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INNOVATION/293: Eine grüne Haut schafft Energie (Unser Wald)


Unser Wald - 3. Ausgabe, Mai/Juni 2013
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Eine grüne Haut schafft Energie

von Andreas Grauer



Theoretisch wäre die Lösung unseres Energieproblems so einfach: Die Sonne produziert in einer Stunde genug Energie, um den Energiebedarf aller Menschen auf der Erde ein ganzes Jahr lang zu decken. Die Sonnenenergie müsste nur geerntet werden! Und das am besten so, dass dabei kein fossiles CO2 freigesetzt, sondern das in der Luft vorhandene CO2 gebunden wird. Dass dies geht, macht uns die Natur vor - mit der Photosynthese.


Die Photosynthese müsste technisch nur kopiert werden. Eine klassische Herausforderung für die Wissenschaft im Bereich der Bionik. Gearbeitet wird daran seit über 60 Jahren. "Künstliches Brot für die Menschheit?" lautete die Überschrift eines Artikels in einer Ausgabe der Zeitung DIE ZEIT von 1960, der über die gelungene Vollsynthese des Chlorophylls als Großtat der Chemie berichtet. Eine Forschergruppe in München schloss damals die letzte Lücke zum künstlichen Aufbau von Chlorophyll a. Damit war das "Geheimpatent Nr. 1 der Natur" weitgehend enträtselt: das Blattgrün. Das Gemisch aus Chlorophyll a und b in Pflanzen ist die einzige Substanz, die anorganische Materie (CO2. Bodenbestandteile, etc.) in organische Strukturen, wie Zucker, Stärke, Eiweiß und Fette, umzuwandeln vermag.

Seit damals hat sich auf diesem Forschungsgebiet viel getan. Solarzellen, wie sie auf vielen deutschen Dächern inzwischen installiert sind, zeugen vom technischen Fortschritt. Und es wird weiter mit Hochdruck geforscht. In Japan wird erfolgreich an der Entwicklung neuartiger Solarzellen nach dem Photosynthese-Prinzip gearbeitet, ebenso in Großbritannien und den USA. Hier stellt das amerikanische Energieministerium seit 2010 über fünf Jahre hinweg insgesamt 122 Millionen Dollar zur Verfügung, die in das "Zentrum für künstliche Photosynthese" in Kalifornien fließen. Ziel der US Forscher ist, mit Hilfe von Sonnenlicht aus Wasser und Kohlendioxid energiereichere Kohlenwasserstoffe, etwa Methan oder Ethan, herzustellen. Damit verfolgen die Forscher einen anderen Ansatz, als es bei der Photovoltaik der Fall ist. Hier produzieren Solarzellen Strom. Diese Methode der Energiegewinnung hat den Nachteil, dass sie zu teuer ist, um die gesamte Menschheit mit Sonnenstrom zu versorgen.

Zudem lässt sich der produzierte Strom nur schwer speichern, jedenfalls nicht so einfach wie Gas, Öl oder Kohle. Das künstlich hergestellte Methan der US-Forscher ließe sich hingegen in das bestehende Erdgasnetz einspeisen. Das Ethan könnte in der Infrastruktur, die wir für flüssige Treibstoffe (Tankstellen, etc.) aufgebaut haben, problemlos aufgenommen werden. Im Gegensatz zur Erzeugung von Biokraftstoffen auf Basis von landwirtschaftlichen Produkten, Stichwort Rapsöl, würde für die künstliche Photosynthese kein Ackerland gebraucht. Jedoch ist es nicht ganz einfach, einen Prozess nachzuahmen, den die Natur über Jahrmillionen bis zur Perfektion entwickelt hat. Nicht verwunderlich also, dass trotz allen wissenschaftlichen Fortschritten die Forscher derzeit noch nicht über ausreichende Kenntnisse im Bereich der Synthese von künstlichen Kraftstoffen verfügen.

