualität beeinträchtigen, verseuchen sie immer noch Böden und Gewässer", berichtet der Umweltberater der Gemeinde, Adolfo González. "Außerdem steigen Unmengen an Klimagasen in die Atmosphäre auf."

Das Festival soll aber nicht nur auf die alte Müllhalde aufmerksam machen, sondern auch auf andere Quellen der Verseuchung, der die Menschen lange Zeit gnadenlos ausgesetzt wurden. Davon zeugen der alte Müllverbrennungsofen, eine Grube mit giftigen Industrierückständen und die Bleischmelze, die von 1984 bis 2005 ihre giftigen Dämpfe in die Luft abgab. Zwölf Tonnen DDT und andere gefährliche Pestizide wurden 2005 auf massiven Druck der Lokalbevölkerung abtransportiert. Und als wäre das noch nicht genug: Die Stadt ist von Gensojaplantagen umgeben, die aus der Luft mit Agrarchemikalien besprüht werden.


Neue Müllkippe geplant

"Wir dürfen nicht zulassen, Opfer neuer Giftquellen zu werden", meint dazu González. Doch die Behörden von Córdoba und anderer Gemeinden in der gleichnamigen Provinz haben vor, in Bouwer eine neue Müllhalde aufzubauen - und zwar nur 600 Meter von der geschlossenen entfernt -, die 2.500 Tonnen Müll am Tag aufnehmen soll. "Das klingt doch wie ein schlechter Witz: eine Müllkippe zu schließen, um eine andere in nächster Nähe zu errichten", sagt Mónica Rescala von der Bürgerbewegung 'Müllfreies Bouwer'.

In der Cornelio-Saavedra-Schule nahe der alten Müllhalde diskutieren Schüler, Lehrer und Eltern wie Rescala über die Risiken, die von der neuen und in 1.000 Meter Nähe geplanten Müllhalde ausgehen. "Wir leiden schon jetzt unter Gestank und Schädlingen wie Fliegen, Mücken und riesigen Ratten. In einer so ungesunden Umgebung können wir nicht arbeiten", betont die Schulleiterin María Teresa Destéfanis. Die grausame Ironie ist, dass die Schule selbst über kein Abfallentsorgungssystem verfügt.

Im Oktober sah sich Bürgermeister Juan Lupi genötigt, den Gesundheitsnotstand auszurufen. In den Jahren 2000 bis 2012 lag in Bouwer die Sterberate bei Säuglingen bei 22 pro 1.000 Lebendgeburten. Die Rate, die mit Hilfe des Geburts- und Sterberegisters erstellt wurde, ist fast doppelt so hoch wie der 2010 ermittelte Durchschnittswert der Provinz Córdoba. Die Sterberate von Säuglingen bei der Geburt und in der ersten Lebenswoche liegt in Bouwer bei 25 pro 1.000 Lebendgeburten.


Katzen ohne Krallen, Hühner ohne Federn

Obwohl Atembeschwerden, Hautkrankheiten, Krebsfälle, Fehl- und Frühgeburten in der Stadt überproportional hoch sind, wurden bisher keine epidemiologischen Studien durchgeführt. "Wir selbst konnten insbesondere um das Jahr 2008 Deformationen bei Tieren feststellen", berichtet Rescala. "Wir sahen Hunde mit gespaltenen Schnauzen, Schweine, die ohne Borsten zur Welt kamen und deren Mägen und Hoden mit Wasser gefüllt waren, Katzen ohne Krallen, Hühner ohne Federn."

Wie die Stiftung zum Schutz der Umwelt (FUNAM) warnt, treten bei Menschen, die in der Nähe von Müllhalden leben, Krankheiten wie Blasen-, Leber-, Prostata-, Lungen- und Uteruskrebs auf. Auch häufen sich Fälle von Leukämie, Fehlentwicklungen bei Embryonen und Missbildungen bei Neugeborenen. "Aus Müllkippen steigen nicht nur Methan und CO2, sondern auch andere toxische und krebserregende Gase auf", berichtet FUNAM. Sind die Abladeplätze nicht geschlossen, transportiert der Wind viele der giftigen Substanzen in andere Teile der Provinz. "Allein schon der Gestank löst Übelkeit aus."

Wie González berichtet, soll 2,5 Kilometer von Bouwer entfernt eine Biodekontaminierungsanlage entstehen. In diesen Anlagen werden in der Regel Rückstände der Erdölproduktion biologisch abgebaut. "Unserer Stadt bleibt auch nichts erspart", meint er. "Sie wurde als Umweltopfer ausgewählt."

Die Kinder von Bouwer wachsen nicht wie andere Mädchen und Jungen auf. "Es gibt eine große Müllkippe hier, aber keinen Fußballplatz", erzählt der zehnjährige Alan Serrano. "Ich wäre so gern draußen, doch ich muss immer zu Hause bleiben, wo alles mit Moskitonetzen abgedichtet ist, damit keine Fliegen und Mücken eindringen können", sagt er.

Der Bericht, der Bouwer als idealen Standort für die neue Müllkippe einschätzt, wurde von der Nationalen Universität von Córdoba erstellt. Doch wie der Wissenschafts- und Technologieexperte der Hochschule, Joaquín Navarro, gegenüber IPS erklärt, fehlt noch der zweite Teil, der die sozioökonomischen Aspekte der Ansiedlung der Müllhalde berücksichtigt, und in Kürze vorliegt.

Doch auch schon der erste Teil verdeutlicht, wie schwer es die Menschen in Bouwer auch schon ohne die Umweltprobleme haben. Die Arbeitslosigkeit und die Analphabetenrate in der Stadt gehören zu den höchsten der Provinz, und 63,3 Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung.

Während die Wissenschaftler und Regierungstechnokraten den Bericht analysieren und immer wieder betonen, dass der Müll ja schließlich irgendwo bleiben müsse, fordern die Menschen vor Ort die Wiederaufbereitung von Abfall. "Wir sind der Meinung, dass kein Ort geopfert werden sollte", meint Rescala, die ihren Müll zu 100 Prozent recycelt. "Jetzt ist es Bouwer, doch unser Schicksal kann schon bald eine andere Stadt treffen." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://bouwersinbasura.blogspot.de/
http://www.ipsnews.net/2013/12/argentine-town-celebrates-garbage/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2013