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ATOM/898: Jülicher Pannenreaktor wird eingemottet (BUND NRW)


BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. - 17. Juli 2009

Jülicher Pannenreaktor wird eingemottet / Steuerzahler muss für strahlende Altlast aufkommen

NRW-Landesregierung stramm auf Atomkurs - Hochriskotechnik "made in NRW"


Düsseldorf, 17.07.2009 - Im Streit um die Nutzung der Atomenergie wirft der nordrhein-westfälische Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) der Landesregierung grobe Fahrlässigkeit und Täuschung der Öffentlichkeit vor. Der BUND legte jetzt eine Analyse zu der an Pannen und Beinahe-Katastrophen reichen Geschichte des AVR-Versuchsreaktors in Jülich vor. Mit dem unlängst abgeschlossenen Genehmigungsverfahren zum Rückbau dieses Kugelhaufen-Versuchsreaktors sei Nordrhein-Westfalen eine strahlende Altlast aufgebürdet worden, die dem Steuerzahler noch teuer zu stehen komme. Dennoch halte die Landesregierung unbeirrbar an dieser Technologie fest.

"Trotz des Desasters um den Jülicher Reaktor versuchen CDU und FDP mit fragwürdigen Argumenten, eine Renaissance der Atomenergie herbeizureden. Angesichts der nüchternen Fakten um den AVR-Versuchsreaktor ist das Festhalten der NRW-Energieministerin Christa Thoben an dieser unbeherrschbaren Hochrisikotechnologie nur noch als grob fahrlässig und unverantwortlich zu bezeichnen", sagte der stellvertretende BUND-Landesvorsitzende Friedrich Ostendorff. Thoben habe sich mehrfach für eine Wiederbelebung des Kugelhaufenreaktortyps ausgesprochen. Auch der FDP-Chef und Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP) möchte den Bau neuer Atomkraftwerke in Deutschland laut eigener Aussage nicht ausschließen. "Dabei sollten sie es besser wissen. Sowohl der Pannenreaktor THTR in Hamm als auch der Betrieb des Versuchsreaktors AVR in Jülich haben nur eines gezeigt: Die Atomenergie ist und bleibt unbeherrschbar."

Der Versuchsreaktor AVR war ein heliumgekühlter graphitmoderierter Hochtemperaturreaktor mit kugelförmigen Brennelementen ("Kugelhaufenreaktor"). Seine thermische Leistung betrug 46 MW, die elektrische Bruttoleistung 15 MW. Aufgabe der Anlage war es, den vermeintlich sicheren Betrieb und die Verfügbarkeit dieses neuen Reaktortyps zu demonstrieren, Komponenten und insbesondere HTR-Brennelemente zu erproben sowie reaktortypbezogene Experimente durchzuführen. Nach 21 Betriebsjahren und einer Serie von gravierenden Pannen und Problemen wurde die Anlage am 31.12.1988 endgültig abgeschaltet.

Doch der AVR kann wegen der noch immer hohen Strahlenbelastung nicht zerlegt und in ein Zwischenlager transportiert werden. Er soll deshalb unter Beton mindestens 30 Jahre, eher noch Jahrhunderte, eingeschlossen werden, ehe man den Reaktorbehälter öffnen kann. Zusätzlich muss der Reaktorbehälter aber vom ursprünglichen Standort wegbewegt werden, weil im Jahr 1978 kontaminiertes Wasser in das Erdreich neben und unter das Gebäude gelangt ist und dieser Bereich saniert werden muss. Ein entsprechendes atomrechtliches Genehmigungsverfahren wurde unlängst abgeschlossen.

Dorothea Schubert, AVR-Expertin des BUND: "Mit dem AVR wird uns eine strahlende Altlast serviert, die uns noch teuer zu stehen kommt. Die zu hohen Betriebstemperaturen im Reaktorkern und zahlreiche Fehleinschätzungen der Atomtechniker haben der Allgemeinheit einen stark radioaktiv strahlenden Reaktorkern und dessen Lagerung für viele Jahrzehnte in einer Betonhalle beschert. Von einem geordneten Rückbau kann keine Rede sein. Tatsächlich überlassen die Verantwortlichen in Bund und Land das Problem einfach unseren Kindern und Enkeln." Die Rückbau-Kosten werden nach Angaben des Bundesrechnungshofs allein bis 2012 auf mehr 500 Millionen Euro geschätzt, die vom Steuerzahler zu tragen sind.

Während des Forschungsbetriebes, so zeigt die BUND-Analyse, sind viel mehr Brennelementekugeln zu Bruch gegangen, als man erwartet hatte. Diese Bruchstücke stecken im Reaktor fest und geben starke radioaktive Strahlung ab. Außerdem haben die mit Graphit zusammen gebackenen Kugeln durch Reibung sehr viel Graphitstaub abgegeben und stark radioaktive Spaltprodukte wie Strontium-90 durch den ganzen Reaktor transportiert. Erst beim Abbauversuch wurde deutlich, dass die Ursache für die große Kontamination im "bestimmungsgemäßen Betrieb" des Hochtemperaturreaktors bestand. Der Reaktor wurden jahrelang mit viel zu hohe Temperaturen gefahren.

Trotz dieses systemimmanenten Desasters werde dieser Reaktortyp von Landesregierung und Atomlobby weiter favorisiert, so die BUND-Kritik. In Südafrika, China und den USA sollen wieder Versuchsreaktoren gebaut werden und solche Reaktoren in Serie gehen - Hochrisikotechnik "made in NRW".

Mehr Infos:
Unter http://www.bund-nrw.de/themen_und_projekte/energie_klima/atomenergie/ steht das ausführliche BUND-Hintergrundpapier "Kugelhaufenreaktoren - Desaster oder Zukunftsoption? Das Fallbeispiel des AVR Jülich" als Download zur Verfügung. Die BUND-Analyse wertet einen internen Bericht des Forschungszentrums zum AVR-Betrieb und Unterlagen des Genehmigungsverfahrens aus und weist auf die Brennpunkte hin.


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Quelle:
Presseinformation Nr. 49, 17. Juli 2009
Herausgeber: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen
Merowingerstr. 88, 40225 Düsseldorf
Tel.: 0211/30 20 05-22, Fax: 0211/30 20 05-26
Redaktion: Dirk Jansen, Pressesprecher
E-Mail: dirk.jansen@bund.net
Internet: www.bund-nrw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009