Aber wenn Dinge nicht kopiert werden können, muss das Original genutzt werden. Statt technischer Finesse und ausgeklügelter Chemie, Natur nutzen. Also mehr Wälder anpflanzen? So schön dies wäre, scheinen Algen die bessere Alternative zu sein. Verglichen mit Landpflanzen produzieren diese bis zu fünfmal so viel Biomasse pro Hektar und enthalten besonders viele energetisch nutzbare Öle. Hinter der Idee, Algen zu nutzen, steht ein einfaches Prinzip. Die Algen werden in einem nährstoffreichen Kulturmedium unter CO2 Zugabe kultiviert. Dabei verdoppelt sich ihr Gewicht täglich. Die entstehende Biomasse wird dann geerntet und zur Energieproduktion in verschiedenster Weise genutzt. Immerhin enthält ein Gramm trockene Algenbiomasse etwa 23 kJ Energie. Zum Vergleich, ein Gramm Rapsöl enthält etwa 36 kJ. Auf den ersten Blick zwar 1/3 mehr, aber wenn die Produktionsdauer berücksichtigt wird, relativiert sich der Unterschied schnell. Zudem können die Bioreaktoren fast überall aufgebaut werden, so auch vor Häuserfassaden. Wer glaubt, auch dies sei sicher alles noch Zukunftsmusik, der irrt. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Hamburg-Wilhelmsburg wird im Präsentationsjahr 2013 erstmals ein solches Konzept realisiert.

Das BIQ-Gebäude hat quasi eine zweite grüne Haut. In plattenförmigen an Südwest-und Südostfassade angeordneten Glaselementen mit einer Gesamtfläche von rund 200 m2 werden Mikroalgen gezüchtet. Die einzelnen Bioreaktor-Elemente sind 2,60 Meter hoch, 70 Zentimeter breit und etwa zwei Zentimeter dick. Der Hohlraum fasst etwa 24 Liter - Raum für das mit Nährsalzen angereicherte Wasser, in dem die Algen angesiedelt werden. Damit die Mikroalgen innerhalb des Reaktors nicht absinken1 wird das Wasser mittels Druckluft ständig in Bewegung gehalten. Die hohen Strömungsgeschwindigkeiten an den Innenflächen des Bioreaktors verhindern, dass sich die Mikroalgen absetzen oder faulen. Kontinuierlich wird zudem CO2 eingebracht, um das Wachstum der Mikroalgen zu fördern.

Die Algen werden regelmäßig abgeerntet und bei einer Effizienzquote bei 70 bis 80 % in Biogas umgewandelt. Das erzeugte Biogas ist qualitativ so gut, dass es ins öffentliche Erdgasnetz eingespeist oder auch direkt zur Betankung von Erdgas-Autos genutzt werden kann.

Die grün schimmernde Bio-Gebäudehaut ist das Resultat von drei Jahren Forschung und Entwicklung, die durch die Förderung der Forschungsinitiative "Zukunft-Bau" der Bundesregierung ermöglicht wurde. Sie ist das Herzstück eines nachhaltigen regenerativen Energiekonzeptes, das gemeinsam von drei Firmen entwickelt wurde. Das System integriert zusätzliche weitere Funktionen, wie dynamische Verschattung, Wärmedämmung und Lärmschutz. Das BIQ hat quasi seine eigenen Blätter mit allen Funktionen, die wir von Bäumen kennen. Damit ist es ein gutes Beispiel für erfolgreiche Bionik und zeigt einen richtigen Weg im Bereich der Architektur. Und die Zukunft wird zeigen, wie sich die Forschung weiterentwickelt.

(Quellenangabe: www.colt-info.de; www.iba-hamburg.de;
www.solarfuelshub.org; www.zeit.de)


Autor Andreas Grauer ist Mitglied der Redaktion Unser Wald und SDW-Geschäftsführer in Rheinland-Pfalz; E-Mail: sdw@sdw-rlp.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Algen in der Hausfassade - ein Vorzeigeobjekt bei der Internationalen Bauausstellung in Hamburg.

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
3. Ausgabe, Mai/Juni 2013, S. 9 - 10
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
einschl. Versandkosten und 7% MwSt.
Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2013