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INITIATIVE/422: Alles grün? Naturschutz in Deutschland (WWF Magazin)


WWF Magazin 2/2009
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Naturschutz in Deutschland

Von Frank Barsch, WWF


Deutschland gilt weltweit als Musterschüler im Umweltschutz, Vorreiter in der Bekämpfung des Klimawandels und Initiator für die Rettung der Regenwälder. Doch verdienen wir beim Schutz der Natur vor unserer eigenen Haustür auch gute Noten?

In den siebziger und achtziger Jahren konnte man deutlich sehen und riechen, was wir unserer Natur antun: Waldsterben, Abwässer oder saurer Regen. Vielleicht nicht mehr so präsent, doch unvermindert notwendig ist der aktive Naturschutz in Deutschland. Und die Herausforderungen sind vielfältig: Klima-, Landschafts- und Artenschutz und nachhaltige Entwicklung sind nur einige Beispiele.


Alles grün? Naturschutz in Deutschland

Teil 1: Landwirtschaft und FSC - Nachhaltigkeit ist das Zauberwort

Stinkend-schaumige Flüsse und abgestorbene Wälder: In den siebziger und achtziger Jahren konnte man deutlich sehen und riechen, was wir unserer Natur antun. Ob Waldsterben, Abwässer oder saurer Regen - das Ausmaß der Vergiftung und Zerstörung unserer Umwelt war immens. Heute sind die meisten deutschen Wälder noch immer grün und viele Gewässer haben wieder Badequalität. Das sind große Erfolge, erreicht durch Protest, Einsicht, konsequente Umweltauflagen und neue Technik - ohne dabei auf Wohlstand verzichten zu müssen.

Und noch eine Bilanz fällt positiv aus: In 14 Nationalparks, 13 Biosphärenreservaten, 100 Naturparks und nicht weniger als 9000 Naturschutzgebieten ist heute in Deutschland Natur (mehr oder weniger) unter Schutz gestellt - insgesamt etwa 14 Prozent der Landesfläche. Oasen in der Ödnis

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Viele Naturschutzgebiete sind zu klein und liegen isoliert inmitten verbauter Landschaft. Auch die Qualität der Natur ist in vielen Refugien mangelhaft. Denn fast überall wird Natur weiter genutzt - sei es durch Landwirtschaft, Jagd oder Fischerei.

Echte Wildnis ohne menschliche Eingriffe gibt es heute lediglich auf höchstens einem halben Prozent der deutschen Landesfläche. Die Bundesregierung will diese Quote auf zwei Prozent erhöhen. Das ist löblich, doch die Realität hinkt diesem bescheidenen Ziel noch weit hinterher. Es ist Zeit zum Handeln, denn Naturschutzgebiete sind kein Selbstzweck. Sie sind grüne Lungen, Wasserspeicher, Heimat seltener Tier- und Pflanzenarten, außerdem Erholungsgebiete für gestresste Menschen. Und sie werden immer wertvoller, denn um sie herum geht der Flächenverbrauch in Deutschland ungebremst weiter. Jeden Tag werden laut Bundesamt für Naturschutz 113 Hektar Boden zugebaut - mehr als 100 Fußballfelder.

Selbst dort, wo kein Boden unter Straßen, Siedlungen oder Industriebauten erstickt wurde, verschwindet fatalerweise Natur: Auf landwirtschaftlichen Flächen, die wegen Milchseen und Butterbergen vor Jahren stillgelegt wurden, werden Monokulturen aus Mais oder Raps angebaut. Die Subvention von so genannter Bioenergie macht's möglich. Die Folgen sind massiv: Schon jetzt werden jedes Jahr große Mengen Kunstdünger und rund 30000 Tonnen Pestizide auf Deutschlands Äcker und Felder gesprüht. Nicht nur Hase und Rebhuhn leiden darunter. Die Gifte sickern ins Grundwasser und landen letztlich in Nord- und Ostsee.

