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DEBATTE/053: Nur weniger und besser ist nachhaltig (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014 Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Nur weniger und besser ist nachhaltig
Nachhaltige Infrastrukturen für ein zukunftsfähiges Deutschland

Von Prof. Dr. Kai Niebert



Eine nachhaltige Infrastrukturplanung ist der Schlüssel zu einem zukunftsfähigen Deutschland. Nur so können eine gesunde Umwelt, hohe Lebensqualität und sozialer Zusammenhalt gewährleistet werden. Nachhaltigkeit bedeutet dabei allerdings nicht, einfach ressourcenschonend zu bauen; notwendig ist vielmehr Überlegung, ob der Bau überhaupt wirklich nötig ist.


Nachdem ich nun jahrelang zum Klimawandel geforscht und politisiert habe, wollte ich es wissen: Ist es nicht doch schon heute möglich, klimafreundlich zu leben? Also habe ich einen Selbstversuch unternommen. Das Ziel: Klimafreundlich leben, zumindest für eine Woche und ohne Ausgleichszahlungen. Sollte ja nicht schwer sein: Der Strom in meiner Steckdose ist grün, Vegetarier bin ich auch und meine Bahncard garantiert mir Öko-Mobilität. Zwei Tonnen CO2 pro Jahr sind nachhaltig, das sind 5,5 kg pro Tag. Los geht's: Das Frühstück ist mit einem Käsebrot, einer Tasse Tee und einem Apfel mit knapp 500g CO2 noch überschaubar, zur Arbeit geht's mit dem Fahrrad: 0 g CO2. Auf der Arbeit angekommen fällt der Computer mit etwa 640 g CO2 pro Tag ins Gewicht. Zum Mittagessen verzichte ich auf den Gemüseauflauf und begnüge mich mit einer Schale Salat. Am Ende des Tages bin ich ein wenig stolz: Es sind knapp 4 kg CO2 zusammengekommen. Geht doch.

Jedenfalls bis ich anfange, meine Grundlast zu berechnen: Alleine meine Wohnung schlägt mit knapp 7 kg CO2 pro Tag für Bau, Instandhaltung, Warmwasser usw. zu Buche. Und auch die CO2-Bilanz für die Herstellung und Entsorgung meiner Möbel, des Telefons, der Herstellung des Fahrrads usw. sind nicht eingerechnet. Ohne Klima-Ablasshandel komme auch ich offensichtlich nicht aus. Meine Lektion der Woche: Ein nachhaltigeres Leben ist möglich. Aber ein Leben in Nachhaltigkeit braucht eben mehr als nur guten Willen. Es braucht auch eine Infrastruktur, das es stützt. Individuelle Entscheidungen stoßen dort an Grenzen, wo wir uns in Infrastrukturen bewegen, die wir nicht einfach verlassen können.

Infrastrukturen - Versuch einer Annäherung
Was genau eine Infrastruktur eigentlich ist, weiß überraschenderweise niemand so genau: Der Begriff entstammt dem militärischen Sprachgebrauch der NATO, Wirtschaftswissenschaftler nutzen ihn erst seit den 1960er Jahren. Er wird entweder über seine Teile (zum Beispiel Stromleitungen, Straßen, Schulen, Krankenhäuser etc.) oder seine Merkmale (hohe Kapitalintensität, keine direkten wirtschaftlichen Erträge) beschrieben. Vom Wortsinn her leitet sich die Infrastruktur von lateinisch infra »unterhalb« und structura »Gefüge« ab; sie ist im übertragenen Sinn eine Art Unterbau. Wenn wir über Infrastrukturen reden, reden wir also über langlebige Einrichtungen in der Regel materieller, aber auch institutioneller Art, die den Zweck haben, unser Gesellschaftssystem zu stützen und zu ermöglichen.

