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GENTECHNIK/038: Neue Gentechnik - der wirklich allerletzte Schrei?! (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2019 Neue Gentechnik: Zwischen Labor, Konzernmacht und bäuerlicher Zukunft

Neue Gentechnik - der wirklich allerletzte Schrei?! AkteurInnen, Themen, Positionen

von Friedhelm von Mering


Die Entdeckung der CRISPR-Cas-Methode (eine molekularbiologische Methode, um DNA zu trennen und zu verändern) hat die Debatte um gentechnische Verfahren in der Landwirtschaft neu angefacht. Mit "Dialog-Foren", Stellungnahmen und Positionspapieren trommeln Industrieund Wissenschaftsverbände seitdem für den Einsatz der neuen Gentechnik-Verfahren und gegen die bestehende Gesetzgebung auf Ebene der Europäischen Union (EU), die für gentechnisch veränderte Organismen ein Zulassungsverfahren einschließlich einer Risikobewertung und eine Kennzeichnungspflicht vorsieht. Was die aktuelle Debatte kennzeichnet und welche Fragen im Vordergrund stehen (sollten), darauf versuchen dieser und die folgenden Artikel eine Antwort zu geben.

Von Beginn an wurde die mediale Diskussion vor allem als Wissenschafts- und Forschungsdebatte geführt. Forschungsakademien feierten in Stellungnahmen die Möglichkeiten der neuen Techniken - und bejubelten insbesondere den Umstand, dass deren Einsatz im Endprodukt nicht nachweisbar sei.


Interessanterweise werden Artikel in der Presse auch vor allem von WissenschaftsjournalistInnen verfasst, deren persönlicher Hintergrund von "Laborwissenschaften" wie Chemie oder Medizin geprägt ist; umweltund entwicklungspolitische Disziplinen sind stark unterrepräsentiert.

Das ist erstaunlich, denn in der Debatte um die neuen Gentechnikverfahren in Pflanzenzüchtung und Tierzucht geht es ja primär nicht um molekulargenetische Themen, sondern um landwirtschaftliche und ökologische Fragen: Wie lässt sich die Sicherung einer gesunden (!) Ernährung mit den notwendigen Maßnahmen zur Abwehr der Klimakrise oder des dramatischen Artensterbens vereinbaren? Wie kann die massive Verdrängung bäuerlicher Strukturen im Norden und kleinbäuerlich geprägter Agrarsysteme im Süden der Welt gestoppt werden? Und was wünschen sich die VerbraucherInnen? Logischerweise sollte sich erst dann die Frage stellen, welchen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen Züchtung in diesem Kontext leisten kann - und welche Techniken dafür sinnvoll sind.

Interessanterweise geben die Gentechnik-Fans auf diese Fragen so gut wie nie eine Antwort. Diskutiert wird über Basenpaare, Mutationsraten und die Geschwindigkeit der genetischen Veränderung, aber nicht über Agrarökosysteme, Bäuerinnen und Bauern, Böden, biologische Vielfalt, Klima, Nachfragetrends im Lebensmittelmarkt oder gar Patentierung. Noch relativ häufig wird die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung mit "Nahrungsmitteln" thematisiert - unter weitgehender Missachtung entwicklungspolitischer wie ernährungswissenschaftlicher Fakten (s. Artikel 9). Für Europa wird vor allem die Entwicklung trockenheitsresistenter Pflanzen in den Mittelpunkt gestellt. Hier tritt ein interessanter Dissens zwischen MolekulargenetikerInnen und ZüchterInnen zu Tage: Während GenetikerInnen den Eindruck vermitteln, man könne mit CRISPR & Co. tatsächlich trockenheitsresistente Pflanzen kreieren, betonen ZüchtungsexpertInnen, dass die Eigenschaften von Trockentoleranz vermutlich auf deutlich mehr als 20 Genen basieren, die man weitgehend noch nicht kennt. Wer glaubt, mit neuen Gentechniken dieses Problem lösen zu können, hat also von Züchtung nur bedingt etwas verstanden.

Zudem wird die Klimakrise nicht nur zu längeren Trockenperioden führen. Die verbleibenden Niederschlagsmengen werden sich auf Starkniederschlagsereignisse ("Unwetter") konzentrieren. "Trockenheits"-resistente Pflanzen haben auf dieses Problem keine Antwort (s. Artikel 6).

Die Risikodebatte: "mächtig" oder harmlos?
Werden BefürworterInnen der neuen Gentechniken auf Risiken angesprochen, reagieren sie entweder mit dem Verweis auf die angeblich nur "kleinen Veränderungen" des Genoms (s. Artikel 2)[*] - oder mit einem Gegenangriff: Statt Argumente für die Sicherheit "ihrer" Technologie zu liefern, wird das seit Jahrzehnten genutzte Mutagenese-Verfahren in Frage gestellt. Ungelöst bleibt dabei ein zentraler Widerspruch: Wenn die neuen molekularen Werkzeuge so "mächtig" sind und man damit so viel schneller neue Eigenschaften entwickeln kann - wie sollen sie dann gleichzeitig "genauso wie die Natur" arbeiten und ganz harmlos sein?