Der WWF fordert und unterstützt daher Agrarumweltprogramme, die den ökologischen Landbau, Erosionsschutz, verringerten Dünger- und Pflanzenschutzmitteleinsatz sowie Biotopschutzmassnahmen finanziell honorieren. Die Umweltstiftung setzt sich dafür ein, diese Form der Unterstützung der Landwirte deutlich auszubauen und die bisher per Gießkanne ausgeschütteten Agrarsubventionen deutlich zu kürzen.

In der deutschen Forstwirtschaft wiederum hat der WWF durch seine Unterstützung des FSC-Siegels einen entscheidenden Anstoß zur nachhaltigen Waldnutzung gegeben. Es zeichnet solche Wälder aus, die garantiert naturnah bewirtschaftet werden - wo zum Beispiel dem Boden angepasste Baumarten gepflanzt werden, auf große Kahlschläge verzichtet wird und Totholz liegen bleiben kann. Dank des FSC-Zeichens kann man sich beim Holzkauf auch bewusst für Produkte aus solch naturnah genutzten Wäldern entscheiden. Fast 500000 Hektar Wald sind mittlerweile in Deutschland FSC-zertifiziert.


Teil 2: Wildnis vor der Haustür

Flächen für die Wildnis schaffen

Zugleich setzt sich der WWF in Deutschland vor allem dafür ein, wieder große, ungestörte Wildgebiete zu schaffen. Zum Beispiel auf den ehemaligen Truppenübungsplätzen Lieberose und Jüterbog in Brandenburg. Unter Mitwirkung des WWF wurde 1999 die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg gegründet, die seitdem fast 12.000 Hektar Land erworben hat. Wo einst Panzer eine Mondlandschaft hinterließen, wächst nun der Urwald der Zukunft heran. Schwarzstorch, Kranich, Fischadler und Fischotter finden dort bereits ein sicheres Rückzugsgebiet.

Flächen anzukaufen und sie zu renaturieren - mit diesem Konzept hat der WWF bereits seit mehr als 40 Jahren erfolgreich Naturschutz in Deutschland betrieben. Auch entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze: Der WWF ergriff die Chance, zusammen mit Naturschützern aus der ehemaligen DDR, die durch die Betongrenzanlagen und Minenstreifen geschlagenen Wunden in der Natur durch grenzübergreifende Naturschutzprojekte zu heilen.

Der WWF setzte sich daher dafür ein, dieses Naturerbe zu bewahren. Wie zum Beispiel im Drömling: Teile dieses Feuchtgebietes in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt waren erhalten geblieben. Im westlichen Teil begann das WWF-Engagement bereits vor 30 Jahren. Mit der Gründung des Zweckverbandes "Drömling Sachsen-Anhalt" 1991 im Naturpark Drömling wurde das Naturschutzgroßprojekt von "gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung" durch den Bund und das Land anerkannt und maßgeblich gefördert. Bis heute wurden fast 4000 Hektar Fläche gekauft und im Verbund mit weiteren öffentlichen Flächen mehr als 10000 Hektar Naturschutzgebiet ausgewiesen. Seither erleben wertvolle Moore, ungedüngte Feuchtwiesen und artenreiche Sumpfwälder eine Renaissance. Besonders die wiedervernässten Wiesen beeindrucken mit ihrer Artenvielfalt: Fast 10000 Kraniche, 30000 Gänse und 95000 Kiebitze rasten hier wieder jedes Jahr.

Auch weiter im Norden, in der Landschaft um den Schaalsee, ist Bemerkenswertes erreicht worden. Dort lebten die letzten Seeadler-Brutpaare im bundesdeutschen Westen, für die sich der WWF seit 1972 massiv einsetzte. Denn das Pflanzengift DDT, Eierdiebe und Verfolgungen als Fischräuber hatten die Bestände bis auf kümmerliche Reste dezimiert. Die Gelege der Seeadler wurden von Freiwilligen bewacht, es wurde um Verständnis bei der Fischerei geworben und ein Konzept zur nachhaltigen Entwicklung der Region entstand.

