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ATOM/1012: Was Röttgen meint, wenn er von Atomausstieg spricht (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 8 / Frühjahr 2010

Was Röttgen meint
Umweltminister schlägt atompolitisch neue Töne an. Was bedeutet das für seine Politik?

Von Jochen Stay


Der Hype um die angeblich atomkritischen Äußerungen von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) ist groß. Er wird zum "Anti-Atom-Minister" ernannt, der angeblich "einen schnelleren Ausstieg als bisher vereinbaren" will. Die Angriffe aus seiner Partei verstärken diesen Eindruck noch. Doch was will Röttgen wirklich?

Das "Handelsblatt" schrieb treffend: "Der Umweltminister wird dafür sorgen, dass die CDU ihr Image als Pro-Kernkraft-Partei verliert, obwohl sie die Laufzeiten verlängert." Röttgen hat von seinen Vorgängern Trittin und Gabriel gelernt, dass ein Teil der Bevölkerung sich beruhigen lässt, wenn man den Weiterbetrieb der AKW einfach "Atomausstieg" nennt. Deswegen ist es besonders wichtig, seine Rhetorik aufzudecken.

"Der Wunsch, staatliche Einnahmen zu erzielen, kann kein tragender Gedanke eines energiepolitischen Konzeptes sein. Das wäre eine Form von Deal-Politik, die ich ablehne. Im Übrigen kann ich nicht erkennen, was eigentlich die verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage für solche Abschöpfungen ist. (...)

Es darf nicht einmal der Verdacht aufkommen, dass der Staat in einen Konflikt geraten könnte zwischen dem Interesse, Gewinne zu erzielen und jenem, Sicherheit zu gewährleisten. (...) Entscheidend ist auch, dass die Energieversorgungsunternehmen in den Ausbau der Netze investieren (...)"

Röttgen meint eigentlich:
"Natürlich kann es einen Deal geben. Es darf nur keiner Verdacht schöpfen, dass dabei Nachlässe in Sachen Sicherheit gegeben werden. Und die Verwendung der Zusatzgewinne sollen die Stromkonzerne selbst kontrollieren, nicht der Staat."

Eine Steuer auf Kernbrennstoffe "wäre dann Sache des Finanzministers. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich möchte das Thema nur aus der Debatte um ein Energiekonzept heraushalten."

Röttgen meint eigentlich:
"Wir können als Staat also doch ein bisschen dran verdienen, aber das soll bitte niemand in Verbindung mit den Laufzeitverlängerungen bringen."

"Die Atomkraft soll nur eine Brückenfunktion haben, bis die Erneuerbaren Energien die Versorgung verlässlich und preislich wettbewerbsfähig übernehmen. Genau das verfolge ich. (...) In dem Umfang, in dem Erneuerbare sich aufbauen, wird Kernenergie zurückgehen. (...) In dem Augenblick, in dem die Erneuerbaren 40 Prozent ausmachen, also 23 plus 16, ist die Kernenergie abgelöst. Selbst nach den skeptischsten Annahmen ist das 2030 der Fall."

Röttgen meint eigentlich:
"Wir können jetzt noch gar nicht aussteigen. Und wenn die Stromkonzerne wegen der AKW-Laufzeitverlängerung den Bau ihrer großen Offshore-Windparks verschieben, dann laufen die Reaktoren eben noch länger."

"Im Übrigen muss sich eine Partei wie die Union (...) gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will. (...) Wir sollten unsere Akzeptanz in der Bevölkerung nicht an den störungsfreien Betrieb von Kernkraftwerken knüpfen."

Röttgen meint eigentlich:
"Wir sollten als Partei nicht so offensiv für Atomenergie werben, wenn uns das Wählerstimmen kosten könnte. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir Atomkraftwerke abschalten."

"Die Kernkraftwerke sind auf 40 Jahre ausgelegt. Nicht auf 60, sondern auf 40 Jahre. Wenn man darüber hinausgehen würde, wäre das eine Zäsur. Das erforderte eine ganz neue sicherheitstechnische Bewertung."

Röttgen meint eigentlich:
"Laufzeitverlängerungen um acht Jahre wirken harmloser, reichen aber völlig aus, um erst einmal alle AKW am Netz zu lassen. Später kann man erneut verlängern. Und gründliche Sicherheitschecks der Reaktoren sind erst nach 40 Betriebsjahren nötig, nicht etwa schon jetzt."

"Die Frage der Laufzeiten wird im Rahmen dieses (energiepolitischen) Konzeptes zu entscheiden sein, nicht schon vorher. Bis dahin muss der Betrieb einzelner Kernkraftwerke auf der Basis des geltenden Rechts entschieden werden. Übrigens eines, das die Unterschrift der großen Energieunternehmen trägt."

Röttgen meint eigentlich:
"Die Kraftwerksbetreiber können ihre Alt-AKW auch ohne meine Hilfe über die Zeit retten. Was soll ich mir da die Finger schmutzig machen?"


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Quelle:
Rundbrief 8, Frühjahr 2010, S. 2
Herausgeber: .ausgestrahlt
Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010