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AUTO/343: Raus aus der Öko-Nische? Die Autokonzerne entdecken das Carsharing (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/12
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Raus aus der Öko-Nische?
Die Autokonzerne entdecken das Carsharing

von Helge May


Flinkster, Quicar, Car2Go, DriveNow - das Autoteilen boomt und die Wortschöpfer in den Werbeagenturen haben Hochkonjunktur. In nur einem Jahr, von 2010 auf 2011, stieg die Zahl der Carsharing-Teilnehmer um ein Fünftel auf bundesweit 190.000. Die nächste Jahresbilanz dürfte noch glänzender ausfallen, denn inzwischen mischen die großen "Mobilitätskonzerne" von der Deutschen Bahn bis zu den Autobauern Daimler, VW und BMW kräftig mit. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Angebote, Modellprojekte und Allianzen. Der Kuchen wächst und alle wollen etwas abhaben. Auch internationale Hersteller wie Peugeot und die großen Autovermieter sind mit im Spiel. Das Öko-Institut prognostiziert für Deutschland ein Potential von bis zu 1,5 Millionen Nutzern, europaweit sehen Marktforscher neun Millionen Nutzer bis zum Jahr 2016 voraus.

Der Trend in den Großstädten ist eindeutig: Autofahren ja, aber es muss nicht mit dem eigenen sein. Schon heute haben zum Beispiel 40 Prozent der Berliner keinen eigenen fahrbaren Untersatz. Anschaffung und Unterhalt eines Privat-Pkw sind kostspielig, dabei wird das Durchschnittsauto nur eine Stunde pro Tag bewegt, die übrige Zeit steht es herum. Autokauf kommt vor allem bei jungen Menschen außer Mode. Stolze 51 Jahre ist der typische deutsche Neuwagenkäufer heute, Käufer unter 30 Jahren sind eine Seltenheit.


Versprechen Flexibilität

Was jedoch bringen die Mobilitätsangebote der Autohersteller und vor allem wem? Steckt dahinter ein Sinneswandel und die Erkenntnis, dass es dem Zeitgeist entspricht, ein Auto nicht unbedingt zu besitzen, sondern vor allem sinnvoll einzusetzen, oder tun sich hier einfach nur neue Geschäftsmodelle auf, mit denen die Hersteller ihre Absatzzahlen aufpeppen wollen? Kann die Kurzzeitmiete den Stadtverkehr tatsächlich revolutionieren, ist sie womöglich ein sinnvoller Steigbügel für die Elektromobilität auf vier Rädern? Oder geht das Teilzeitauto letztlich nur zulasten des Rad- und öffentlichen Bus- und Bahnverkehrs, ohne der Umwelt unterm Strich etwas zu bringen?

Wann lohnt es sich?

Carsharing wird in Deutschland in 250 Kommunen angeboten, meist sind es Großstädte und selbst dort oft nur zentrale Stadtteile. Zu den Ausnahmen gehört das von Stattauto abgedeckte Münchner Umland, außerdem Umlandgemeinden im Rhein-Neckar-Kreis, um Stuttgart und Hannover. Im Vergleich zum eigenen (Klein-)Wagen zahlt sich Carsharing bei Jahres-Fahrleistungen bis etwa 10.000 Kilometern aus. Fürs Pendeln zum Arbeitsplatz ist Carsharing nicht geeignet, da die Standzeiten teuer mitbezahlt werden müssten.


Die neuen Anbieter locken mit mehr Flexibilität. Wer bei einem der rund 130 "klassischen" Carsharing-Anbieter Mitglied wird, kann in der Regel zwar auch rund um die Uhr telefonisch oder im Internet einen Wagen buchen. Die Fahrtdauer muss jedoch vorher festgelegt werden und vor allem muss das Auto am Ende wieder zum Ausgangs-Parkplatz zurückgebracht werden. Bei Daimlers "Car2Go" oder "DriveNow" von BMW dagegen kann der Wagen an einem beliebigen Stellplatz innerhalb des Geschäftsgebietes "am Straßenrand" abgestellt werden. Das nächstgelegene freie Fahrzeug findet der Kunde per GPS-Ortung.

