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ENERGIE/1323: Strom aus der Wüste - Rechnung ohne den Wirt (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 151 - August/September 09
Die Berliner Umweltzeitung

Afrika als Retter Europas?
Strom aus der Wüste-Rechnung ohne den Wirt

Von Christoph Vinz


Meldungen der Medien in den letzten Wochen feierten bereits die baldige Lösung der europäischen Energieprobleme. Schon 2015 werde es möglich sein, die dringend benötigte Elektrizität aus nordafrikanischen Wüstengebieten zu beziehen. Riesige Solarkraftwerke sollen dann auf afrikanischem Boden errichtet werden, um Europas Energiehunger zu stillen.

Über eine Hochspannungs-Gleichstrom-Leitung, die, auf dem Meeresboden verlaufend, Afrika mit Italien verbinden soll, könnte die europäische Wirtschaft schon bald etwa 15 Prozent ihres Bedarfs aus nordafrikanischen Wüstenregionen erhalten. So lautet jedenfalls die frohe Botschaft.

Spektakulär mögen solche Meldungen ja sein, neu sind sie nicht. Im Februar hatte der deutsche Bundesumweltminister eine Goodwilltour durch mehrere nordafrikanische Staaten unternommen, um über die europäischen Solarpläne zu reden. Im Mai geisterte die Nachricht von einer Solarplan-Initiative im Rahmen einer zu bildenden "Mittelmeer-Union" durch die Presse.

In Ägypten wurde zu Jahresbeginn mit der Montage des ersten Parabolrinnenkraftwerkes begonnen, und in Algerien entsteht derzeit die größte Solaranlage der Welt. Berlin soll bereits mit Algier bilaterale Verhandlungen über künftige Stromlieferungen führen. Es soll nicht Gegenstand dieses Beitrages sein, eine Meldung wie "Strom aus Tunesien schon ab 2015" zu hinterfragen oder an dieser Stelle über den gewaltigen Investitionsbedarf für ein derartig gigantisches Projekt wie DESERTEC, ein Kunstwort aus desert und technology, zu sprechen.

Schon gar nicht soll eine Aussage kommentiert werden, nach der in der Sahara eine Fläche von 300 mal 300 Kilometern, bestückt mit Parabolspiegeln, den gesamten Energiebedarf der Welt decken könnte. Wenn Greenpeace laut taz vom 17. Juni in ungewohnter Euphorie verkündet, dass die geplanten Sahara-Großkraftwerke "eine der klügsten Antworten auf die globalen Umwelt- und Wirtschaftsprobleme dieser Zeit" seien, erscheint dies zumindest recht naiv.


Hochtechnologien für wen?

Schon seit längerer Zeit existieren Studien zu Solarkraftwerken, die in afrikanischen Wüstengebieten errichtet werden könnten. Gegenwärtig wird in Spanien diese Hochtechnologie im Bereich erneuerbarer Energien offenbar erfolgreich erprobt. Niemand sollte die deutsche Wirtschaft für so einfältig halten, nicht die wachsende Bedeutung erneuerbarer Energien zu erkennen. Nicht zuletzt deshalb stellen die großen Konzerne jährlich bedeutende Summen für die Forschung und Entwicklung im "grünen Bereich" zur Verfügung. Denn sie wissen besser als mancher Laie, dass fossile Brennstoffe nicht unendlich und ohne Abhängigkeiten zu haben sind.

Aber auf dem Gebiet der Solarkraftwerkstechnik gibt es noch eine Vielzahl ungelöster Fragen und offener Probleme. Am geringsten erscheinen hier die ansteigenden Stromverluste mit wachsender Entfernung oder die ständige Verfügbarkeit von Strom für die Industrie.

Auch der Kasseler Physiker, der im "Spiegel"-Interview vom 22. Juni Windkraft-Strom aus Nordafrika präferiert, geht von einer Energieversorgung der gesamten EU durch Marokko und Ägypten aus. Bei allen Jubel-Meldungen bleibt eine grundlegende Komponente außen vor: Viel zu wenig wird in diesem Zusammenhang über die wichtigste Voraussetzung gesprochen, die Rahmenbedingungen nationaler und internationaler Politik.

Es ist mehr als fraglich, ob eine Parole wie "Wüstenstrom für Europa" von den armen Staaten Nordafrikas wohlwollend aufgenommen wird. Im Gegenteil, gerade diese Länder dürften bei derartigen Vorhaben hoch sensibel reagieren. Warum soll der schwarze Kontinent Europas Probleme lösen? Was hat Afrika mit seinem immens steigenden Energiebedarf von einem Projekt, das möglicherweise nomadisierende Völkern eines ganzen Teils ihres Lebensraums beraubt und das gerade bei politisch instabilen Verhältnissen eine ständige Ursache unkontrollierbarer Ereignisse werden kann? Wie will man afrikanischen Völkern ein Vorhaben plausibel machen, das ihnen Land für Europa entzieht? Kann es nicht vielmehr sein, dass dies wie ein neuer, modernerer "Kolonialismus im grünen Gewande" daherkommt?

Technisch mag ja vieles irgendwann möglich sein, aber die politischen und auch psychologischen Rahmenbedingungen dürfen nie vergessen werden.

Da Afrika einen enormen Energiebedarf bei fast völligem Fehlen eines Stromverbundnetzes hat, sollte Europa das Know-how liefern, das die Staaten des Erdteils befähigt, sich ganz ohne konventionelle Großkraftwerke selbst zu helfen.

Europa ist gut beraten, mehr Energie in die Entwicklung erneuerbarer Energien innerhalb seines Kontinents zu investieren und mit dezentralen Lösungen die europäischen Energieprobleme der nächsten Zukunft anzugehen.


Technologietransfer statt Hochspannungskabel

Die früheren Kolonialmächte Europas können sehr viel für ein positives Image auf dem afrikanischen Kontinent tun, wenn sie mit umweltverträglichen, technisch zukunftsweisenden Ideen und Projekten Beiträge zur wirtschaftlichen Stabilisierung und Entwicklung leisten. Eine solche Unterstützung bedarf ständiger politischer Begleitung. Afrika-Experten sind sich sicher, dass nordafrikanische Staaten nicht gewillt sind, Europas Energieprobleme zu lösen. Auch sie verweisen darauf, dass die EU besser Konzepte entwickeln sollte, die die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigen.

Nordafrikanische Staaten seien vorrangig an Technologietransfer, Schaffung von Arbeitsplätzen und der Befriedigung des eigenen, steigenden Energiebedarfs interessiert. Die Realisierung europäischer Mammut-Energieprojekte auf afrikanischem Boden könne auch innerafrikanische Verteilungskonflikte auslösen, so die Experten. Wohlstand und Arbeit für die Völker Afrikas müsse Basis aller transkontinentalen Vorhaben sein.

Der renommierte Solarexperte Hermann Scheer ist der Ansicht, dass die Produktion von Solarstrom in Nordafrika eine wichtige Option sei: Aber nicht für das energiehungrige Europa, sondern für die nordafrikanischen Länder selbst. Scheer dämpft die Erwartungen an das Projekt mit afrikanischem Solarstrom, den am 13. Juli beschlossenen 400-Milliarden-DESERTEC-Plan deutscher Konzerne und verweist auf das Fehlen realistischer Kosten- und Zeitplanungen. Auch dieser Experte präferiert die dezentrale Entwicklung der erneuerbaren Energien. Europa könnte sonst die Rechnung ohne den Wirt machen.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Die Wüste lebt
desertec in den Sand gesetzt


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 151, August/September 09, S. 8
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2009