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ABFALL/039: Kolumbien - Bürgermeister geschasst, Voruntersuchung gegen Generalstaatsanwalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Dezember 2013

Kolumbien: Bürgermeister geschasst - Voruntersuchung gegen verantwortlichen Generalstaatsanwalt

von Constanza Vieira


Bild: © Andrés Monroy Gómez/IPS

Massenkundgebung auf dem Bolívar-Platz in Bogotá gegen die Amtsenthebung von Bürgermeister Gustavo Petro
Bild: © Andrés Monroy Gómez/IPS

Bogotá, 16. Dezember (IPS) - Nach den Massenprotesten in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gegen die Amtsenthebung von Bürgermeister Gustavo Petro wird sich der verantwortliche Generalstaatsanwalt Alejandro Ordóñez nun selbst einem Ermittlungsverfahren stellen müssen. Wie Staatsanwalt Eduardo Montealegre bekannt gab, wird es zu einer Voruntersuchung gegen Ordóñez wegen möglichen Amtsmissbrauchs kommen.

Der ultrarechte Generalstaatsanwalt hatte den linksgerichteten Bürgermeister von Bogotá am 9. Dezember abgesetzt und ihn mit einem 15-jährigen Verbot belegt, ein öffentliches Amt zu bekleiden. Ordóñez wirft Petro vor, mit seiner Entscheidung, die Abfallversorgung von Bogotá zu 63 Prozent zu verstaatlichen, die Gesundheit der Stadtbevölkerung gefährdet und gegen die freie Marktwirtschaft verstoßen zu haben.

Das Urteil hat eine landesweite Kontroverse ausgelöst. "Das war reine Willkür", meinte Nelson Rojas, der für das städtische Abfallentsorgungsprogramm 'Null Müll' ('Basura Cero') arbeitet und an den jüngsten Massenprotesten gegen die Entlassung von Petro teilgenommen hat.

Das Urteil des Generalstaatsanwaltes richtet sich gegen die Entscheidung Petros von vor einem Jahr, das Müllentsorgungssystem per Dekret im Sinne einer Integration der kleinen Müllsammler umzustellen, was vorübergehend zu Engpässen beim Abtransport der Abfälle führte.

Jahre lang hatte die Müllentsorgung der Hauptstadt in der Hand von vier privaten Unternehmen gelegen. Aus Protest gegen die Verstaatlichung der Müllentsorgung verweigerten sie die Rückgabe der Müllwagen an die Stadt, was zur Verschärfung der Abfallkrise führte.


Lukratives Geschäft

"Im Müllgeschäft steckt jede Menge Geld", meinte Rojas, der die grüne Uniform von Basura Cero trägt. "Die Privatunternehmen wehren sich natürlich, schließlich hat die Müllabfuhr sie reich gemacht. Der Generalstaatsanwalt hat sich mit den Reichen verbrüdert und ist ein Gegner unseres Bürgermeisters", sagte er und fügte hinzu, dass die Privatunternehmen weder Frauen noch ältere Menschen beschäftigt hätten.

"In dem neuen Müllprojekt sind die Beschäftigten zu 60 Prozent Frauen", meinten drei Demonstranten. "Es sind vor allem Frauen, die in Bogotá die Straßen kehren", fügte ein weiterer Basura-Cero-Beschäftigter hinzu. "Wir werden weiterhin als Müllsammler für die Stadt arbeiten und in Schichten an den Kundgebungen teilnehmen."

Der 37-jährige Jorge Estrada, der ebenfalls in der grünen Arbeitskluft der städtischen Müllabfuhr steckt, ist der Ansicht, dass der Bürgermeister gefeuert wurde, weil er sich, um den kleinen Müllsammlern zu helfen, mit der Mafia angelegt habe.

Die acht Millionen Einwohner zählende Metropole gliedert sich in 20 Stadtbezirke. Im letzten Jahr lag die Reinigung in zwölf Bezirken in der Hand von 'Aguas de Bogotá', einer Filiale der staatlichen Wasser- und Abwasserbehörde. In den restlichen Bezirken sind private Unternehmen im Einsatz.

