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PROZESS/086: Frankreich - Anti-AKW-AktivistInnen nach luftigem Protest vor Gericht (Eichhörnchen)


Cécile Lecomte - Pressemitteilung - Freitag, 5. Juni 2009

Frankreich: AtomkraftgegnerInnen nach luftiger Protestaktion gegen AKW-Neubau vor Gericht


Vier AktivistInnen von "Sortir du nucléaire" (Französisches Netzwerk Atomausstieg) müssen sich am Dienstag, den 9. Juni 2009 um 14:00 vor dem Tribunal Correctionel (Strafgericht) in Cherbourg wegen einer HSL- Strommastbesetzung verantworten. Zivilpartei ich das staatliche Stromnetzunternehmen Réseau de Transport d'Electricité (RTE). Es wird sowohl über eine Zivilklage auf Schadenersatz von RTE als auch über den Vorwurf der Störung eines öffentlichen Stromversorgungsbetriebes verhandelt. Ein Gesetz aus 1906 verbietet nämlich in Frankreich Anlagen, die der Stromproduktion und -versorgung dienen, zu berühren, verändern oder betreten.

Verhandelt wird also über die HSL-Strommastbesetzung in April 2007 gegen den Bau eines neuen Atomreaktors vom Typ EPR in Flamanville (Manche) - in Flamanville befinden sich bereits zwei Atomreaktoren in Betrieb, die Aktion fand in unmittelbarer Nähe von der EPR Baustelle statt (Die Vorarbeiten begannen bereits in Dezember 2006 also vor Erteilung der endgültigen Baugenehmigung). Ziel der Besetzung war, ein Zeichen gegen die kurz zuvor dem staatlichen Stromkonzern EDF erteilte Baugenehemigung für diesen Reaktor zu setzen. Das Dekret wurde damals wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl unterschrieben und verkündet.

Die AktivistInnen protestierten gegen den EPR, gegen den Bau einer dazugehörigen Hochspannungsleitung - die Baugenhemigung ist noch nicht erteilt worden - und im Allgemein gegen die Atomindustrie, die keineswegs die aktuellen Problemen (Klimaerwärmung, Energiepreise) löst, sondern zusätzliche Gefahren mit sich bringt: GAU- und Restrisiko, Atommüll, immense Kosten (Abbau von Atomanlagen, Atommülllagerung), Verbreitung von Atomwaffen.

Diese Protestaktion, die zu ihrer Zeit bereits legitim war, ist heute um so gerechtfertigter, dass zahlreiche sicherheitsrelevante technische Komplikationen auf der EPR-Baustelle aufgetreten sind. Der Bau des für die Freisetzung von radioaktiven Stoffen im Meer vorgesehene Tunnels zeichnet über ein Jahr Verspätung auf, die Kosten für den gesamten Reaktorbau übersteigen die ursprünglichen Berechnungen bereits um über eine Milliarde Euro.

Zudem findet diesen Prozess mitte in der "Enquête d'utilité Publique" die den Bau der Hochspannungsleitung betrifft: sechs Wochen Lang werden die Akten samt Planfeststellungsverfahren im Rathaus in den Betreffenden Kommunen ausgelegt, die Bürger dürfen Kommentare formulieren. Erfahrungsgemäß werden diese aber gar nicht berücksichtigt.

Der Bau der Hochspannungsleitung ist eine direkte Folge des Reaktorbaus, ein nutzloses Projekt, weil die betroffene Gegend Nieder- Normandie bereits viel mehr Strom herstellt, als gebraucht wird. Neulich wurden zahlreiche Beweise, die für die Gefährlichkeit von Hochspannungsleitungen sprechen, angebracht. Eine unabhängige bürgerliche Untersuchung hat Gesundheitsproblemen bei Menschen und Tier festgestellt. Hinzu kommt, dass RTE (das staatliche Strommnetzunternehmen) vor kurzem dazu verurteilt wurde, Bauern aus der Gegend Corrèze in Höhe von 400 000 Euro wegen nachgewiesene Schäden durch die Hochspannungslaitung unmittelbar über Feld und Bauernhof (in Frankreich ist es üblich, das 400 000 Volt HSL-Tracen direkt über Wohngebiete führen) zu entschädigen.

Die gewaltfreie Aktion der Angeklagten fand im Rahmen Protestes der Bevölkerung für ein Moratorium über den Bau der HSL und den sofortigen Stopp der AKW-Baustelle.

" Vor Gericht werden wir unsere Handlung mit klaren Worten verteidigen- auch wenn wir deswegen verurteilt werden. Wenn bis zu 60 000 - wie 2007 - auf die Straße gegen den AKW-Neubau gehen und die Regierung unseren Protest ignoriert, müssen wir zu anderen Aktionsformen greifen, um unserem Prozess Gehör zu verschaffen." erklärte Kletteraktivistin Cécile Lecomte, eine der Angeklagten. "In diesem Hinsicht ging unsere Aktion in die richtige Richtung, unsere Argumente wurden dadurch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. In Frankreich sind Aktionen gegen den geplanten Bau der HSL zum Symbol des Widerstandes gegen den AKW-Neubau geworden. Den Bauplatz können wir schwer besetzen, weil das Gelände bereits seit der 80er umzäunt ist. Bei bestehenden Strommasten, oder dem Gelände von der noch nicht gebauten HSL ist es dagegen einfacher. " Erläuterte die in Lüneburg wohnende gebürtige Französin.

Cécile Lecomte liegt die internationale Vernetzung von der Antiatombewegung am Herzen. Sie stand am gestrigen Donnerstag bereits vor Gericht - aber nicht in Frankreich, sondern in Deutschland. Sie musste sich wegen der luftigen Blockade eines Atomtransportes aus der Gronauer Urananreicherungsanlage in Steinfurt verantworten - und sie wurde freigesprochen! " Ich bin sowohl in Deutschland als auch in Frankreich politisch kletternd aktiv." Für sie ist es ja selbstverständlich, beide Aktionen (Steinfurt und Flamanville) hängen zusammen: "die deutsche Urananreicherungsanlage in Gronau wird beispielsweise gerade ausgebaut. Zahlreiche ausländische Atomkraftwerken werden somit mit angereichertem Uran aus Gronau beliefert. Damit wird klar, dass die deutsche Atompolitik den Weiterbetrieb sowie den Neubau von Atomanlagen unterstützt."

Cherbourg/Lüneburg, 05 Juin 2009

Mehr zum EPR: http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/deutsch/anti-atom/tract_epr_2009.pdf
Mehr zu der Strommasbesetzung von Ostern 2007: http://de.indymedia.org/2007/12/203503.shtml


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Quelle:
Pressemitteilung, 05.06.2009
Cécile Lecomte
Internet: www.eichhoernchen.ouvaton.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2009