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BUCH/608: Rob Hopkins - "Energiewende - Das Handbuch" (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 157 - August/September 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Das Gute kommt nicht von oben
Die Energiewende können nur die Bürger/-innen schaffen - jetzt auch mit Handbuch

Von Bruno Kern


Eigentlich wissen wir es alle: Das Erdölzeitalter geht zu Ende, und zwar in absehbarer Zeit. Der "Peak Oil", also das weltweite Fördermaximum, ist vermutlich schon überschritten, und bald werden die Reserven merklich knapper. Und auch die anderen fossilen Brennstoffe - vor allem Erdgas und Kohle - folgen dem Erdöl mit etwas Zeitverzögerung nach. Andererseits wissen wir auch, dass wir den Verbrauch von fossilen Brennstoffen möglichst rasch und radikal reduzieren müssen, wenn wir einen nicht mehr kontrollierbaren Klimawandel mit fatalen Folgen für den Großteil der Menschheit vermeiden wollen. Natürlich gibt es die "erneuerbaren Energien", auf die wir setzen müssen, und natürlich müssen wir die Energie effi zienter einsetzen als bisher. Aber das hat seine deutlichen Grenzen: Wir werden in Zukunft schlicht mit deutlich weniger Energie auskommen müssen.

Das Ende des fossilen Zeitalters wird unseren Alltag, die Art, wie wir leben, wie wir arbeiten, produzieren und konsumieren, völlig verändern. Was wir heute als selbstverständlich hinnehmen, wird es nicht mehr geben. Am Erdöl hängt so vieles, was unseren Alltag ausmacht: der Transport der Güter, die wir zum Leben brauchen, die Herstellung so vieler Dinge, die uns umgeben - von Kunststoffprodukten bis hin zu Medikamenten -, die heute so energieaufwändige Produktion unserer Lebensmittel ... das alles wird auf einmal nicht mehr selbstverständlich sein.

Die politisch Verantwortlichen stecken zum Großteil den Kopf in den Sand. Mit allen Mitteln versuchen sie, die Tatsache zu verschleiern oder herunterzuspielen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann und wird. Und es werden Illusionen gestreut: Viele möchten uns glauben machen, dass nur die Glühbirnen ausgewechselt werden müssen und ein anderer "Saft" in die Leitung oder in den Tank kommt. Damit lügt man sich in die eigene Tasche und verspielt die Chance, realistische Lösungen in Angriff zu nehmen.


Städte nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand

Deshalb sollten wir unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen, uns auf die neue Situation vorbereiten und rechtzeitig dafür sorgen, dass wir auch nach dem Ende des fossilen Zeitalters noch gut und glücklich leben können.

Es gibt eine weltweite Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass die Bürger/-innen einer Stadt ihr Schicksal selbst gestalten und ihr Gemeinwesen für die Zukunft rüsten und widerstandsfähig machen. Sie entdecken dabei erstaunliche Fähigkeiten und Ressourcen, von denen sie selbst noch keine Ahnung hatten. Diese sogenannte Transition-Town-Bewegung nahm in England ihren Anfang und breitet sich auch in Deutschland allmählich aus. Berlin-Friedrichshain und Bielefeld haben bei uns den Anfang gemacht. Die Menschen selbst entwickeln Fantasie und ergreifen Initiativen, schaffen eigenverantwortlich die Grundlagen für ein gutes Leben und Zusammenleben nach dem Ölzeitalter.

Das betrifft zum Beispiel die Ernährung. Wir werden uns auf eine Versorgung im Nahbereich, aus der unmittelbaren Region verlassen müssen, und die Strukturen dafür müssen jetzt schon aufgebaut werden. Hier geht es zum Beispiel um Verbraucher-Erzeuger-Genossenschaften, aber auch um das Anlegen von Gemeinschaftsgärten und vieles mehr.

Das betrifft weiter die Versorgung mit Wärme, mit Elektrizität, den Transport und die Mobilität ohne fossile Treibstoffe. Das betrifft eine möglichst breite Selbstversorgung mit Gebrauchsgütern nach dem Ende unserer Wegwerfgesellschaft, das betrifft den Umgang mit unseren "Abfällen", den Aufbau möglichst geschlossener Stoffkreisläufe, in denen der Abfall der einen der wertvolle Rohstoff für die anderen ist.


Ein Handbuch für Kopf, Herz und Hand

Das Handbuch von Rob Hopkins ist mehr als eine bloße Lektüre. Es ist eines der Instrumente der Energiewendebewegung von unten. "Kopf", "Herz" und "Hand" - so sind die drei großen Teile des Buches überschrieben.