Bis zum 18. Dezember 2012 hatte die Stadtverwaltung Zeit, um ein Urteil des Verfassungsgerichts umzusetzen, das die Aufnahme aller organisierten Müllsammler ins landesweite Abfallentsorgungssystem vorschreibt. Petros Amtsvorgängern war es nicht gelungen, eine ähnliche Vorgabe von 2003 umzusetzen. Stattdessen kam es zur Verlängerung von Verträgen mit privaten Firmen, die den Müll zur Doña-Juana-Müllhalde im Süden Bogotás abtransportierten und pro Tonne bezahlt wurden. Eine Mülltrennung fand dort nicht statt. Die kleinen Müllsammler, die vom Verkauf recycelbarer Abfälle wie Papier, Glas und Metall lebten, durchsuchten die Mülltüten der Hauptstädter nach Wiederverwertbarem.


Müll 'wegrecyceln'

Als Petro im Januar 2012 sein Amt als neuer Bürgermeister antrat, brauchte er sechs Monate, um den Stadtrat zur Zustimmung zu seinem Müllentwicklungsplan zu bewegen, der darauf beruht, Müll durch Trennung und Wiederaufbereitung zu verhindern.

Einer städtischen Umfrage zufolge sind in Bogotá derzeit 15.000 Müllsammler unterwegs. Durch das Null-Müll-System kamen 3.000 Müllsammler in Lohn und Brot. Die Übrigen werden für den Transport der recycelbaren Materialien zu den Recyclingstellen bezahlt. Das neue Abfallentsorgungssystem hilft nicht nur besonders sozial schwachen Bevölkerungsgruppen, sondern verlängert auch die Nutzungszeit der städtischen Müllhalde.

Doch die Privatunternehmen stemmten sich gegen die Pläne Petros, ihre Verträge zu befristen. Daraufhin drohte Petro damit, das gesamte städtische Müllentsorgungssystem in öffentliche Hand zu überführen. Die Drohung diente Ordóñez später dazu, von einem Verstoß gegen das Recht auf freien Wettbewerb zu sprechen.

Als die Stadtverwaltung erkannte, dass es keinen Kompromiss geben würde, gründete sie ein eigenes Konsortium, das den Müll nach Ablauf der Frist am 18. Dezember abtransportieren sollte. In nur zwei Monaten wurde Aguas de Bogotá umfunktioniert.

Die bisherigen privaten Vertragspartner zeigten sich nicht bereit, die Müllwagen an die Stadt zurückzugeben. Doch gab es nicht genug Kipplaster, und der Stadt waren die Hände gebunden, vor Ablauf der Frist am 18. Dezember neue Fahrzeuge einzukaufen, zumal Anzeichen eines Notstands noch nicht vorhanden waren.

Doch drei Tage vor Fristende wurde nicht der gesamte Müll zur Halde gefahren und der Rest türmte sich auf den Bürgersteigen. Die städtische Müllabfuhr konnte nicht eingreifen, weil dies ein Vertragsbruch gewesen wäre, da die Privatfirmen bis zum 18. Dezember ein Exklusivrecht auf den Abfall hatten.

Nach Ablauf der Frist untersagte dann die Stadtverwaltung den Privatunternehmen die Zufahrt zur Müllhalde, weil dies wiederum eine automatische Fortsetzung der Verträge bedeutet hätte. Die Petro-Regierung griff daraufhin auf Kipplader für Flüssigabfälle zurück und bestellte in New York gebrauchte Müllfahrzeuge.

Obwohl es Wochen dauerte, bis die Laster ankamen, hatte die städtische Müllabfuhr binnen drei bis fünf Tagen das Müllproblem wieder im Griff. Bei weiteren Verhandlungen stimmte Petro schließlich zu, drei Konsortien die Müllabfuhr in acht Gemeindebezirken zu überlassen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ipsnews.net/2013/12/zero-garbage-plan-tied-fate-ousted-bogota-mayor/
http://www.ipsnoticias.net/2013/12/basura-cero-en-bogota-con-futuro-incierto-como-el-alcalde/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2013