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DEBATTE/064: Endlagersuche - Geschichte wiederholt sich (Gorleben Rundschau)


Gorleben Rundschau - Mai/Juni 2015, 1032/1033

Geschichte wiederholt sich

Endlagersuche Die Ankündigung klang verheißungsvoll. Einen Neuanfang in der Endlagersuche stellte die Bundesregierung 2014 in Aussicht, gemeinsam mit allen Akteuren und vor der Erkenntnis einer jahrzehntelang verfehlten Atompolitik. Im Wendland allerdings, in der gesamten Anti-Atom-Szene, war man von vornherein skeptisch, dass dieser Versuch ernst gemeint war. Und sieht sich nun bestätigt.

Von Martin Donat


Auch wenn der Parlamentarische Untersuchungsausschuss Gorleben mit zwei Abschlussberichten der damaligen schwarz-gelben Regierungskoalition und der damaligen Oppositionsparteien endete, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, machten dennoch beide auch den glühendsten Befürwortern eines Endlagers in Gorleben gleichermaßen klar: Ein monolithischer Weg zu ausschließlich diesem einen Standort hätte hohe juristische, technische, geologische und politische Risiken geborgen. Eine vernünftige, wissenschaftsbasierte Abwägung aller Optionen und Alternativen in der Vergangenheit konnte weder in Bezug auf die Auswahl des Standortes, noch der technischen Optionen belegt werden. Offensichtliche geologische Schwächen und Risiken bereiteten selbst den größten Eiferern auch nach mehreren Jahrzehnten der Anpassung der Kriterien an die am Standort vorgefundenen Fakten starke Kopfschmerzen. Und trotz Zahlung großer Summen von 'Wohlverhaltensgeldern' an die betroffene Kommune und Initiierung zahlreicher 'Dialoge' stellte sich die erhoffte und international erwünschte regionale und gesellschaftliche Akzeptanz des Standortes auch bei großzügigster Auslegung keineswegs ein.

Noch unter Umweltminister Norbert Röttgen und nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima wurde ein Endlagersuchgesetz von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf den Weg gebracht. Dieser Gesetzentwurf konnte zwar selbstverständlich die vorherigen eklatanten Fehler und Sicherheitslücken nicht 'heilen', aber er beinhaltete alle Elemente eines Verfahrens, das die Endlagerung 'streitfrei stellen' und damit vor allem den Klagen der Bevölkerung und der gerichtlichen Überprüfung entziehen sollte. Den Gegnern eines Endlagers in Gorleben wurde das Verfahren dadurch schmackhaft gemacht, dass die Hardliner ihnen erstmals einen Standortvergleich, also die Prüfung auch anderer Standorte, zugestanden. Schon in der Frage der Anzahl der zu untersuchenden geologischen Formationen und der Untersuchungstiefe schieden sich jedoch die Geister. Wie so oft, versteckten die Teufel sich im Detail. Die Rechtsanwälte der Atomkonzerne und der Atomparteien würden ihre exorbitanten Gehälter nicht bekommen, wenn sie es nicht verstünden, ihre Aufträge komplexer zu formulieren, als diese sich in einem Zeitungsartikel wiedergeben lassen. Eines machte die schwarz-gelbe Regierung aber klar: Der willkürlich benannte und geologisch ungeeignete Standort Gorleben würde trotz aller politischen Einflussnahmen, Lügen und Tricksereien aus politischem Kalkül wieder mit von der Partie sein, und ob er sich überhaupt einem ernsthaften Vergleich würde stellen müssen, wäre reine Auslegungssache.

Den Spitzen der damaligen Oppositionsparteien, seinen Amtsvorgängern Gabriel und Trittin, konnte Umweltminister Altmaier das Standortauswahlgesetz (StandAG) in seiner privaten Küche unterjubeln. Nicht ganz unmaßgeblich dürfte dabei gewesen sein, dass Atommüll für alle politisch Verantwortlichen ein ungeliebtes Thema darstellt, aus dem sich politischer Gewinn kaum schlagen lässt. Alle Entscheidungen sind extrem langfristig angelegt, bestehende Genehmigungen und Rechtsrahmen lassen sich kaum antasten und bestenfalls geschieht gerade einmal - nichts. Die vier beteiligten Bundestagsparteien drängten darauf, das Thema aus dem Bundestagswahlkampf zu halten. Schon zu diesem Zeitpunkt wäre ein Gesetz in Kraft getreten, dass Umweltverbände und Initiativen als Gorleben-Durchsetzungs-Gesetz beurteilten und das Chancen für andere Standort-Optionen lediglich als ein juristisches Alibi vorhielt.

