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FORSCHUNG/1550: Rettet die Artenkenner (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 3/2019
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Naturschutz
Rettet die Artenkenner!

Von Kai Frobel


Nicht nur viele Tier- und Pflanzenarten werden immer seltener. Gleiches gilt auch für die Menschen, die sie erkennen können: Ihre Zahl schwindet. Für den Naturschutz ist das ein großes Problem.


Wie geht es dem Kiebitz im Landkreis? Hat der Laubfrosch die neu angelegten Tümpel besiedelt? Wird die Speerazurjungfer wegen der Klimakrise seltener? Typische Fragen im Naturschutz vor Ort. Wer sie beantworten will, braucht Daten: Wo kommen welche Arten warum bei uns vor? Halten sie sich, nehmen sie zu oder ab? Ohne dieses Wissen bleibt unser BUND-Engagement orientierungslos.

Hier sind wir auf Artenkundige angewiesen: Menschen, die sich privat, ehrenamtlich oder beruflich mit bestimmten Tier- und Pflanzengruppen befassen, diese bestimmen und draußen in der Landschaft kartieren. Was sie beobachten, zeigt die Verbreitung und - oft dramatische - Entwicklung bestimmter Arten. So waren es Krefelder Ehrenamtliche, die den langfristigen Niedergang der Insekten nachwiesen.

Doch wie sollen wir wissen, wie es unserer natürlichen Umwelt geht, wenn niemand mehr erkennt, was da kreucht und fleucht, und Alarm schlägt, wenn Arten verschwinden oder keinen Nachwuchs mehr haben? Ohne ehren- und hauptamtliche Artenkenner ist Naturschutz schlicht unmöglich. Ihr Wissen und ihre langjährige Erfahrung bilden dafür erst die Grundlage.

Bleibende Lücke

Artenkenntnis - ein Leben lang erweitert - ist eine oft unterschätzte Qualifikation. Wir brauchen Menschen, die Tiere und Pflanzen erkennen und beobachten und aus eigener Anschauung die biologische Vielfalt »messen« können. Sie wirken wie ein Frühwarnsystem. Nehmen sie doch Veränderungen im Gelände oft viel eher wahr als die, die im Labor sitzen.

Seit etlichen Jahren beschäftigt sich der BUND mit einer Entwicklung, die wir 2016 mit einer Studie erstmals belegen konnten: der Erosion der Artenkenner. In den letzten 20 Jahren ging ihre Zahl bundesweit um 21 Prozent zurück. Viele von ihnen sind schon über 60. Und es mangelt an qualifiziertem Nachwuchs. So ist absehbar: Viele Expert*innen werden uns in zehn, zwanzig Jahren verloren gehen. Und werden Lücken hinterlassen, weil Schulen und Universitäten kaum Nachwuchs liefern. Da fehlt eine ganze Generation von Menschen mit Artenkenntnis. Hier müssen wir schleunigst gegensteuern.

Viele Ursachen

Es ist kurios: Die Unterstützung für den Schutz der Biodiversität steigt sprunghaft - siehe das erfolgreiche Volksbegehren »Artenvielfalt in Bayern«. Gleichzeitig aber schwindet die Artenkenntnis. Ohne genug Expertise droht uns ein regelrechter Blindflug durch diese Zukunftsfrage.

Der eklatante Mangel ist ein weltweiter. So warnt US-Ökologe E. O. Wilson vor einem »schwarzen Loch der Unwissenheit«. Er fordert angesichts des Artensterbens mehr Wertschätzung für Feldbiologen - die einst an der Spitze ihrer Disziplin standen.

Die Gründe für den Negativtrend sind vielfältig: Kinder erleben heute zu wenig Natur in ihrem Umfeld. Lange hat man die Artenkenntnis gesellschaftlich kaum wertgeschätzt. Viele Lehrer*innen sind zudem selbst ohne Artenkenntnis. Kein Wunder: An den Universitäten wurde die freilandbiologische Ausbildung stark dezimiert, verdrängt von hoch geförderten Disziplinen wie der Gentechnik.

