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RECHT/183: Pflanzen, Tiere und Mikroben als genetische Ressourcen (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 2/2010

Pflanzen, Tiere und Mikroben als genetische Ressourcen

Risiken und Ertragsbeteiligung aus rechtlicher Sicht

Von Gerd Winter


Das Erbgut von Pflanzen und Tieren ist eine unerschöpfliche genetische Ressource für biologische Forschung und die Entwicklung von Medikamenten, Nutzpflanzen, industriell einsetzbaren Mikroorganismen und anderen Produkten. Das bringt einerseits Risiken für Mensch und Umwelt mit sich, andererseits werden aber Erträge erzielt, an denen die Ursprungsstaaten teilhaben wollen. Die Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht arbeitet an Lösungen, die die Risiken kontrollieren und zugleich für gerechten Vorteilsausgleich sorgen.


Ein konstruierter Fall: Wissenschaftler aus Tokio erforschen in Kenia eine Algenart, die heiße Quellen bewohnt. Sie publizieren ihre Ergebnisse und stellen taxonomische, genetische und biochemische Daten in Datenbanken ein. Auf dieser Basis finden Mikrobiologen in London heraus, welches Gen bewirkt, dass die Algen in der Hitze überleben können. Auf den veröffentlichten Daten aufbauend transferieren nun Forscher eines deutschen Saatgutherstellers das fragliche Gen in die Fasernessel, eine faserreiche Züchtung aus der Brennnessel, die nunmehr in höheren Temperaturen als gewohnt gedeihen kann.

Für diese neue Pflanze sowie für die Technik ihrer Herstellung erwirbt das Unternehmen ein Patent und erhält schließlich die Genehmigung zur Vermarktung des Saatguts. Bedenken, dass die Pflanze ihre neue Eigenschaft an Wildsorten weitergeben und in Ökosystemen dominant werden könne, werden zurückgewiesen. Die Pflanze führt zu einem Boom in der Nesselstoffproduktion und beschert dem Unternehmen erhebliche Erträge.

Der Fall wirft zwei Fragen auf: ob die Pflanze ein Umweltrisiko darstellt, und ob das Unternehmen seine Erträge aus dem Saatgutverkauf mit Kenia, dem Ursprungsland der Alge, teilen muss. Beide Probleme - die Risiken und die gerechte Ertragsbeteiligung - sind Gegenstand eines komplexen Geflechts internationaler, europäischer und nationaler Rechtsnormen, das im Oktober 2010 Gegenstand der Staatenkonferenz zur Konvention über biologische Vielfalt war. Seit vielen Jahren untersucht die Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht (FEU) an der Universität Bremen diese Fragen. Derzeit laufende Arbeiten werden vom Bundesamt für Naturschutz, vom Bundesforschungsministerium und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.


Wie werden Risiken der Gentechnik kontrolliert?

Zwei neuere Projekte untersuchen, wie die gesetzlich vorgeschriebene Risikovorsorge die naturwissenschaftliche Risikoermittlung und -bewertung anleitet: Wie wird man mit dem Dilemma fertig, dass einerseits ökologische Risiken gentechnisch veränderter Organismen (GVO) erst erkennbar sind, wenn Versuche im Freiland durchgeführt werden, dass die Versuche andererseits aber selbst ein Risiko darstellen? Daneben geht es um Instrumente der Sicherung von Koexistenz von gentechnischer mit konventioneller und biologischer Landwirtschaft: Wie kann gesichert werden, dass denjenigen Produzenten und Verbrauchern, die gentechnikfreie Produkte bevorzugen, nicht Gentechnik aufgezwungen wird? Genügen Regelungen über einen Abstand der Äcker, wenn GVO-Pollen doch hunderte Meter weit fliegen? Lässt sich Landschaftsplanung einsetzen, um die drei landwirtschaftlichen Produktionsweisen räumlich voneinander zu trennen?


Wem gehören die Gene?

Die gerechte Beteiligung am Ertrag ist Thema eines weiteren Projekts der FEU. Die Konvention über Biodiversität sieht vor, dass die genetische Ausstattung der Alge unseres Falles nicht etwa Allgemeingut ist, sondern dem Ursprungsland Kenia gehört. So kann das Land über die Entnahme, Erforschung und Nutzung der Alge bestimmen und eine Beteiligung an Forschungsergebnissen und finanziellen Erträgen verlangen. Dieser Tausch "genetische Ressource gegen Vorteilsausgleich" dient der Entwicklung der Ursprungsländer und soll diese zugleich zur Erhaltung ihrer natürlichen Ressourcen anreizen. Doch das ist eben nicht ganz so einfach, wie die Analyse an der FEU nun gezeigt hat.

Tauschhandel mit Beigeschmack

Einerseits mangelt es dem Tauschgeschäft an Effektivität: Das Geschäft funktioniert in der Praxis nicht wirklich. Denn der Prozess der Erforschung und Entwicklung von genetischen Ressourcen ist, wie unser Beispiel zeigt, zu komplex, als dass die Geberländer ihn downstream verfolgen oder die Nutzerländer ihn upstream rekonstruieren könnten. Andrerseits herrscht ein spezifischer Mangel an Gerechtigkeit. Selbst wenn der Tausch perfektioniert würde, hätte er einen ungerechten Beigeschmack. Kenia könnte in unserem Beispiel den ganzen Vorteilsausgleich allein beanspruchen, obwohl seine Nachbarländer vielleicht die gleichen Algen beherbergen. Schließlich bedroht der Tauschhandel Freiheit und Öffentlichkeit von Forschung und Produktentwicklung. Denn Geberländer neigen dazu - aus durchaus berechtigtem Misstrauen gegenüber Biopiraterie - bürokratische Hürden aufzubauen und die zulässige Nutzung der genetischen Ressourcen einzuschränken.

Die FEU arbeitet an rechtlichen Lösungen, die den Tausch effektiver machen, weitere Ressourcenstaaten in den Tauschhandel einbeziehen und zugleich freie und öffentliche Forschung ermöglichen. Ihr Ansatz sind - bereits existente - multilaterale common pools von genetischem Material und Daten, die so weiterentwickelt werden könnten, dass sie auch Technologien umfassen und für Vorteilsausgleich sorgen.


Weitere Informationen:
www.feu.uni-bremen.de

Gerd Winter geboren 1943, war bis 2008 Professor für Öffentliches Recht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen. Er ist seitdem Forschungsprofessor, Ko-Direktor der Forschunggsstelle Europäisches Umweltrecht (FEU) und Teilprojektleiter im Sonderforschungsbereich "Staatlichkeit im Wandel" (Sfb 597) der Universität Bremen. Neben den hier vorgestellten Projekten arbeitet er an Formen und Legitimation von transnationalen Regulierungsnetzwerken sowie an einem Lehrbuch über europäisches Umweltrecht.


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 2/2010, Seite 28-29
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011