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WALD/061: Waldpolitik in Deutschland - Zwischen Grabenkampf und Dialog (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012

Waldpolitik in Deutschland
Zwischen Grabenkampf und Dialog

von László Maráz



Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) überreichte im Juni sein Umweltgutachten 2012 »Verantwortung in einer begrenzten Welt« [1] an Bundesumweltminister Peter Altmaier. In einem der Kapitel befassten sich die Wissenschaftler mit dem Thema »Umweltgerechte Waldnutzung« und empfehlen eine Reihe von Maßnahmen, um konkurrierende Nutzungsansprüche auszugleichen.

Es wäre gut, wenn die seit Jahrzehnten festgefahrene Debatte um die Ausgestaltung der Waldnutzung infolge der Empfehlungen dieses unabhängigen Gremiums konstruktivere Züge annehmen würde. Doch das ist nicht zu erwarten, nachdem sich neben Vertretern von Verbänden der Forstwirtschaft und des Waldbesitzes auch elf Professoren verschiedener Forstfakultäten beim Umweltminister über das Gutachten beschwert haben.

Natürlich hielt sich die Freude auf Seiten der Akteure aus Forstwirtschaftskreisen in Grenzen, denn die Gutachter haben der etablierten, konventionellen Forstwirtschaft nicht nur ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt. Auch die Empfehlungen der Wissenschaftler zählen zu den Hausaufgaben, vor deren Erledigung sich die Forstwirtschaft schon seit Jahrzehnten erfolgreich drückt.

Wobei man den Kritikern zugestehen sollte, dass einzelne Aussagen des Gutachtens durchaus etwas präziser sein könnten. Auch hätte an einigen Stellen statt konkreter Empfehlungen eher ein Hinweis auf Forschungs- und Klärungsbedarf gut getan, denn in der Tat ist die Gemengelage etwa beim Thema Holzvorräte oder Klimawirkungen von Holzprodukten noch recht unübersichtlich. Dies mindert aber nicht die hervorragende Qualität des Gutachtens, sondern könnte auch für einen Einstieg in einen konstruktiven Dialog genutzt werden.

Gestiegener Nutzungsdruck bedroht die Wälder

Der SRU ist besorgt darüber, dass mit dem Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise eine Kommerzialisierung der Waldnutzung droht, die dieses nichtkommerziellen Funktionen der Wälder zunehmend gefährdet. Bei der Nutzung müsse jedoch vor allem im öffentlichen Wald dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Vorrang gegeben werden.

Angemahnt wird auch die dringende Umsetzung der Ziele der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt für den Lebensraum Wald, wobei unter anderem Flächen mit natürlicher Entwicklung auf zehn Prozent der geeigneten Waldfläche der öffentlichen Hand rechtlich abzusichern sind.

Geht es nach dem SRU, müssten ökologische Mindeststandards für die gesamte Waldfläche Deutschlands gelten. Empfohlen wird unter anderem eine Konkretisierung des Begriffs der »ordnungsgemäßen Forstwirtschaft« in Paragraph 11 Absatz 1 Bundeswaldgesetz, die allen Akteuren als Leitfaden für eine ökologische und nachhaltigere Waldnutzung dienen könnte. Diese Standards würden gleichzeitig auch den Bewertungsmaßstab für die Honorierung darüber hinausgehender öffentlicher Leistungen bilden. Es wird empfohlen bei der Erfassung von Wildschäden auch Schäden an der biologischen Vielfalt in die Schadensermittlung mit einzubeziehen. Die Vermeidung von Wildschäden sollte prioritär gegenüber monetären Ersatzmaßnahmen sein.

Zur Abmilderung des Klimawandels in den kommenden Jahrzehnten müsste der Aufbau weiterer Kohlenstoffvorräte im Wald durch ein höheres Bestandsalter angestrebt werden. Ein hohes Alter des Waldes ist gleichzeitig die Grundlage für das Vorkommen vieler gefährdeter Waldarten. Um die Kohlenstoffspeicherfunktion zu schützen, empfiehlt der SRU eine schonende Nutzung von Biomasse aus Wäldern. Dabei sollten mindestens 50 Prozent der natürlichen Holzvorräte erhalten bleiben. Unter Berücksichtigung von Natur- und Bodenschutz müssten die Potenziale von Landschaftspflegeholz und Resthölzern erschlossen werden.