Der erste Teil (Kopf) ist der Situationsbeschreibung gewidmet. Im Gegensatz zum heute herrschenden (pseudo-)ökologischen Mainstream, der technische Lösungen herbeifantasiert, um unsere Situation schönzureden, wird hier sehr nüchtern das Szenario einer nahen Zukunft ohne fossile Energiequellen entworfen. Erst dieser ehrliche Blick auf die Realität macht es möglich, die Handlungsperspektiven klar ins Auge zu fassen, anstatt sich weiter Illusionen hinzugeben. "Resilienz" lautet hier das entscheidenden Stichwort. Man kann es etwa mit "elastische Widerstandsfähigkeit" übersetzen. Dabei geht es um die Frage, wie sich eine Kommune rüsten kann für die postfossile Zeit, wie sie ein gutes Leben sicherstellen kann. Gut begründet wird in diesem Teil des Buches auch, warum genau diese Handlungsebene von unten so entscheidend ist.

Im zweiten Teil (Herz) werden die positiven Visionen entwickelt. Dieser Teil ist geeignet, die herrschende Lähmung überwinden zu helfen. Er knüpft an bereits durchgemachte Erfahrungen an und zeigt für die wichtigsten Lebensfelder wie Wohnen, Ernährung, Gesundheit und Verkehr auf, wie wir leben - und nicht nur überleben - können. Dieser Teil ist höchst motivierend. Der inhaltlichen Seite entspricht auch die Gestaltung dieses Teils: Fiktive Zeitungsberichte aus der Zukunft oder ein Rückblick aus dem Jahr 2030 auf die Energiewende sind hilfreich, um aus der Befangenheit der Gegenwart herauszuführen.


Nicht schematisch anwenden

Der dritte Teil (Hand) widmet sich der Frage, wie man konkret in seiner eigenen Kommune eine Energiewendebewegung initiieren und zum Erfolg führen kann. An dieser Stelle habe ich allerdings Zweifel. Beginnend mit der Initialzündung einer Initiativgruppe, wird in zwölf Schritten aufgezeigt, wie vorgegangen werden kann, um immer breitere Bevölkerungskreise und Handlungsebenen wie zum Beispiel die Kommunalpolitik einzubeziehen. Für die Bewusstseinsbildung und die Durchführung von Veranstaltungen werden konkrete Methoden propagiert. Aus den bisherigen Erfahrungen mit einzelnen Kommunen ist ein Schema entstanden, das zwar hilfreiche Ansatzpunkte bietet, das meiner Meinung nach jedoch sehr fl exibel angewandt werden muss. Das fängt schon mit der Größenordnung der einzelnen Kommunen an. Aber auch andere Faktoren können je nach Situation sehr unterschiedlich sein, zum Beispiel, welche Initiativen oder Ansätze solidarischer Ökonomie bereits existieren. Ich hätte mir gewünscht, dass ein solches Handbuch ausdrücklich darauf hinweist, dass die vorgeschlagene Vorgehensweise kein starres Schema ist. Der Wert der aufgeführten "Schritte" besteht immerhin darin, auf einige wichtige Elemente hinzuweisen, die wohl ganz allgemein gelten: die zentralen Themen, die zu bearbeiten sind; der von Anfang an partizipatorische Ansatz; die Notwendigkeit, der Phase der Bewusstseinsbildung bald konkrete praktische Projekte wie zum Beispiel Gemeinschaftsgärten folgen zu lassen.

Natürlich enthält das Handbuch in einem Anhang die wichtigsten Internetadressen, um sich weiter zu informieren. Auf bereits bestehende Initiativen in Deutschland wird ebenso hingewiesen wie etwa auf Kursangebote. Ein Buch also, das nicht nur Leser und Leserinnen, sondern engagiert Handelnde sucht, ein Kompass für eine ganz entscheidende Bewegung und eine praktisch-handfeste Antwort auf die technikgläubigen Illusionisten, die zurzeit mit Elektroautos spielen.

Der Rezensent ist Mitbegründer der "Initiative Ökosozialismus" (www.oekosozialismus.net).


Rob Hopkins: Energiewende - Das Handbuch.
Anleitung für zukunftsfähige Lebensweisen
Verlag Zweitausendeins
Frankfurt/M. 2010
240 Seiten, 19,80 Euro
ISBN 978-3-86150-882-3

Weitere Informationen zu Energiewende und "Transition Towns":
www.energiewende.wordpress.com
www.transitiontowns.org/Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 157, August/September 2010
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010