Nach dem Fall der Mauer hat der WWF hier 1990 ein 30000 Hektar großes länderübergreifendes Schutzprojekt mit auf den Weg gebracht. Durch Bund und Länder als gesamtstaatlich bedeutendes Projekt anerkannt, konnten mit finanzieller Förderung über 4500 Hektar erworben und ein reiches Mosaik aus natürlichen Buchenwäldern, Hochmooren, Bruchwäldern und zahlreichen Seen unter Naturschutz gestellt werden. Die Schaalsee-Landschaft ist heute auf mecklenburgischer Seite ein Unesco-Biosphärenreservat, auf schleswig-holsteinischer Seite ein Naturpark. Die Seeadler haben sich seither nicht nur am Schaalsee vermehrt.

An der Elbe wiederum - dem ehemaligen deutsch-deutschen Grenzfluss - beauftragte 2001 der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin den WWF mit dem bislang finanziell aufwändigsten Naturschutzvorhaben seiner Geschichte: In zehn Jahren den mit mehr als 9000 Hektar größten Auenwald des Stromes zu retten und zu renaturieren - für über 15 Millionen Euro, die größtenteils Bund und Land sowie zu zehn Prozent der WWF finanzieren. Besonders aufwändig ist dabei die Rückverlegung des Deiches im Lödderitzer Forst, die für dieses Jahr geplant ist. Damit werden 600 Hektar natürliche Überflutungsfläche geschaffen. Langfristig werden von diesem Projekt nicht nur die seltenen Elbe-Biber profitieren, sondern auch die Anwohner: Hochwasser kann so abgebremst und verringert, möglicher Schaden reduziert werden.

Neben dem Schutz großer Naturflächen fördert der WWF auch gezielt die Rückkehr großer Beutegreifer wie des Wolfs. Früher verfolgt und ausgerottet, ist er von allein in die Niederlausitz zurückgekehrt. Nun versucht die Umweltstiftung mit Aufklärungsarbeit Ängste in der Bevölkerung abzubauen. Dabei vermittelt der WWF zwischen Politik, Jägerschaft und Landwirtschaft, um mögliche Konflikte mit dem Wolf zu lösen und dessen Bleiben dauerhaft zu sichern.


Teil 3: Klimawandel und Artenschutz

Um unsere heimischen Tier- und Pflanzenarten mit ihren Lebensräumen zu erhalten, müssen wir aber auch auf globale Entwicklungen schauen. Und da stehen die Zeichen auf Sturm: Der Klimawandel verändert auch die heimische Natur. Die Winter werden wärmer, die Sommer heißer und trockener. Der Frühling beginnt bereits mindestens zwei Tage früher. Zugvögel ziehen nicht mehr fort, neue Arten wandern vom Süden ein und verdrängen Altbewohner Richtung Norden oder in die Berge. Neue Pilze und Krankheiten breiten sich aus. Das werden nicht alle Tier- und Pflanzenarten überleben. Bis zu 30 Prozent unserer heimischen Vielfalt könnten wir verlieren, warnt das Bundesamt für Naturschutz. Vor allem, weil es trockener werden wird und viele Lebensräume - vor allem artenreiche Feuchtgebiete - schrumpfen. Der WWF setzt sich darum bei Politik und Industrie dafür ein, die erklärten Senkungen der Treibhausgasemissionen zum Jahr 2020 auch umzusetzen.

Zugleich müssen wir Tieren und Pflanzen durch direkten Naturschutz helfen, den Klimawandel besser zu ertragen. Indem wir ihre Lebensräume erhalten und ihnen Raum geben, sich den veränderten Bedingungen anzupassen - wie durch Wanderung. Auch deshalb müssen wir versuchen, die meist isolierten Schutzgebiete miteinander durch "grüne Korridore" wie Hecken, naturnahe Bäche oder Ackerrandstreifen zu vernetzen. Wenn sich isolierte Tier- und Pflanzenpopulationen dadurch wieder genetisch austauschen können, verbessert das die Überlebenschance ihrer Art. Artenschwund bremsen

Ökologisch bedeutsame Flächen sind mittlerweile Teil eines im Aufbau befindlichen europaweiten Netzwerkes an Lebensräumen mit dem Namen "NATURA 2000". Als Mitglied der EU ist Deutschland verpflichtet, dafür geeignete Gebiete zu melden, in ihrer ökologischen Qualität zu erhalten und im Sinne der Natur zu entwickeln. Leider sind die Bundesländer noch zögerlich, solche Gebiete auch als Schutzgebiete auszuweisen. Es mangelt zudem an Managementplänen und Ausgleichszahlungen an Landwirte für den Verzicht auf Flächennutzung.