Konfrontation statt Kooperation

Die Reaktion auf das Gutachten war heftig. Ende Juli verfassten einige Forstprofessoren eine Stellungnahme [2], mit der sie nicht nur versuchen, Aussagen des Umweltgutachtens zu widerlegen. Sie bemängeln das Gutachten - zumindest in Bezug auf die Waldnutzung - als einseitig. Aus ihrer Sicht verletze es zudem elementare wissenschaftliche Qualitätsstandards. Ähnlich ablehnend äußern sich einige Verbände von Waldbesitz und Forstwirtschaft in einem Brief an den Umweltminister [3]. Ihre Kritik am SRU, der die vielfältigen Leistungen der Forstwirtschaft und der Holzproduktion nicht beachtet habe, geht allerdings am Thema vorbei: In diesem Umweltgutachten geht es darum, Verantwortung in einer begrenzten Welt zu übernehmen, und nicht um die Berichterstattung über Forstwirtschaft und Holzerzeugung.

Eine Würdigung zumindest einzelner Aussagen und Lösungsvorschläge des SRU findet sich in keiner der Stellungnahmen, obwohl das Umweltgutachten 2012 eine Reihe guter Handlungsempfehlungen gibt, um Probleme zu lösen, die auch der Forstwirtschaft und den Waldbesitzern großen Schaden zufügen (Wildbestände, Schadstoffeinträge). Dabei könnte sich die Forstwirtschaft 300 Jahre nach der Entwicklung des Nachhaltigkeitsbegriffes wieder daran beteiligen, Verantwortung in einer begrenzten Welt zu übernehmen.

Dient der Verzicht auf Nationalparks dem Regenwaldschutz?

So machen die elf Professoren auf vermutete Nebenwirkungen der Schaffung von Schutzgebieten aufmerksam und schreiben: »Ein Zurückfahren der Holznutzung in heimischen Wäldern führt zwangsläufig zu einer Erhöhung der Holzimporte.« Eine derart kritiklose Akzeptanz des hohen Papier-, Energie- und Holzverbrauches ist blamabel für eine Zunft, die sich die Erfindung der Nachhaltigkeit rühmt. Schon vor knapp 300 Jahren wurde nämlich der Verbrauch des knappen Rohstoffes Holz streng reglementiert. Damals waren wegen des immensen Holzverbrauches für den Bergbau und die Erzschmelzen die Grenzen des Wachstums schon einmal sichtbar geworden. Dass der SRU fordert, den Holzverbrauch zu senken und Nutzungsgrenzen einzuführen, damit der Wald keinen Schaden nimmt, wird von den Kritikern nicht zur Kenntnis genommen. Die Forstprofessoren fordern stattdessen allen Ernstes, die Ausweisung von Waldnationalparks in Deutschland zu überdenken, aus angeblicher Sorge um die Wälder anderer Regionen. Wenig bekannt ist, ob und wann sich die Autoren des Briefes zuvor jemals für den Schutz der Regenwälder oder gegen die Verwendung von Raubbau-Holz eingesetzt haben.[4]

Naturnähe - ein Nachteil im Klimawandel?

Die Kritiker setzen in ihrem Brief auch auf andere Argumente gegen die Ausweisung von Schutzgebieten: »Dementsprechend kann auch der Empfehlung des SRU nicht pauschal gefolgt werden, zur Anpassung der Wälder an den Klimawandel Schutzgebiete auszuweiten.« »Schutzgebiete sind in der Regel durch eine hohe Naturnähe gekennzeichnet. Nicht die bisherige Naturnähe gewährleistet jedoch eine geringe Anfälligkeit gegenüber Klimaänderungen, sondern die Angepasstheit an die zukünftigen Klimabedingungen.«

