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ATOM/1197: Gronau liefert Uranbrennstoff in die ganze Welt (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 114/3.2012

Gronau liefert Uranbrennstoff in die ganze Welt

von Dirk Seifert, Hamburg, Energiereferent bei ROBIN WOOD



Die URENCO ist ein Unternehmen, das zu je einem Drittel der britischen und niederländischen Regierung gehört sowie den deutschen Atomkonzernen E.on und RWE (je 16,5 Prozent). In drei Fabriken an den Standorten Almelo (NL), Caphurst (GB) und Gronau (D) wird Uran angereichert (siehe Kasten), damit es später in Atomreaktoren eingesetzt werden kann. Seit Jahren expandiert die URENCO. In Almelo und Gronau wird die Produktionskapazität immer noch schrittweise erweitert. Und in den USA ist eine weitere Urananreicherungsanlage im Bau. In Eunice, New Mexico, entsteht eine URENCO-Anlage, die von derzeit rund 400 Tonnen in den nächsten Jahren auf 5.700 Tonnen Urantrennleistung hochgeschraubt werden soll.
Von besonderer Brisanz ist der Betrieb von Urananreicherungsanlagen vor dem Hintergrund, dass in diesen Anlagen nicht nur Brennstoff für den Betrieb von Atomkraftwerken hergestellt werden kann, sondern grundsätzlich auch die Möglichkeit besteht, hochangereichertes Uran für die Verwendung in Atomwaffen zu erzeugen. Wie brisant solche Anlagen sind, zeigt sich an dem seit Jahren andauernden internationalen Konflikt um das iranische Atomprogramm.

Warum Urananreicherung Der Betrieb von Atomkraftwerken erfordert die Herstellung von Brennelementen aus Uran. Um in den heutigen Leistunqsreaktoren die nukleare Kettenreaktion in Gang zu setzen, muss der Brennstoff einen Anteil von etwa 4 bis 5 Prozent des spaltbaren Uran 235 enthalten. Da Uran aber in der Natur lediglich mit einem Anteil von rund 0,7 Prozent dieses Isotops vorkommt, muss es in einem überaus komplizierten Verfahren angereichert werden. Durchgesetzt hat sich dabei eine Technik, in der das natürliche Uran zu einem Gas umgewandelt wird (Uranhexaflurorid) und in dieser Form durch eine Anzahl von Zentrifugen geschleust wird. In diesen Zentrifugen wird das Natururan in seine Isotope Uran 235 (spaltbar) und Uran 238 (nicht spaltbar getrennt. Um also eine Anreicherung von fünf Prozent Uran 235 zu erhalten, müssen ca. sechs Teile Natururan abgereichert werden!
Staatsvertrag für die Urananreicherung in Deutschland

Um den Betrieb einer Urananreicherungsanlage in Deutschland durchzusetzen, brauchte es viel Diplomatie und eines Staatsvertrags. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts sind die Grundzüge der Atomenergienutzung in Deutschland politisch auf den Weg gebracht worden. Deutschland wollte aber nicht nur Atomkraftwerke bauen, sondern auch alle dazu erforderlichen technischen Komponenten. Das heikelste Projekt war dabei die Urananreicherung, da die Trennung von ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie hier am geringsten ist. Nach dem Faschismus und dem zweiten Weltkrieg war das Misstrauen gegen Deutschland groß. Atomwaffen spielten im Kalten Krieg zwischen den Weltmächten USA und Sowjetunion eine herausragende Rolle. Und obwohl unter der Führung der USA Deutschland inzwischen aufgerüstet und zum Mitglied im mächtigen Militärbündnis NATO geworden war: Die Vorstellung, dass Deutschland Technologien zur Herstellung von Atomwaffen betreiben könnte, löste in den USA und vielen westeuropäischen Staaten blankes Entsetzen aus.
Für das geplante (west)deutsche Atomprogramm war daher nicht nur der Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag zwingend. Um die Urananreicherung in Deutschland zu ermöglichen, war ein internationaler Staatsvertrag erforderlich, dessen Regelungen auch zum Bestandteil des Atomwaffensperrvertrags gemacht wurden.

