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VERKEHR/1063: Von Dopingkontrollen und Abgasschummeleien (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 191 - April/Mai 2016
Die Berliner Umweltzeitung

Von Dopingkontrollen und Abgasschummeleien
Der VW-Abgasskandal entwickelt sich immer mehr zu einem nationalen Problem

Von Konstantin Petrick


Seit Bekanntwerden des VW-Abgasskandals ist viel Zeit vergangen - genauer gesagt schon mehr als vier Monate. In dieser beträchtlichen Zeitspanne sollte viel passiert sein - die Bundesregierung hat es bisher nicht geschafft, wie Ende September 2015 versprochen, "eine lückenlose und rasche Aufklärung des VW-Skandals" zu gewährleisten. Sie versteckt sich nahezu hinter leeren Worten, die dem Verbraucher den Schein "einer funktionierenden Automobilindustrie in Deutschland" suggerieren sollen - und das zu Zeiten der massiven Verbrauchertäuschung durch VW.

Nicht nur VW

Und damit nicht genug: Das ZDF-Team der Sendung Fronta121 hat die Abgaswerte von unterschiedlichen Kraftfahrzeugen, die in Deutschland hergestellt wurden, sowohl auf dem Rollen-Prüfstand als auch auf der Straße genauer unter die Lupe genommen und Erschreckendes festgestellt. Sie verglichen die Emissionsverhalten des BMW 320d, des Mercedes C200CDI und des Renault Laguna dCi mit dem eines VW Passat 2.0 TDI, der nachweislich die besagte verbotene Abschalteinrichtung besitzt. Auf einem Rollen-Prüfstand in der Schweiz erfüllten alle vier Kraftfahrzeuge den gesetzlichen Grenzwert für die Stickoxid-Emissionen - zurzeit liegt dieser bei 180 Milligramm pro Kilometer. Doch dann kam die Überraschung, nämlich dass beim Befahren der genau gleichen Strecke auf der Straße stark abweichende Stickoxid-Emissionen bei jedem der geprüften Fahrzeuge festgestellt wurden. Der Mercedes überschritt den Grenzwert um das 2,7-fache, der BMW um das 2,8-fache und der Renault sogar um das 6,6-fache des gemessenen Laborwertes.

Es liegt also auf der Hand, dass nicht nur VW, sondern auch viele andere Automobilkonzerne bei ihren Modellen umstrittene Abschalteinrichtungen eingebaut haben und damit so nicht nur die Umwelt gefährden, sondern auch uns Menschen. Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, findet dafür harsche Worte und wirft der Bundesregierung in diesem Abgasskandal unverhohlen "Staatsversagen" vor. Er ist der Meinung, dass sich der deutsche Staat als Kontrollinstanz aus der Automobilindustrie rausgezogen habe und nun der Automobillobby die Kontrolle überlasse. Verstärkt werde dieser Eindruck dadurch, dass ihm die zuständigen Ministerien keine Antworten auf seine Anfragen geben. Demnach werde uns, laut Krischer, irgendetwas verheimlicht. Somit hat dieser Fall nichts mehr mit lückenloser und transparenter Aufklärung zu tun, sondern mit intransparenter, realitätsferner und lückenhafter Aufklärung.

Diese Konzerne reihen sich, wie es wohl aussieht, mit in die Liste der Verbrauchertäuschung und des Betrugs ein, obwohl sie selbstredend das genaue Gegenteil verlauten lassen. So versuchen BMW und Daimler die Schuld der zu hohen Stickoxidwerte auf "Luftdruck-Veränderungen, Wetterverhältnisse oder unterschiedliche Fahrbahnbeschaffenheit" zu schieben und dementieren auf das Heftigste, Abschalteinrichtungen, in ihre nicht mehr so tollen "Made-in-Germany"-Fahrzeugen, eingebaut zu haben.

Autolobby Bundesregierung?