Mit der Niedersachsenwahl wurde jedoch auf den letzten Metern noch einmal die Debatte eröffnet, denn die neue rot-grüne Landesregierung versagte ihre Zustimmung zum Gesetzesvorschlag und forderte den Ausschluss des geologisch ungeeigneten und politisch verbrannten Standortes Gorleben. Nach einer Audienz bei den Parteispitzen in Berlin blieben von dieser Forderung allerdings nur marginale Nachbesserungen, der Stopp von Castortransporten nach Gorleben und die Evaluation des Gesetzes durch eine Enquete-Kommission übrig. Jener 'Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfälle' versagten Umweltverbände und Initiativen ihre Mitarbeit, da sie nach den Vorstellungen der Bundespolitik fundamentale Voraussetzungen und Fragen schlichtweg ausklammerte und die Politik sich vorsorglich die Stimm- und Deutungshoheit sicherte. Die historische Chance für ein reines Rahmengesetz und die Eröffnung einer ernsthaften gesellschaftlichen Debatte über den Atommüll und die Beendigung dessen Produktion hatte die Politik mit dem Gesetz vertan. Nach mehreren Konferenzen mit verantwortlichen Landes- und Bundespolitikern, in denen tatsächlich harte Kriterien verhandelt wurden, fiel die Verhandlungsmacht der Umweltbewegung in sich zusammen, als sich unerwartet doch zwei Vertreter von Umweltverbänden zur Mitarbeit bereitfanden. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass innerhalb dieser Organisationen auch Parteienvertreter einen gewissen Einfluss entfalten. Diese Kommissionsmitglieder gehen allerdings offenbar davon aus, in der Endlagerkommission tatsächlich einen konstruktiven Einfluss ausüben zu können, eine Einschätzung, die quasi alle Anti-Atom- und Standortinitiativen, sowie die langjährig mit dem Thema Atommüll befassten Umweltverbände nicht teilen.

Die von den Politikern in diesem Prozess am häufigsten benutzten Worte waren 'Vertrauen' und 'Verantwortung', wobei sie nicht auf ihre eigene Zuständigkeit für den Atommüll oder die unausweichliche Verantwortung der Abfallverursacher und Profiteure abzielten, sondern unverfroren 'uns alle' in die Kollektivhaftung nahmen. Während die Energieversorger vordergründig durch ihre Mitarbeit in der Kommission Teil dieses Atommüllkonsenses waren, beklagen sie neuerdings hinterhältig die Grundlagen jener Einigung, nämlich Atomausstieg, Atomgesetz und Stopp der Castortransporte nach Gorleben, mit Dutzenden von Klagen auf allen gerichtlichen Ebenen. Während noch die Diskussion über einen öffentlich-rechtlichen Fond zur Sicherstellung des atomaren Rückbaus und der Atommülllagerung in vollem Gange ist, hat der Energieversorger E.ON einfach längst Fakten geschaffen, in einem beispiellosen 'Greenwashing' den zukunftsträchtigen profitablen Bereich erneuerbarer Energien ausgelagert und seine ungedeckten Rückstellungsmillionen bei den veralteten Kraftwerksruinen zurück gelassen.

Während die Kommission in Arbeitsgruppen zerfiel und sich in Geschäftsordnungsdebatten und Terminfindungen aufrieb, wurden alle relevanten Atomentscheidungen außerhalb der Kommission getroffen. Trotz eines gemeinsamen Lippenbekenntnisses für die Entsorgung des Atommülls im Inland, versuchte das in der Kommission beteiligte Nordrhein-Westfalen hochradioaktiven Atommüll in die USA zu exportieren. Für den Verbleib der 26 noch ausstehenden Castorbehälter aus den Plutoniumfabriken Sellafield und La Hague hatten Bund, Länder und Umweltministerium eine Lösung jenseits von Gorleben bis Ostern 2014 zugesichert, die jedoch lange noch nicht in Sicht ist und dennoch längst von den Atomkonzernen vehement beklagt wird.

