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FORSCHUNG/1191: Wald-Klima-Observatorium - Der verkabelte Wald (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juli 2015

Der verkabelte Wald

von Tilo Arnhold und Susanne Hufe


Der Blick reicht weit über die flachen Felder der Börde: Im Osten der Magdeburger Dom, im Süden der Brocken als höchster Gipfel des Harzes. Aber weit geht der Blick auch nach unten: Der Aufstieg auf den 50 Meter hohen Messturm ist nichts für Ängstliche. Der Gittermast im "Hohen Holz" ist zwar nach allen Regeln der Kunst abgespannt und gesichert, schwankt bei Wind aber dennoch kräftig. Wer hier arbeiten will, sollte schwindelfrei sein. Dass die Forscherinnen und Forscher des UFZ trotzdem so hoch hinaus wollen, liegt am Wald. Um die Austauschprozesse zwischen der Vegetation und der Atmosphäre untersuchen zu können, müssen sie nicht nur am Boden und zwischen den Bäumen messen, sondern auch darüber.

In den letzten Monaten entstand hier ein komplexes Wald-Klima-Observatorium. Wegen der Topografie fiel die Wahl auf das "Hohe Holz", ein rund 150 Hektar großes Waldgebiet bei Oschersleben am Rande der Magdeburger Börde: "Wir haben uns verschiedene Standorte im Harzvorland angesehen, aber keiner war so ideal wie dieser. Um die Kohlenstoff- und Wasserströme gut messen zu können, brauchen wir ein möglichst homogenes Gelände, erklärt Dr. Corinna Rebmann vom UFZ, die die Arbeiten am Observatorium koordiniert. Etwa zehn Kilometer südlich befindet sich eine weitere Station: 130 Höhenmeter tiefer im "Großen Bruch", einem extensiv bewirtschafteten Grünland, messen Rebmann und ihre Kollegen bereits seit 2013 verschiedene Treibhausgase.

Beide Forschungsstationen sind Teil des "Integrated Carbon Observation Systems" (ICOS), in das 90 Messstationen in 14 Ländern Europas eingebunden sind. Ziel ist es, ein europäisches Gesamtbild der Treibhausgase zu erstellen, deren Anstieg die Hauptursache für den globalen Klimawandel ist: Im Atmosphärenprogramm werden dabei die Treibhausgaskonzentrationen in der Luft gemessen; im Ozeanprogramm wird der Austausch von Spurengasen zwischen der Atmosphäre und den Ozeanen erforscht und im Ökosystemprogramm werden Quellen und Senken von Treibhausgasen in Wäldern, Grünländern, Äckern und Mooren untersucht. Neben Kohlendioxid sind das vor allem Methan und Lachgas. Wieviel davon in der Vegetation gebunden wird, schwankt jedoch stark von Jahr zu Jahr. Doch woher kommen die Schwankungen und wie entwickeln sie sich vor dem Hintergrund des sich wandelnden Klimas? An welchen Stellen müssen Wissenschaftler ihre Modelle optimieren, um die wichtigsten Prozesse richtig zu erfassen und die richtigen Schlüsse zu ziehen?

Und so schaut das UFZ sozusagen dem Wald beim Atmen zu. Die ein Hektar große Intensivmessfläche hat sich ihre Bezeichnung redlich verdient. Genauso gut könnte man von einem verkabelten Wald sprechen: Bänder spannen sich um die Baumstämme und erfassen deren Wachstum. Hauben messen automatisch den Kohlendioxid-Gehalt der aus dem Boden aufsteigenden Luft. Ganz zu schweigen von diversen Messgeräten, die meteorologische Werte wie Temperatur, Luftfeuchte, Wind oder Sonneneinstrahlung erfassen. Auf und um den Messturm sind in den letzten Monaten weit über 400 Sensoren installiert worden. Hightech allein reicht jedoch nicht. "Obwohl uns die meisten Geräte online mit Daten versorgen, sind noch viele Arbeiten nötig, für die Personal vor Ort gebraucht wird", berichtet Corinna Rebmann. Neben der Wartung der Geräte entnehmen die Forscher mehrmals pro Jahr Blätter aus den Baumkronen, die dann am Nationalen Französischen Landwirtschaftsforschungsinstitut INRA in Bordeaux auf ihren Kohlenstoff-, Stickstoff-, Chlorophyll- und Wassergehalt untersucht werden. Oder es werden im Laufe der Vegetationsperiode etwa 14-tägig und an zirka 100 verschiedenen Stellen vom Boden aus die Baumkronen fotografiert, um den Blattflächenindex zu bestimmen. Der ist für alle physiologischen Prozesse des Waldes von großer Bedeutung. Gesammelt und standardisiert werden am Ende alle Daten an einer Stelle, der italienischen Universität Tuscia bei Rom. Die Auswertung findet überwiegend am UFZ in Leipzig statt. Zugänglich sind die Daten jedoch für alle interessierten Wissenschaftler weltweit.

Besonderes Kennzeichen der Forschungsstation im "Hohen Holz" ist ihre Spezialisierung auf Prozesse des Wasser- und Gastransports im gesamten Ökosystem. Während auch an einigen anderen Orten Deutschlands reine Klimadaten in Wäldern gemessen werden, sind Stationen des ICOS-Ökosystemprogramms bisher rar gesät.

Vergleichbare Stationen gab es vorher nur in benachbarten Bundesländern Mitteldeutschlands: Im Nationalpark Hainich in Thüringen untersucht die Universität Göttingen einen unbewirtschafteten Laubwald, im Tharandter Wald in Sachsen die Universität Dresden einen bewirtschafteten Nadelwald. "Durch den Vergleich zum klassisch bewirtschafteten Buchenmischwald hier in Sachsen-Anhalt wollen wir herausfinden, wie sich unterschiedlich genutzte Wälder mit verschiedener Pflanzenzusammensetzung im Klimawandel verhalten und welche Rolle die Vegetation dabei spielt", betont Corinna Rebmann.