Infrastruktur - Konkurrenz um die Säulen der Nachhaltigkeit?
Die Infrastruktur bildet den unverzichtbaren Unterbau unserer Gesellschaft. Sie ist Voraussetzung für sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt zugleich. Der aktuelle Wiederbeschaffungswert der öffentlichen Infrastruktur wie Straßen, Schienen, Kanäle etc. wird derzeit auf knapp 930 Milliarden Euro geschätzt. Sie muss laufend unterhalten und an neue Anforderungen angepasst werden. Zurzeit ist nicht absehbar, wie sich die steigenden Unterhaltsaufwendungen und die notwendigen Erweiterungen finanzieren lassen. Einer Prognose des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel zufolge wird sie in den kommenden Jahren rapide an Wert verlieren: Während sie vor zehn Jahren noch 960 Milliarden Euro wert war, gehen die Schätzungen für 2017 nur noch von 925 Milliarden Euro aus.

Das Problem: Die Infrastrukturentwicklung steht in Konkurrenz zu anderen Generationenaufgaben, wie der Finanzierung von Gesundheit, Rente, Bildung und der staatlichen Grundsicherung. Schon allein aus ökonomischen Gründen bedeutet nachhaltige Infrastrukturentwicklung deshalb auch, sich auf das Notwendige zu beschränken. Wenn an einigen Stellen Kapazitätserweiterungen (zum Beispiel Autobahnen, Flussvertiefungen etc.) geplant werden, müssten gleichzeitig an anderen Stellen Redimensionierung und Rückbauten gegenüberstehen. Investitionen für die Instandsetzung und die Erweiterung von Infrastrukturen sollten dabei immer über den gesamten Lebenszyklus betrachtet werden, der in der Regel zwischen 40 und 100 Jahren liegt.

Nachhaltig braucht nachhaltige Infrastrukturen
Das Vorhandensein von Ressourcen wie Fläche, Energie oder Material ist die notwendige Voraussetzung für das Funktionieren des Stoffhaushaltes einer Gesellschaft. Ohne diese Ressourcen gibt es keinen Wohlstand. Und dennoch muss ihr Einsatz - insbesondere der von fossilen Kohlenstoffvorräten - massiv verringert werden, um ein nachhaltiges Deutschland in Europa zu gestalten. Gerade im rohstoffarmen Deutschland sind Wissensressourcen, wie Technologie, Information und auch Institutionen - ausschlaggebend für die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein Management von Ressourcen in drei Bereichen notwendig: Versorgung, Nutzung und Entsorgung. Nur eine wirksame Verknüpfung aller drei Bereiche führt zu einer wirksamen Ressourcenschonung. In Bezug auf Infrastrukturen bedeutet das, dass neue, ressourcenschonende Infrastrukturen nicht per se nachhaltig sind. Vielmehr muss in den Blick genommen werden, was sie neu schaffen, was sie ersetzen und wie sie geschaffen werden. Die Abwrackprämie von 2009, mit der Altfahrzeuge gegen neue, effizientere Fahrzeuge ausgetauscht wurden, war alles andere als nachhaltig, denn der entstandene Neuverbrauch an Rohstoffen hat einen nicht vorhandenen Bedarf gedeckt. Selbst das Umweltministerium hielt fest: Mitnahmeeffekte ergaben keinen zusätzlichen Umweltnutzen, vorgezogene Käufe allenfalls eine frühere Entlastung.

