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EUROPA/264: Europäische Emissionstragödie - Industrieinteressen gesichert (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände

EU-Koordination - 23.06.2010

Europäische Emissionstragödie - Industrieinteressen gesichert


VertreterInnen der drei EU-Institionen Rat, Parlament und Kommission haben sich auf einen Kompromiss bei der neuen Industrieemissionsrichtlinie geeinigt. Umweltverbände sind enttäuscht.

Der Kompromiss über die Neufassung der Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IPPC) wurde informell in der letzten Woche von den "Unterhändlern" im sogenannten Trialogprozess der drei Entscheidungsgremien nach der zweiten Lesung erreicht und am Dienstag von den Mitgliedstaaten offiziell bestätigt. Die neue Industrieemissionsrichtlinie fast die alte IPPC-Richtlinie und sechs weitere Richtlinien über Emissionen zusammen. Zukünftig soll sich die Genehmigung von Neuanlagen an der besten verfügbaren Technik orientieren, sofern das technisch und wirtschaftlich leistbar ist, und setzt Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickoxide, Feinstaub und flüchtige organische Verbindungen fest. Bis 2013 müssen die Mitgliedstaaten "Nationale Übergangspläne" an die EU-Kommission melden.

Doch Umweltverbände wie das Europäische Umweltbüro (EEB) reagierten "sehr enttäuscht". Denn einige interessierte Industriekreise sowie Länder wie Großbritannien, Italien und Polen, deren Kraftwerksparks einigermaßen veraltet sind, setzten Verschiebungen von Fristen und eine Ausweitung von lokalen Ausnahmemöglichkeiten durch. So gibt es für Großfeuerungsanlagen lange Übergangsfristen. Erst ab 30. Juni 2020 müssen Großfeuerungsanlagen die neuen Regeln verpflichtend einhalten und in die Technik investieren. Zudem lassen sich mit diversen Tricks - wie ein Betreiben von technisch veralteten Kraftwerken unter 17.500 Stunden pro Jahr oder einem geplanten Abschalttermin vor Ende 2023 - strengere Vorschriften umgehen.

Der Berichterstatter im EU-Parlament Holger Krahmer (Liberale, Deutschland) nannte dem Umweltinformationsdienst EurActiv gegenüber die Diskussion um Großfeuerungsanlagen "eine europäische Tragödie". Die nationalen Übergangspläne für die nächste Dekade seien "nichts anderes als eine Lizenz für Umweltverschmutzung durch uralte Kohlekraftwerke" und für die anderen, progressiveren Staaten eine Art "Strafe" für ihre zeitigere, umweltfreundlichere Politik. Dennoch bringe die Einigung "mehr Klarheit und baut Verzerrungen des Wettbewerbs im Bereich der Umweltanforderungen für Industrieanlagen in Europa ab", sagte Krahmer.

Das EEB kritisierte, dass die EU-Kommission kaum Handlungsmöglichkeiten habe, wenn Mitgliedstaaten die Vorschriften nicht einhalten - im Text werden keine rechtlich verbindlichen Sanktionen erwähnt. Dabei stießen die alten Kraftwerke 90 Prozent aller industriellen Stickstoffoxide und Schwefeldioxidemissionen aus, was die Luftqualität empfindlich verschlechtere und direkte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit habe. "Einige dieser Kraftwerksbetreiber nutzen schon über dreißig Jahre mit großen Gewinnen die ältesten und schmutzigsten Großfeuerungsanlagen und die EU erlaubt ihnen nun, sich um hohe Umweltstandards orientiert an der besten verfügbaren Technik herumzudrücken. Und die europäischen Bürger und Bürgerinnen zahlen derweil für Gesundheitskosten und Umweltschäden", sagte EEB-Industrieexperte Christian Schaible. Die Einigung muss nun noch formell vom EU-Parlament bestätigt werden, eine Abstimmung im Plenum ist für Juli geplant. [jg]


Artikel EurActiv vom 22. Juni: EU verwässert Industrie-Verschmutzungsgesetz [31]

EEB-Pressemitteilung vom 18. Juni: EU puts industry interest first [32] Christian Schaible, EEB Industrial Emissions Policy OfficerTEl, +32 (0)2 / 2891094, www.eeb.org

Holger Krahmer, FDP: www.holger-krahmer.de

[31] http://www.euractiv.com/de/klima-umwelt/eu-verwaessert-industrie-verschmutzungsgesetz-news-495457
[32] http://www.eeb.org/EEB/index.cfm/news-events/news/eu-puts-industry-interests-first/


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Quelle:
Newsletter zur EU-Umweltpolitik
Nr. 25/10, 24.06.2010
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination, 24.06.2010
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2010