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gibt sich weiterhin alles andere als transparent. So gab es nicht mal eine Stellungnahme zu den aufgedeckten überschreitenden Stickoxidwerten der Konzerne. Auch die gerade vollmundig versprochenen "unangekündigten Kontrollen für Kraftfahrzeuge im Stile von Dopingtests" von Verkehrsminister Dobrindt klingen zwar auf jeden Fall förderlich - die Durchführung bleibt allerdings ein sehr großes Problem: Denn wer führt diese Kontrollen überhaupt durch? Handelt es sich um "unabhängige" Kontrollinstitutionen? Und vor allem, wie sollen diese Kontrollen aussehen?

Daran anschließend stellt sich die Frage, wie viele unabhängige Prüfstände des Kraftfahrtbundesamtes (KBA), das mit der Prüfung der Abgaswerte vom Verkehrsministerium beauftragt wurde, in Deutschland eigentlich hat. Michael Odenwald, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und Vorsitzender der Untersuchungskommission des Abgasskandals, antwortete auf diese Frage, dass das KBA keine eigenen Prüfstände besitze und unter anderem selbst beim Autohersteller prüfen lasse. Man arbeite allerdings mit Hochdruck daran, eigene Prüfstände aufzubauen und mit Personal zu besetzten. Auch gab er keine Antworten, zumindest noch nicht, wie viele Autos nun geprüft würden und wie viele bereits schon geprüft wurden. So würden die Ergebnisse aus dieser besagten Prüfung erst veröffentlicht, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist Ausgang unbekannt!

Die Tatsache, dass das KBA keine eigenen Prüfstände besitzt und dennoch mit der Prüfung beauftragt wurde, spricht Bände und lässt eher Zweifel an einer "lückenlosen Aufklärung" aufkommen. Mögliche unabhängigem Kontrollinstanzen wären zum Beispiel das Umweltbundesamt (UBA) oder das Bundesamt für Straßenwesen.

Dobrindts Strategie, durch "diese zusätzlichen Prüfungen verspieltes Vertrauen in die Autoindustrie wiederherzustellen", ist kein überzeugender Weg, der zu mehr Transparenz führt und erst recht nicht das richtige Instrument, um das Vertrauen der Autofahrer zurückzugewinnen. Um dies zu erreichen, bedarf es aber einer ganz anderen Vorgangsweise - nämlich die der Transparenz und der Offenlegung der tatsächlichen Abgaswerte. Dazu gehören das Miteinbeziehen von NGOs und anderen wirklich unabhängigen Instituten. So hat zum Beispiel die Deutsche Umwelthilfe (DUH) seit Monaten keine Rückmeldung auf ihre Anfragen bezüglich des Abgasskandals von der Bundesregierung erhalten und fühlt sich dementsprechend übergangen. Währenddessen hat sich die Bundesregierung mit Vertretern der deutschen Automobilindustrie getroffen und die kritischen Stimmen des Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutzes übergangen und nicht in den Aufklärungsprozess miteinbezogen.

Verbraucher hat den Nachteil

Durch den Ausstoß der gesundheitsschädlichen Stickoxide sind 10.000 Menschen allein in Deutschland gestorben, die die Bundesregierung bisher kaum beachtet hat. Deshalb fordern viele NGOs Real-Driving-Emissions (RDE), die Abgas-Kontrolle der Stickstoffoxide und des Kohlenstoffdioxids. Davon wurde die RDE ab 2017 eingeführt - endlich! Doch auch hier reißen die Negativ-Beispiele nicht ab, denn der Automobilindustrie wird eine großzügige Übergangszeit von drei Jahren gewährt, während weiterhin große Abweichungen zwischen dem Rollenprüfstand und den RDE erlaubt sind.

Abschließend muss leider festgestellt werden, dass die Bundesregierung ihre eigenen Forderungen, den Abgasskandal "lückenlos" aufzuklären, nicht erfüllt hat und dabei die eklatante Verbrauchertäuschung und Umweltbelastung wohl eher unter den Tisch kehrt.


Weitere Informationen: www.zdf.de/frontal-21/archiv-frontal-21-7277138.html

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Quelle:
DER RABE RALF
27. Jahrgang, Nr. 191, April/Mai 2016, Seite 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2016

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