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ATOM/1272: Das Aus für die Zwischenlager ist auch das Aus für die AKW (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 674-675 / 29. Jahrgang, 5. Februar 2015

Atommüll-Zwischenlager
Das Aus für die Zwischenlager ist auch das Aus für die AKW

von Thomas Dersee


Die Grünen haben es jetzt in der Hand, die noch laufenden Atomkraftwerke abzuschalten und für einen wirklichen Neustart bei der Atommüll-Frage zu sorgen. Mit Ausnahme von Bayern sind Grüne Minister oder Präsidenten für die Atomstandorte verantwortlich. Darauf weist Dirk Seifert, neuer stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises Atom und Strahlenschutz des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) und Mitarbeiter des Linken Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel, in seinem Blog umweltFAIRaendern.de hin. Das Brunsbüttel-Urteil, demzufolge die Lagerung von hochradioaktivem Atommüll im Castor-Zwischenlager rechtswidrig ist, müsse auch bei den anderen Zwischenlagern an den AKW-Standorten zum Einlagerungsverbot führen. Damit stünden auch alle anderen Atommeiler ohne den für den Betrieb erforderlichen Entsorgungsnachweis da. Denn alle diese Lager seien nach den gleichen Genehmigungsgrundsätzen und mit den gleichen Defiziten genehmigt worden.

In Baden-Württemberg sind eine grün geführte Landesregierung und der grüne Umweltminister Untersteller zuständig für die beiden AKWs Neckarwestheim und Philippsburg. In Schleswig-Holstein ist der grüne Minister Robert Habeck mit dem AKW Brokdorf am Zug. Stefan Wenzel, Niedersachsens grüner Umweltminister, ist für die Atommeiler in Grohnde und Lingen verantwortlich. Einzige Ausnahme: Bayern mit den AKWs Grafenrheinfeld (soll im Sommer 2015 abgeschaltet werden) sowie Gundremmingen (zwei Blöcke, KRBII) und Isar 2. Außerdem: Wolfram König ist grüner Präsident des für die Zwischenlager zuständigen Bundesamtes für Strahlenschutz.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte mit seinem Urteil vom 16. Januar 2015 ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Schleswig vom Sommer 2013 bestätigt und das AtommüllZwischenlager am stillgelegten Atomkraftwerk Brunsbüttel (KKB) mit der Begründung geschlossen, es seien keine Sicherheitsnachweise für das betreffende Gebäude mit 120 Zentimeter dicken Mauern gegen Einwirkungen von außen (EVA) durch Flugzeuge und Terror erbracht worden.

Falsche Stresstests

Daß zum Beispiel das Zwischenlagergebäude des Kernkraftwerks Gundremmingen (KRBII) nur über Wandstärken von 85 Zentimeter und Deckenstärken von 55 Zentimeter verfügt, disqualifiziert dieses in gleicher Weise, erklärt dazu der Diplom-Physiker Reiner Szepan. Diese Gegebenheit sei allerdings nur von zweitrangiger Bedeutung. Denn der Stresstest der Reaktorsicherheitskommission (RSK) vom Mai 2011 nach Fukushima im Auftrag der Bundesregierung verlangte für alle Kernkraftwerke Sicherheitsnachweise zur Beherrschung von Fliegereinwirkungen. Die zylindrischen Gebäude der zwei Reaktoren von KRBII mit Wandstärken von angeblich durchgehenden 150 Zentimetern seien bereits gegen den Aufschlag von Kampffliegern gemäß einem Schutzgrad 1 ausgelegt, hieß es. Das ist allein schon deswegen unzutreffend, so Szepan, weil das dabei beanspruchte Regelwerk erst 10 Jahre nach der Errichtung formuliert und eine seriöse Festigkeitsanalyse zu KRBII nie bekannt wurde. Daß unmittelbar neben KRBII der Nato-Fliegerhorst Leipheim betrieben wurde, sei unverantwortlich gewesen. In einem groß angelegten, für die Öffentlichkeit bestimmten Sicherheitsgutachten zu KRBII wurde hierzu auf eine Statistik verwiesen, die - allerdings unerwähnt - die Umgebung zu Militärflugplätzen ausnahm.

Die Schutzgrade 2 und 3 des Stresstests betreffen die Einwirkung mittlerer und großer Verkehrsflugzeuge, erklärt Szepan weiter. Hierzu sei die EVA-Sicherheit der Reaktorgebäude eines anderen Typs in einer "generischen" Betrachtung herangezogen worden und die Übertragung auf KRBII "qualitativ" behandelt. Die professionelle Überprüfung dieser Transformation weise allerdings eine absolut ungenügende effektive Wandstärke der Reaktorgebäude von KRBII von lediglich 30 Zentimetern aus, die sicher keinem Fliegeraufschlag zu widerstehen vermag, also nicht einmal zum Schutzgrad 1, so Szepan.

Das Protokoll der RSK-Sitzung verlangt zur Erfüllung der Schutzgrade 2 und 3 für das KRBII zusätzliche Nachweise. Diese wurden gemäß Auskunft des Bundesumweltministers (BMU) nie erbracht. Damit konfrontiert, gestand der Bayerische Umweltminister (StMUV), dem Betreiber von KRBII diese aus Kostengründen erlassen zu haben, berichtet Szepan weiter.

Die beiden Blöcke des Kernkraftwerks KRBII haben weitere EVA-Probleme. Die jeweiligen Schaltanlagengebäude beherbergen neben Teilen des Notstromsystems unter anderem das Reaktorschutzsystem und die Warte. Die Zerstörung eines dieser völlig ungeschützten Schaltanlagengebäude durch Fliegereinwirkung zieht den Ausfall aller Sicherheitssysteme mit der zwangsläufigen Folge eines unbeherrschten Reaktorkerns nach sich. Diesen Sachverhalt bestreitet jedoch das StMUV entgegen dem Widerspruch des BMU, berichtet Szepan.

Und das ist noch nicht alles. Der in einem solchen Fall notwendigen abrupten Isolation des Reaktors folgt augenblicklich ein steiler Druckanstieg im Reaktordruckbehälter, erklärt Szepan. Je nach Verfassung des Reaktorkerns mit seinen Abschaltelementen, dem Teilversagen dieser Elemente bzw der erforderlichen Sicherheitsventile, dem Aufblähen der Brennstäbe und der Brennelemente-Kästen sowie dem Versagen der Druckmessung kann der Druckanstieg in einer Nuklearexplosion die Auslegungsgrenzen des Reaktordruckbehälters mit fatalen Folgen überschreiten.


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_15_674-675_S08.pdf


Dirk Seifert: Brunsbüttel Castor-Urteil: GRÜN kann abschalten! 25.01.2015,
http://umweltfairaendern.de/2015/01/brunsbuettel-castor-urteilgruen-kann-abschalten/
Reiner Szepan, persönl. Notiz v. 22.01.2015, mail[at]szsc.de

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Februar 2015, Seite 8
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2015

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