Mit dem Vertrag von Almelo wurde 1970 die internationale Zusammenarbeit bei der Urananreicherung zwischen dem Atomwaffenstaat Großbritannien sowie Deutschland und den Niederlanden staatsrechtlich geregelt. Der Deutsche Bundestag ratifizierte diesen Vertrag am 15. Juli 1971. Sowohl die Forschung und Entwicklung, als auch der Bau und Betrieb von Urananreicherungstechnik sollte künftig zwischen den drei Staaten gemeinsam betrieben werden. Auf der Basis dieses bis heute gültigen Übereinkommens wurde die URENCO gegründet. Während die Anlagen in Capenhurst und Almelo unmittelbar nach dem Vertragsabschluss in Bau gingen und bereits 1976 ihren Betrieb aufnahmen, folgte die Inbetriebnahme in Gronau erst 1985.
Im Artikel 1 Absatz 2 des Vertrags von Almelo wird der Charakter der Zusammenarbeit festgelegt: "Die Vertragsparteien fördern (!) die Errichtung und den Betrieb gemeinsamer Industrieunternehmen zum Bau von Anlagen für die Anreicherung von Uran im Gaszentrifugenverfahren und zum Betrieb dieser Anlagen sowie zur sonstigen Nutzung dieses Verfahrens auf kommerzieller Grundlage."

Dies entsprach dem damaligen Grundsatz auch des deutschen Atomgesetzes, das ja ausdrücklich zur Förderung des Ausbaus der Atomenergie gedacht war. Doch im Atomgesetz ist dieser Förderungscharakter seit der rot-grünen Bundesregierung und dem sogenannten "Atomausstiegs-Konsens" in den Jahren 2000/2002 gestrichen worden. Der Vertrag von Almelo und damit die Förderung des Bau und Betrieb von Urananreicherungsanlagen ist jedoch bis heute gültig. Von großer Bedeutung ist auch der Absatz 2 des Paragraphen VI. Darin heißt es: "Die Vertragsparteien verpflichten sich ferner, zu gewährleisten, dass die in Artikel 1 bezeichneten gemeinsamen Industrieunternehmen kein Uran mit dem für Waffen erforderlichen Anreicherungsgrad zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern erzeugen." Hier wird also geregelt, dass in den gemeinsam betriebenen Anlagen keine Urananreicherung stattfinden darf, in denen waffenfähiges Uran hergestellt wird. Diese Regelung bedeutet nicht nur, dass damit Deutschland und den Niederlanden verboten wird, dies zu tun. Auch der Atomwaffenstaat Großbritannien verpflichtet sich damit, keine der gemeinsam betriebenen Anlagen zu diesem Zweck zu nutzen! Keine andere Atomanlage in Deutschland gründet sich auf einem solchen internationalen Staatsvertrag.

Der Vertrag von Cardiff: Ausbau der europäischen Atom-Allianz

Seit Anfang der 2000er Jahre hat sich aufgrund der Globalisierungsprozesse und Umbrüche in der internationalen Energiewirtschaft in der europäischen Atomwirtschaft vieles verändert und zahlreiche Unternehmen haben ihre Aktivitäten in der Atombranche zusammengelegt, auch im Bereich der Urananreicherung. Frankreich hatte seine Urananreicherung bislang auf Basis des sogenannten Gasdiffusionsprinzips betrieben. Gegenüber dem von der URENCO genutzten Verfahren der Gaszentrifugen zeichnete sich diese Technik vor allem durch ihren extrem hohen Energieverbrauch aus. Während bei der Gaszentrifuge rund 50 kWh pro kg UTA (Urabtrennarbeit) benötigt werden, braucht es bei der Diffusionstrennung bis zu 2500 kWh pro kg UTA.

Hinzu kam, dass Frankreich jahrelang viel Geld in die Entwicklung einer Urananreicherungstechnologie auf Laserbasis gesteckt hat. Eine Entwicklung, die bis heute nicht wirtschaftlich betreibbar ist. Beides stellte für Frankreich also ein erhebliches wirtschaftliches Problem dar, wollte man weiterhin auch auf dem Weltmarkt bestehen.
Aus diesen Gründen strebte Frankreich eine Zusammenarbeit mit den URENCO-Staaten an, um so an die erheblich kostengünstigere Gaszentrifugentechnik zu kommen. Im Jahr 2005 führten diese Verhandlungen zum Vertrag von Cardiff, der schließlich von der Großen Koalition am 1. Juli 2006 im Bundestag angenommen wurde. Er regelt die Rahmenbedingungen, in dem nun die URENCO-Staaten-Gruppe mit Frankreich und dem dort inzwischen neu entstandenen staatlichen Atomkonzern AREVA im Bereich der Urananreicherung zusammenarbeiten.
In diesem Vertrag vereinbaren die nunmehr vier Staaten die Gründung und die Aufgaben für ein neues Gemeinschaftsunternehmen, für die Enrichment Technology Company (ETC).