Von den zeitlich hochaufgelösten Messungen erhoffen sich die Forscher also nicht nur neue Erkenntnisse zur Treibhausgasbilanz, sondern auch zum Wasserhaushalt", betont der Umweltphysiker Dr. Matthias Cuntz zwischen einem Gewirr an Regensammlern, die über den Waldboden und den Baumstämmen verteilt sind. Er wird die Daten nutzen, um Prozesse wie etwa die Verdunstung oder die Dynamik der Bodenfeuchte in seinen Modellen zu optimieren. "Das Zusammenspiel zwischen dem Wasserhaushalt und den Treibhausgasen ist für uns besonders interessant, denn der Klimawandel zeichnet sich nicht nur durch höhere Temperaturen, sondern auch durch veränderten Niederschlag aus." Wieviel vom Niederschlag den Pflanzen wirklich zur Verfügung steht, ist ein wichtiger Faktor, der - im Gegensatz zu den Wassermengen in den Flüssen - in den Modellen bisher nur schwer abgebildet werden kann. Die Daten werden deshalb in ein Modell einfließen, das mit Boden, Vegetation und Atmosphäre gleich drei Schichten umfasst und daher eine echte Herausforderung für die Modellierer ist. Sollte das klappen - und davon gehen die Wissenschaftler fest aus - wird es helfen, wichtige Fragen rund um den Kohlenstoff- und Wasserkreislauf zu beantworten.

Und hier schließt sich der Kreis zu TERENO, der nationalen Forschungsplattform, die von sechs Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft betrieben wird. Sie spannt ein Netzwerk zur Erdbeobachtung über Deutschland auf, um langfristige ökologische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen des globalen Wandels auf regionaler Ebene zu untersuchen. Das UFZ nimmt dabei einen 26.000 Quadratkilometer großen Raum vom Harz bis ins mitteldeutsche Tiefland unter die Lupe. Die Forschungsstation im "Hohen Holz" ist dabei von nun an ein wichtiges Element. Wie werden sich die Bilanzen der Treibhausgase verändern? Wie wird der Wald mit der möglichen Verschärfung der Trockenheit in Sachsen-Anhalt zurechtkommen? Wie zuverlässig lassen sich Dürren mit den vorhandenen hydrologischen Modellen vorhersagen? Fragen, die nicht nur die heimische Land- und Forstwirtschaft bewegen, sondern auch globale Bedeutung haben. Neue Antworten verspricht der im Juni gestartete europäische Umweltsatellit Sentinel-2A, der durch das zeitgleiche Abtasten der immer selben Regionen aus 786 km Höhe kontinuierlich Veränderungen registriert. Der Abgleich dieser Informationen mit den Daten, die Messstationen wie das Wald-Klima-Observatorium im "Hohen Holz" liefern, wird entscheidend dazu beitragen, viele Rätsel rund um die Auswirkungen von KIima- und Landnutzungsänderungen zu lösen - regional und global.


UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Corinna Rebmann,
Dr. Matthias Cuntz

Dept. Hydrosystemmodellierung (CHS)
e-mail: corinna.rebmann@ufz.de,
matthias.cuntz@ufz.de

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 10:
Mir Unterstützung durch die Behörden in Kreis und Land sowie Finanzierung durch den Bund konnte in den vergangenen Monaten im Landschaftsschutzgebiet "Hohes Holz" bei Oschersleben ein 50 Meter hoher Messturm errichtet und mit umfangreicher Technik ausgerüstet werden.

Abb. S. 11 oben:
1 Sebastian Gimper in luftiger Höhe beim Justieren eines Pyranometers, mit dem die Sonnenstrahlung erfasst wird.

2 Inmaculada García Quirós bestimmt mit Messhauben den Anstieg der Kohlendioxidkonzentration, die sich akkumuliert. Daraus wird die Bodenatmung bestimmt.

3 Um den Wasserhaushalt genauer bilanzieren zu können, wurden an den Bäumen und über dem Waldboden diverse Regensammler angebracht. Sie helfen zu bestimmen, wieviel vom Niederschlag tatsächlich am Boden ankommt.

Dutzende Messgrößen erfassen die Wissenschaftler auf unterschiedlichen Ebenen des Turms und seiner Umgebung - größtenteils automatisch, einige aber auch manuell. Neben den Treibhausgasen sind das Klimadaten (z.B. Temperatur, Luftfeuchte, Wind oder Sonneneinstrahlung), Daten zur Vegetation (z.B. Belaubung, Stammdurchmesser) und auch Daten zum Boden (z.B. Bodentextur, Stickstoff- und Kohlenstoffgehalt).

Abb. S. 11 unten:
DÜRREMONITOR
Trockenheit in Deutschland am 11. Juni 2015.
Aktuelle Informationen zur Bodenfeuchtesituation liefert der Dürremonitor, dessen Basis ein hydrologisches Modell (mHM) ist.
www.ufz.de/duerremonitor

Die Daten aus den UFZ-Messstationen fließen darüber hinaus in zahlreiche weitere hydrologische und Landoberflächenmodelle ein, die von Wissenschaftlern weltweit, z.B. auch dem Weltklimarat IPCC, genutzt werden.

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Quelle:
UFZ-Newsletter Juli 2015, Seite 10 - 11
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
Tel.: 0341/235-1269, Fax: 0341/235-450819
E-mail: info@ufz.de
Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2015

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