Kaum Angebote

Ein Großteil der Artenkundigen erfuhr die Natur als Kind in der nächsten Umgebung: in heckenreicher Kulturlandschaft, vielfältigen Wäldern, geheimnisvollen Auen. Dort erlebten sie Tiere und Pflanzen, ihre Schönheit und Faszination. Heute wachsen Kinder oft inmitten von Fichtenforsten, Maisäckern und Güllewiesen auf. Was gibt es da noch zu entdecken?

Daran ändert auch die Schule wenig. Wem selbst jede Artenkenntnis fehlt, kann sie auch nicht vermitteln. Und vermeidet wohl eher, gemeinsam ins Grüne zu gehen, aus Angst vor peinlichen Fragen. Die Universitäten wiederum versagen, da Drittmittel der Industrie oder des Staates andere Prioritäten setzen. So wurden Bestimmungskurse und freilandorientierte Lehrstühle massiv gestrichen, die Stellen von Artenkennern nicht neu besetzt. Im Studium ist das Interesse an Arten und Geländekartierungen unverändert groß. Nur fehlen oft Angebote und die Wertschätzung für entsprechende Abschlussarbeiten. Deshalb suchen Planungsbüros und Behörden heute händeringend Nachwuchs mit guter Artenkenntnis.

Wer ist gefragt?

Die BUND-Studie war ein Weckruf. So nahm das Bundesumweltministerium unser Anliegen in die »Naturschutzoffensive 2020« auf. Der Deutsche Naturschutztag entwickelte ein eigenes Forum für Jugendliche mit diesem Schwerpunkt. Und neue Initiativen entstanden, um die Artenkenntnis zu fördern. Viele kleine Anstöße vereinen sich gerade zu einer schwungvollen Bewegung.

Profundes Artenwissen entsteht nicht von heute auf morgen. Der Nachwuchs muss langfristig und gesamtgesellschaftlich gefördert werden. Gefragt sind Umweltbehörden, Naturschutzzentren, Schulen, Universitäten - und wir alle.

Viele der heutigen Artenkenner sagen, ihre Eltern hätten den Grundstein für ihre Naturbegeisterung gelegt. Dabei kam es nicht darauf an, ob die Eltern Spezialisten waren. Wichtiger war, dass sie Neugierde und Interesse für die Natur weckten.

Für die Zukunft

Nötig sind auch Lehrer*innen, die draußen zumindest einen Teil der Artenfülle vermitteln können. Ihre Ausbildung braucht in der Didaktik der Biologie also andere Schwerpunkte. Und die Universitäten müssen wieder Leute mit Artenkenntnis ausbilden, das ist schlicht ihre gesellschaftliche Aufgabe.

Im BUND sollten wir unser reiches Angebot an Naturerfahrung für Kinder erweitern - um zusätzliche Möglichkeiten für angehende Artenkenner. Bewährt haben sich Artenkundige, die in kleinen Gruppen im Gelände ihr Wissen an Interessierte weitergeben. Gerade Berufsanfänger sowie Frauen mittleren Alters nehmen diese Angebote gerne an. Eine gute Ergänzung zur manchmal sperrigen Bestimmungsliteratur sind auch digitale, bildbasierte Wege der Arterkennung über Apps.

Welche Konzepte versprechen heute besonderen Erfolg, um die Artenkenntnis zu fördern? Um das herauszufinden, fordert der BUND Modellprojekte staatlich zu unterstützen. Damit die Vielfalt der Arten(-kenner) eine Zukunft hat!


Kai Frobel lehrt Biogeographie an der Uni Bayreuth und ist Sprecher des BUND-Arbeitskreises Naturschutz.

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Quelle:
BUND MAGAZIN 3/2019, Seite 16 - 17
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2019

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