Diese statische Sichtweise der Forstwissenschaftler enttäuscht und deutet auf einen eklatanten Mangel an Verständnis von waldökologischen Grundlagen hin. Naturnähe hat sich in unseren Wäldern nur dort entwickelt, wo die natürliche Prozessdynamik vor der Holznutzung und der Industrialisierung der Wälder weitgehend verschont wurde. Ziel der Nationalen Strategie ist es ja, auf fünf Prozent der Waldfläche die natürliche Waldentwicklung zuzulassen. Diese findet ja nicht abgeschirmt unter einer Käseglocke des Naturschutzes statt, sondern schließt die stetige, dauernde Anpassung von Wäldern an wechselnde Umweltbedingungen mit ein. Von vielen forstlichen Akteuren wird hingegen vor allem der Anbau starkwüchsiger Baumarten gefordert (zum Beispiel Douglasie und Küstentanne). Ist es eine glückliche Fügung der Natur, dass ausgerechnet die schnell wachsenden, für die Holzindustrie gut geeigneten Baumarten so exzellent an den Klimawandel angepasst sein sollen? Und warum werden die mediterranen Arten Korkeiche und Stechpalme so selten empfohlen?

Intensiver Holzeinschlag als Garant für biologische Vielfalt?

Die elf Unterzeichner kümmern sich in der Stellungnahme auch um die Sorgen der Holzwirtschaft, die vor allem an der Bereitstellung günstiger Massensortimente interessiert ist. Große, alte Bäume mit wertvollem Qualitätsholz sind da weniger gefragt. Die Tendenz zur Plantagenforstwirtschaft spiegelt sich in folgender Aussage wider: »Ebenso wird dabei vergessen, dass viele Elemente der Biodiversität lichter Waldstrukturen bedürfen, die nur durch Absenkung von Vorräten zu erreichen sind.«

Es geht beim Schutz der biologischen Vielfalt um die natürliche, waldtypische Arten- und Strukturvielfalt, und nicht um eine möglichst hohe Artenzahl an sich. Diese ist aber nicht durch das Vorkommen von Freilandarten und Arten aus trockeneren Klimazonen geprägt, sondern zu großen Teilen aus Vertretern der Pilze und Käfer, die auf alte Bäume und ein reiches Vorkommen von Biotopholz angewiesen sind. Das mag enttäuschend sein für manchen Heuschrecken- oder Schmetterlingsfreund. Vor allem aber ist es den Freunden der Kahlschlagwirtschaft zuwider, die sich inzwischen auch als Fürsprecher hoher Artenzahlen tarnen.

Kampfansage als Dialogangebot?

Es ist durchaus zu begrüßen, dass sich die Forstwissenschaftler an der Debatte beteiligen. Ein Startschuss für einen konstruktiven Dialog war der Beitrag aber nicht. Gut, dass die überwiegende Mehrheit der Forstprofessoren in Deutschland diese gründlich misslungene Stellungnahme nicht unterzeichnet hat. Vielleicht besinnt sich der ein oder andere noch einmal und beteiligt sich an einer offenen, respektvollen und sachlichen Debatte, die schon so lange überfällig ist. Dafür müssten alle Beteiligten aber mit besseren und ehrlicheren Argumenten aufwarten, anstatt einseitig gegen den Naturschutz und eine ökologisch angepasste Waldnutzung zu argumentieren.

Auch die Waldbesitzer- und Forstverbände bekunden zwar in ihrem Brief ihr Interesse an gemeinsamen Gesprächen und einem ernsthaften Dialog, laden aber schon im darauffolgenden Satz Umweltminister Altmaier zu einem persönlichen Gespräch ein, um ihm ihre Sicht der Dinge darzulegen. Den Vorschlag des SRU, der alle Beteiligten an einen Runden Tisch zusammenbringen will, greifen sie nicht auf.

Im kommenden Jahre jährt sich die »Erfindung« der Nachhaltigkeit zum 300. Mal. Es wird Zeit, den Begriff umfassender zu begreifen und die Idee auch im Wald umzusetzen.

Der Autor ist Koordinator der Plattform »Nachhaltige Biomasse« und der AG Wald des Forums Umwelt und Entwicklung.

[1] http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2012_Umweltgutachten_Kap_06.html
[2] Vgl. https://www.waldbau.uni-freiburg.de/news_events/offenen%20Brief/view
[3] Vgl. http://www.forstkammer-bw.de/fileadmin/Forstkammer/Download/Umweltgutachten_2012_Schr._Altmaier.pdf
[4] Siehe dazu auch den Brief der AG Wald an AGDW und DFWR zum Thema
»Regenwaldschutz«: http://www.forumue.de/themen/waelder/ag-waelder-hintergrund/offener-brief-an-dfwr-und-agdw/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012, S. 14-15
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2012