Das ist umso unverständlicher, als sich Deutschland als einer von mehr als 140 Unterzeichnern der Biodiversitätskonvention einem hohen Ziel verpflichtet hat: Den Verlust an biologischer Vielfalt bis zum Jahre 2010 signifikant zu reduzieren - und in Europa sogar zu stoppen. Doch dafür wird - siehe Interview - noch zu wenig getan.


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Die WWF-Ziele

Der WWF wird daher unsere Entscheidungsträger immer wieder erinnern, alles dafür zu tun, dass der Artenschwund in Deutschland endlich ein Ende hat und das Biodiversitätsziel 2010 spätestens in ein paar Jahren erreicht wird. Dazu gehört, dass
• mehr Wildnisgebiete zugelassen werden - auch für große Beutegreifer wie Wolf, Luchs und Braunbär,
• in großen Schutzgebieten endlich Natur Natur bleiben kann - und zum Beispiel im Nationalpark Wattenmeer auf Ölförderung verzichtet wird sowie
• der übermäßige Eintrag von Schad- und Nährstoffen vor allem aus Industrie und Landwirtschaft gebremst wird.

Zudem wird die Umweltstiftung
• verstärkt Verantwortung für die Renaturierung neuer großer Flächen übernehmen und
• sich aktiv für die Entsiegelung von Flächen einsetzen.

Denn bei allem globalen Denken, das heute mehr denn je nötig ist, um im Naturschutz etwas zu erreichen: Konkret handeln müssen wir lokal. Zum Schutz der Tropenwälder in Amazonien oder gegen Wüstenbildung in Afrika genauso wie für die Restnatur vor unserer Haustür.

http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/naturschutz- national-1/
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/naturschutz- national-2/
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/naturschutz- national-3/



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Neue Projekte in Oberbayern

Das Ammergebirge ist eines der wenigen noch relativ unberührten Gebiete auf deutscher Seite der Ostalpen. Dort durchfließt die fischreiche Ammer auf mehr als 30 Kilometern eine einzigartige, canyonartige Schlucht. Es gibt im Ammergebirge viele Steinadler, noch intakte Vorkommen des Auerhuhns und - ganz neu - die Sichtung von Luchsen. Die Kiesbänke des naturnahen Ammer-Flusses sind Lebensraum für Flussuferläufer und die vom Aussterben bedrohten Kiesbankgrashüpfer. Seltene Pflanzen wie die Deutsche Tamariske wachsen hier mit Alpenrose und Alpen-Leinkraut.

Trotz ihres Artenreichtums ist die Ammerschlucht nicht als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Umso wichtiger sind die Maßnahmen, die sich nun die Obere Naturschutzbehörde der Regierung Oberbayerns und der WWF Deutschland vorgenommen haben: Die forstwirtschaftlichen Nutzungen in alt- und totholzreichen Waldbereichen sollen eingeschränkt sowie Besucher mit Info-Tafeln gelenkt werden. In der zweien Jahreshälfte wird die Stelle eines Gebietsbetreuers geschaffen, der sich ähnlich wie ein Ranger in einem Nationalpark um konkrete Naturschutzmaßnahmen in der Ammerschlucht - etwa zum Erhalt seltener Arten - kümmern soll.

Im Karwendelgebirge der Ostalpen will sich der WWF dafür einsetzen, dass die Wildflussstrecke der Oberen Isar mit ihrer beeindruckenden Kieslandschaft und seltenen Brutvögeln erhalten bleibt.   MG


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Quelle:
WWF Magazin 2/2009, Seite 8-14
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/naturschutz-national-1/
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/naturschutz-national-2/
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/naturschutz-national-3/
Herausgeber: WWF Deutschland
Rebstöcker Str. 55, 60326 Frankfurt am Main
Tel.: 069/7 91 44-0, Fax: 7 91 44-112
E-Mail: info@wwf.de
Internet: http://www.wwf.de

Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2009