Herausforderung Wachstumsbegrenzung
Etwa 65 Prozent der anthropogenen Treibhausgase entstehen im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung, sei es durch Wohnungen, Büro- und Gewerbegebäude oder den Verkehr. Durch eine entsprechende Raumplanung kann die Zersiedelung und damit auch der Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen wie Boden und Energie eingedämmt werden. An dieser Stelle wird die Frage, um die man sich an anderer Stelle gerne herumdrückt, sehr relevant: Täglich werden in Deutschland rund 74 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Bis zum Jahr 2020 will die Bundesregierung den Flächenverbrauch auf maximal 30 Hektar pro Tag verringern. Mittelfristig müssten wir jedoch bei einem zusätzlichen Flächenverbrauch von 0 Hektar ankommen. Somit liegen Wachstum und Wachstumsrücknahme im Kern der Problematik um den Aufbau zusätzlicher Infrastruktur. Oder wie der Stadtplaner Thomas Sieverts es ausdrückt: Aus regionaler und ökonomischer Sicht ist bereits viel zu viel gebaut worden. Nachhaltige Infrastrukturplanung heißt deshalb zuallererst: Bevor ein Bauvorhaben geplant wird, muss man sich fragen, ob das Vorhaben überhaupt umgesetzt werden soll.

Nur gerechte Infrastrukturen sind nachhaltig
Die bestehende Infrastruktur deutscher Großstädte ist in der Regel alles andere als nachhaltig - und schon gar nicht gerecht: Wohngebiete mit hohen Luftschadstoffkonzentrationen haben in der Regel auch eine überdurchschnittlich hohe Verkehrsdichte. Gleichzeitig sind diese Gebiete gekennzeichnet durch einen niedrigen Einkommensstatus. Menschen mit geringen Einkommen sind damit in doppelter Hinsicht benachteiligt: Obwohl der eigene Motorisierungsgrad gering ist, müssen sie höhere Luft- und Lärmbelastungen sowie stärkere Unfallgefahren ertragen.

Notwendig zur Umsteuerung sind in erster Linie politische Maßnahmen, wie eine ressortübergreifende Zusammenarbeit von Stadterneuerung, Verkehrs-, Bau- und Umweltplanung, technische Optimierung der Fahrzeugtechnik in Bezug auf den Schadstoffausstoß und die Geräuschentwicklung, aber auch lebensstilorientierte Veränderungen der Verkehrsmittelwahl zugunsten eines geringeren Fahrtenaufkommens im motorisierten Individualverkehr.

Zentrale Ziele einer nachhaltigen Infrastrukturplanung sollten daher die Sicherung von Mobilität als Grundrecht und die Gewährleistung eines Zugangs zum Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) sein. Eine nicht angemessene Anbindung an den ÖPNV, bei gleichzeitig geringer eigener Motorisierung führt unmittelbar zu ungleichen Teilhabechancen am öffentlichen Leben. In Großbritannien sind Mindeststandards für den öffentlichen Verkehr formuliert worden, die Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und Akzeptanz des Angebots sicherstellen sollen. Die Maßnahmen umfassen dabei Aspekte wie einen barrierefreien Zugang zu Haltestellen, die Sicherstellung einer Haltestelle innerhalb von 400 Metern um die eigene Wohnung, aber auch die Erhöhung der Nachvollziehbarkeit von Fahrplänen, Fahrtkosten und Verbindungsmöglichkeiten.

Nachhaltige Infrastrukturen
Nachhaltige Entwicklung braucht nicht nur nachhaltige Technik, sondern auch einen Gesellschaftswandel. Nur beides zusammen ergibt die notwendige große Transformation. Die Infrastrukturentwicklung folgt derzeit noch einer ungebremsten Wachstumslogik, insbesondere im Straßenbau. Nötig ist jedoch, dass für den Aufbau nachhaltiger Infrastrukturen ein geringeres, qualitativ hochwertigeres Wachstum und auch gewisse Formen der Wachstumsrücknahme ihren Platz finden. Strukturen, die der Umwelt, der Lebensqualität oder dem sozialen Zusammenhalt schaden, müssen verhindert und rückgebaut werden. Das bedeutet Bauvorhaben vor ihrer Realisierung auf ihre grundsätzliche Notwendigkeit zu überprüfen.


Der Autor ist Mitglied im Präsidium des DNR, Stellvertretender Vorsitzender der Naturfreunde und Professor an der Fakultät Nachhaltigkeit der Leuphana Universität Lüneburg.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 2-3
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2014