AREVA und URENCO - Anreicherungstechnik für den Weltmarkt

Wie schon im Vertrag von Almelo enthält auch der Vertrag von Cardiff die oben genannten Regelungen, also einmal die explizite Verabredung, dass die Vertragsstaaten die Forschung und Entwicklung für Anlagen zur Urananreicherung fördern und außerdem untereinander verabreden, dass in diesen Anlagen keine Anreicherung erfolgen darf, die für den Bau von Atomwaffen geeignet ist.
Im Sommer 2006 beteiligte sich auf Basis dieses Staats-Vertrags die AREVA an der bereits 2003 von der URENCO gegründeten ETC mit 50 Prozent. Heute arbeiten rund 2000 Mitarbeiter an sieben Standorten in England, den Niederlanden, Deutschland, den USA und Frankreich für die ETC. In Deutschland hat die ETC Niederlassungen in Gronau und in Jülich. Am Sitz in Jülich - direkt neben dem ehemaligen Atomforschungszentrum - arbeiten rund 540 Beschäftigte, die neben Forschung und Entwicklung für die "gesamte Unternehmensgruppe die Fertigung von Zentrifugenkomponenten" betreibt. In Gronau sind derzeit rund 170 MitarbeiterInnen mit dem "Bau von Kaskadenverrohrungen beschäftigt". Von Gronau aus betreibt die ETC auch "die Kapazitätserweiterung der Anreicherungsanlage unseres Kunden URENCO". (Homepage ETC) Auch für die URENCO lohnt sich diese Zusammenarbeit mit der AREVA. Kaum ist das gemeinsame Unternehmen gegründet, erteilte AREVA der ETC den Auftrag zum Bau einer neuen Urananreicherungsanlage. Für rund drei Milliarden Euro entsteht diese neue Anlage in Frankreich an einem der weltweit größten Atomstandorte in Tricastin, kurz vor Avignon an der Rhone gelegen. Die neue Anlage soll die veraltete, noch auf Basis der Gasdifussion arbeitende Anlage Georges Besse 1 ersetzen. Die George Besse II lieferte erstmals 2011 angereichertes Uran und soll bis 2016 schrittweise weiter ausgebaut werden. Sie besteht aus zwei Komplexen, dem Nord- und Südteil.

Wer ist AREVA? Der französische Staatskonzern AREVA betreibt unter seinem Dach die gesamte Spirale von Technologien, die mit der Atomenergie zusammenhängen. Er betreibt Uranminen in aller Welt und umfasst alle Schritte der Herstellung von Uran- und Plutoniumbrennstoffen - auch für Atomwaffen und für atombetriebene U-Boote bis hin zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstoffe und der vermeintlichen Entsorgung von Atommüll. Der Konzern gehört dem französischen Staat: 79% der Anteile gehören dem Commissariat à l'énergie atomique et aux énergies alternatives (CEA, dt. Kommissariat für Kernenergie und alternative Energien), 8,4% direkt dem französischen Staat, 3,6% der Caisse des Depôts et Consiqnations (CDC, staatliches französisches Finanzinstitut).
Zivil-Militärische Trennarbeit

Die Verträge von Almelo und Cardiff regeln, dass in Anlagen der gemeinsamen Unternehmungen kein atomwaffenfähiges Uran erzeugt werden darf. Unklar ist aber, inwieweit z.B. die AREVA Erkenntnisse aus der gemeinsamen Forschung und Entwicklung bei der Urananreicherungstechnik unter dem Dach der ETC weiter nutzen kann, z.B. im Rahmen des französischen Atomwaffenprogramms. Gleiches gilt natürlich auch für Großbritannien. Informationen zu diesem Bereich gibt es bislang nicht. Auf der Hauptversammlung 2012 von E.on haben kritische Aktionäre den Vorstand zu dieser Problematik befragt. Der konnte oder wollte dazu nichts sagen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • März 2012: Protest gegen die Atomfabrik in Gronau
  • Von besonderer Brisanz ist, dass in den Urananreicherungsanlagen auch hochangereichertes Uran für die Verwendung in Atomwaffen erzeugt werden könnte
  • Unter dem Motto "Fukushima mahnt: Atomanlagen jetzt abschalten!" demonstrierten wie hier in Frankfurt/Main am Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima rund 50.000 Menschen bundesweit. Sie forderten die Urananreicherung im nordrhein-westfälischen Gronau einzustellen
  • Dirk Seifert: Anti-Gronau-Demo, ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 114/3.2012, Seite 28-30
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2012