Vor dem Hintergrund der Klagen der Energieversorger und der offensichtlichen Unfähigkeit und Unwilligkeit von Kommission und Politik, in all diesen Fällen gesellschaftlich akzeptable Lösungen herbei zu führen, versagten die Organisationen Greenpeace und .ausgestrahlt sowie auch die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg vergangenen Oktober eine zehnminütige Anhörung zur Gesetzesevaluation. Als langjährig erfahrene Akteure waren sie nicht gewillt, in einem bereits vorgezeichneten Prozess Bürgerbeteiligung vorzugaukeln und damit gesellschaftliche Beteiligung nur zu simulieren. Ernsthafte Vorschläge für eine demokratische Atommüllpolitik hatten sie zu diesem Zeitpunkt zur Genüge unterbreitet. Jörg Sommer von der Deutschen Umweltstiftung, der es als Kommissionsmitglied wagte, die zwingenden und unausweichlichen Themen der Konzernklagen in der Kommission anzusprechen und die Konzernvertreter zum Rücktritt aufforderte, wurde sogleich mit diesen zusammen in eine Kleinarbeitsgruppe verwiesen, 'um Druck von der Kommission weg zu nehmen', wie der Vorsitzende begründete. Als Retourkutsche wurde Sommer von den Wirtschaftsvertretern dafür angegriffen, dass er seine Mitteilungspflicht als gesellschaftlicher Vertreter ernst nahm und als Einziger in einem eigenen Anti-Atom-Blog über seine Kommissionsarbeit berichtete.

Nachdem bereits über die Hälfte der Kommissionszeit von der Öffentlichkeit nahezu unbeachtet abgelaufen ist, soll in diesem Sommer nun absurderweise endlich die 'Auftakt'-Veranstaltung zur Bürgerbeteiligung starten. Eine heilsame Erkenntnis, dass womöglich weder die Rahmenbedingungen, noch Zeitrahmen, Kompetenz und Besetzung vernünftig sein könnten, ist chancenlos in der Kommission.

'Diese Kommission brauchen die Bürger nicht' bloggte Jörg Sommer jüngst angesichts der Tatsache, dass ausgerechnet die maßgeblichen Entscheidungen völlig intransparent getroffen werden, Berichte hinter verschlossenen Türen verfasst und die Öffentlichkeit nur zum Schein beteiligt wird. Auch die Vergabe der so genannten 'Bürgerbeteiligung' an ein kommerzielles Einbindungsinstitut soll offenbar nichtöffentlich an einschlägig Verdächtige erfolgen, das Format selbst wird mit großer Sicherheit lediglich als Ventil für Kritik und Protest konzipiert sein, um diese letztlich unwirksam machen zu können.

Über der Beschäftigung mit dieser belanglosen 'Beteiligung', die substanzielle Rechte für Anwohner und betroffene Regionen überhaupt nicht vorsieht, könnten die harten Fakten ganz aus dem Blickfeld geraten. Während Sozialwissenschaftler den Bürger/-innen schöne Foren unterbreiten, sammeln altbekannte Wissenschaftler in ihrer Arbeitsgruppe schon fleißig die Erkenntnisse aus 38 Jahren Gorlebenforschung zusammen, um daraus die Eignungskriterien für ein Endlager für hochradioaktiven Abfall abzuleiten. Bedenkt man, dass die Kommission von der Bundespolitik zur Hälfte mit Gorleben-Befürwortern besetzt wurde, dann wird transparent, warum die Umweltministerin der Großen Koalition keine Alternativen zu einer Verlängerung der Veränderungssperre im Wendland für zehn Jahre erkennen will. 'Einen Neuanfang in der Endlagersuche gemeinsam mit allen Akteuren nach einer jahrzehntelang verfehlten Atompolitik' wollte der Bundestag wagen. Einen solchen Neuanfang kann es nicht nur wegen der Ausklammerung Hunderttausender Tonnen Atommüll aller Strahlungsintensitäten nicht mehr geben. Einem breiten gesellschaftlichen Konsens steht auch der willkürlich benannte Salzstock Gorleben massiv im Wege.

Wie die Anti-Atom-Initiativen prophezeit haben, vergiftet Gorleben das gesamte Verfahren. Nicht dem relativ besten, sondern wieder dem erstbesten Standort könnte jeder zuarbeiten, der bei diesem untauglichen Verfahren mitmacht. Im Wendland ist man nicht gewillt, diese versalzene Suppe auszulöffeln.

Weitere Infos im Internet unter:
www.gorleben-rundschau.de

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Quelle:
Gorleben Rundschau - Mai/Juni 2015, Seite 14-17
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Rosenstr. 20, 29439 Lüchow
Tel. 05841/46 84, Fax: 05841/31 97
E-Mail: redaktion@gorleben-rundschau.de
Internet: www.gorleben-rundschau.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2015

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