Ähnlich wie in der bisherigen Gentechnik-Debatte werden von BefürworterInnen der neuen Techniken mögliche Anwendungen in der Medizin (s. Artikel 11), der Grundlagenforschung und der Landwirtschaft munter durcheinandergeworfen. Exemplarisch dafür ist die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates und der Max-Planck- Gesellschaft: Während beide die Nutzung der neuen Gentechniken in der menschlichen Keimbahn vehement ablehnen, weil diese auch "kommende Generationen" treffen könnte, werden die potenziell viel komplexeren und schwerer wiegenden Konsequenzen des Einsatzes in (Agrar-)Ökosystemen ignoriert oder verharmlost. Hier zeigen sich auch die Auswirkungen einer fehlgeleiteten Forschungspolitik, die sich einseitig auf Labore und nicht auf die Umwelt konzentriert.[1]

Die Gentechnik-Lobby und ihr schwieriges Verhältnis zum Rechtsstaat
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs am 25. Juli 2018 war ein Schock für die BefürworterInnen der neuen Gentechniken (s. Artikel 4). Denn nach dem juristisch wie sprachlich verquasten Plädoyer des Generalanwalts im Januar hatten sie eine zumindest teilweise Deregulierung der Gentechnik erhofft. Dass die höchsten RichterInnen der EU in beeindruckender Klarheit feststellten, dass neue Verfahren zur Genmanipulation (selbstverständlich) genauso reguliert werden müssen wie die bisherigen, verleitete WissenschaftlerInnen wie JournalistInnen zu heftigen Reaktionen. Vom "Abschied von den Fakten" (SPIEGEL) war die Rede, die RichterInnen hätten sich von einem "ominösen Bauchgefühl" leiten lassen (SZ).

Die Richterschelte ist umso erstaunlicher, als 2010 bereits das Bundesverfassungsgericht ähnlich klar betonte, dass Gentechnik "besonders tief in die Grundlagen des Lebens" eingreift und daher der Gesetzgeber eine besondere Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt habe.

Der Opfer-Mythos der Gentechnik-Forschung
Lauscht man gentechnikbegeisterten WissenschaftlerInnen oder WissenschaftsjournalistInnen, scheinen Gentechnik-Forschende eine von linksgrünen Wissenschaftsfeinden unterdrückte Minderheit zu sein. Als Reaktion auf gentechnikkritische Kommentare wird gern der Untergang der Forschungsfreiheit oder die Gefahr einer Abwanderung "wissenschaftlicher Exzellenz" bemüht.

Dabei profitieren GentechnikForscherInnen in Deutschland wie überall auf der Welt von üppigen Forschungsgeldern: Eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion ergab, dass nach wie vor zehnmal so viel Steuergeld für die Gentechnikforschung wie für andere Verfahren in der Tier- und Pflanzenzucht bereitgestellt wird.[2]

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Weil Gentechnik-Forschende so viel Geld erhalten, gibt es keine Ressourcen für bessere Alternativen wie z. B. die ökologische Pflanzenzüchtung oder für echte Risiko-Forschung. Wenn die Gentechnik-Lobby Forschungsfreiheit sagt, meint sie die Sicherung Ihrer Forschungsmittel-Pfründe.

Innovation für wen?
BefürworterInnen der neuen Gentechnikverfahren sprechen gern von "Innovation". Das ist kein Zufall. Zentrale Säule im EU-Umweltrecht und deshalb das größte Dorn im Auge der Industrie ist das Vorsorgeprinzip (Art. 191 AEUV). Eine Allianz aus Tabak-, Öl- und Chemiekonzernen hat sich deshalb vor einigen Jahren ein "Innovationsprinzip" ausgedacht und versucht, dieses Gegenmodell zum Vorsorgeprinzip in der europäischen Politik zu etablieren. Gerüchten aus Brüssel zufolge kommt die größte Unterstützung dafür übrigens aus Deutschland ...

Dabei wird der Innovationsbegriff auf die Molekulargenetik-Ebene reduziert. Wie ein Instrument zur Fortsetzung einer chemie- und ölbasierten Intensivlandwirtschaft, deren verheerende Folgen aktuell in den Berichten der Klima- und Biodiversitätswissenschaft angeprangert werden, "innovativ" sein soll, wird nicht gefragt. Ähnlich "innovativ" wäre eine neue Technologie zur Produktion von FCKW oder verbleitem Benzin.

Dieses merkwürdige Innovationsverständnis geht zudem meilenweit an den Trends im Lebensmittelmarkt vorbei: Dort sind ökologisch und konventionell gentechnikfrei produzierte Lebensmittel seit Jahren die Wachstumsgaranten, jede neue Umfrage bestätigt: Europas VerbraucherInnen wollen keine Gentechnik auf Acker oder Teller.

Der Elefant im Raum: Patentierung
Die Einschränkung von Forschung, Züchtung und Landwirtschaft durch Patente auf gentechnisch veränderte Konstrukte wird von GentechnikBefürworterInnen besonders laut totgeschwiegen. Technische Elemente in der Züchtung garantieren Patentierungsmöglichkeiten, das gilt auch für CRISPR. Mehrfach haben sich Bundestag und Bundesregierung gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren ausgesprochen, zuletzt im aktuellen Koalitionsvertrag. Den Fans der neuen Techniken ist das durchaus bewusst, daher versuchen sie, dieser Debatte auszuweichen (s. Artikel 5). Fazit: Ja, die neuen Techniken bedeuten einen großen Fortschritt in der genetischen Forschung. Daraus jedoch eine Nutzung in der Landwirtschaft abzuleiten, ist wissenschaftlich wie politisch äußerst fragwürdig.

Der Autor ist Referent für Politik beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V. (BÖLW).


[1] https://www.forumue.de/rundbriefiii2017-die-wissenschaft-hat-festgestelltforschung-zwischen-geld-macht-und-gemeinwohlinteressen/

[2] https://www.boelw.de/themen/forschung-bildung/forschungspolitik/artikel/forschungspolitik-oeko-zuechtung-statt-gentechnik-foerdern/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

[*] Der Rundbrief ist als PDF auf der Homepage des Forums Umwelt & Entwicklung zu finden

*

Quelle:
Rundbrief 2/2019, Seite 2 - 3
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2019

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