Doch wie wahrscheinlich ist es mit diesem System, zum gewünschten Termin in erreichbarer Nähe ein Carsharing-Auto zu finden? Das stationsgebundene Carsharing jedenfalls wirbt mit genau dieser Zuverlässigkeit. Schließlich sei das ein Hauptgrund für Kunden, ihr eigenes Auto abzuschaffen und so die Umwelt zu entlasten, argumentiert der Bundesverband Carsharing.


Minuten- und Stundenpreise

Auch wenn das Carsharing stark in Bewegung ist, stehen viele Angebote noch ganz am Anfang. So ist VWs Quicar zunächst auf Hannover beschränkt, DriveNow auf Berlin und München, Car2Go auf Hamburg und Ulm. In Düsseldorf konkurrieren demnächst DriveNow und Car2Go erstmals miteinander. Die Preise der Neuen unterscheiden sich kaum: Die Registrierung kostet zwischen 19 und 29 Euro, die Nutzungspreise liegen pro Minute zwischen 20 und 29 Cent. Alle Dienste haben auch einen Parktarif. Einen anderen Weg geht die Deutsche Bahn mit "Flinkster", denn das Konzept ähnelt mehr dem Mietwagen-Modell. Hier können die Wagen ebenfalls im Internet gebucht werden, jedoch für einen festen Zeitraum. Ein spontanes Fahren ist also nicht vorgesehen. Dafür sind die Leihwagen in mehr als 140 deutschen Städten verfügbar. Unter den alteingesessenen Anbietern deckt Stadtmobil 63 Städte ab, Teilauto 15 und Cambio 14. Manche Anbieter haben zudem "Quervereinbarungen", so dass Nutzer auch in fremden Städten Wagen teilen können.

Zwar gibt es auch Stunden- und Tagespauschalen, aber mit ihren minutengenauen Preisen legen die Neuen ihren Schwerpunkt klar auf kurze Nutzung. Für mehrtägige Nutzung und lange Fahrten sind Mietwagen oder die Vielfahrerangebote klassischer Carsharingunternehmen oft günstiger. Vielfahrer bezahlen dabei einen festen Monatsbetrag und dafür niedrigere Kilometerentgelte. Die Benzinkosten und die Parkgebühren sind übrigens meistens im Preis enthalten.

In allen Carsharingflotten werden vergleichsweise neue Wagen eingesetzt. Laut Bundesverband Carsharing liegt der Kohlendioxidausstoß im Schnitt 16 Prozent unter dem der Privatwagen. Die Autohersteller nutzen zudem ihre Carsharingangebote als Leistungsschau sparsamer Modelle, VW etwa mit dem Golf Blue Motion, Daimler mit dem Smart. Elektroautos sind zunehmend im Angebot. Diese aber nutzen der Umwelt erst dann wirklich etwas, wenn auch der verwendete Strom umweltverträglich erzeugt wird.


Die neuartigen Carsharing-Angebote

• Spontane Buchung durch Internet, App oder Telefonanruf oder gar sofortige Nutzung eines Autos, das man in der Stadt "entdeckt".

• Kurzer Buchungsprozess, ohne dass man einen Autoschlüssel abholen oder Unterschriften leisten muss.

• Kurze Wege zum Leihwagen: Die Autos sind nicht auf wenige Stellplätze konzentriert, sondern überall in der Stadt auffindbar.

• Flexible Nutzungsdauer durch stunden- oder gar minutengenaue Abrechnung, ohne dass man diese im Voraus festlegen muss. Dazu zählt auch, dass man das Auto an jedem Ort abstellen kann.

• Übersichtliche Preisstruktur: Wenige Tarife, beispielsweise einmalige Anmeldung, Stunden-, Tages- und Parktarife.


http://www.nabu.de/nabu/nh/2012/1/14567.html#header


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/12, S. 38-39
(Text in der Internet-Fassung)
http://www.nabu.de/nabu/nh/2012/1/14554.html
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2012