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BILDUNG/404: Neu im Kino - "Plastic Planet" über die Risiken von Plastik (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 154 - Februar/März 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Die Geister, die wir riefen
Neu im Kino: "Plastic Planet" über die Risiken von Plastik

Von Angelika Nguyen


Wir sind umzingelt. Es ist in unseren Zahnbürsten, Brotdosen, Einkaufstüten, Trinkflaschen, Käseverpackungen, Laptops, Lampen, Stromleitungen, Möbeln. Babynuckeln, Spielzeugautos, Pressemappen. Die Gefahr ist bunt, pflegeleicht, abwaschbar, formbar. Plastik.

Vor über 50 Jahren trat der Kunststoff seinen Siegeszug durch die Konsumwelt an - und sitzt seitdem in jedem Haushalt. Doch seit einigen Jahren bröckelt das Image des Universalstoffes. Es ist von Giften die Rede, Chemikalien, die über Packungen und Behälter in die Nahrung gelangen. Auch verseucht Plastik als nahezu unrecycelbarer Stoff unsere natürliche Umwelt.

Regisseur Werner Boote beginnt seinen umweltkritischen Film "Plastic Planet" sehr persönlich. Ein kleiner Steppke, vier, fünf Jahre alt, rennt in 8-mm-Familienfilmen aufgeregt umher, denn er bekommt vor laufender Kamera andauernd Geschenke - Spielzeugautos, Buddelschaufel, einen bunten Kinderrecorder, Badetiere. Die Spielsachen haben alle eins gemeinsam: sie sind aus Plastik.

Der kleine Steppke ist Werner Boote. Die Spielsachen waren Geschenke seines Großvaters. Der Regisseur begibt sich in seinem Film auf eine ganz eigene lange Reise, vom Kind des Plastikalters hin zum kritischen Beobachter und Analysten der gesundheitlichen und ökologischen Gefahren von Plastik. Am Ende des Films steht Werner Boote mit Megaphon in einem Supermarkt und warnt die Kunden auf eigene Faust vor der bunten Gefahr.

Werner Boote ist Jahrgang 1965. Plastik kam damals groß in Mode. Es galt nicht nur als schön und praktisch, sondern auch als Symbol des Fortschritts. Wer immer noch Holzmöbel besaß, konnte es sich meist nur noch nicht leisten, zur Kunststoffwohnwelt zu wechseln. Der Großvater vom kleinen Werner kam an Produkte dieses futuristischen Universalstoffes besonders gut heran, war er doch Geschäftsführer der Interplastikwerke. Der persönliche Ton bewahrt den Film davor, uns mit Fakten zu erschlagen. Bei aller Brisanz bleibt er leicht, temporeich, auch humorvoll. Nie wird er belehrend. Der Regisseur zeigt seine Betroffenheit angesichts der hohen Konzentration von Bisphenol A im eigenen Blut, das zeugungsunfähig machen kann. Bisphenol A ist eine Chemikalie, die Östrogen imitiert. Sie wird zur Herstellung von Plastik verwendet. Babynuckel mit BSA wurden bereits zurückgerufen. Umweltschützer kämpfen für ein Verbot.


Recherchen rund um die Welt

Der Film reist rund um die Welt, begibt sich in sehr verschiedene Bereiche und Orte. Verseuchungsskandal in einer PVC-Fabrik in Venedig, Plastiktüten in der Sahara, verbotene Weichmacher in Shanghai, Plastikberge auf einer Müllkippe in Kalkutta, Pseudoplankton aus Kunststoff im Pazifik, Silikonbrüste bei einem Schönheitschirurgen in Beverly Hills. Werner Boote spricht mit Lobbyisten der Kunststoffindustrie genauso wie mit Umweltforschern und Chemikern. Das gibt nicht immer nur nette Begegnungen. So sind wir dabei, als Werner Boote den damaligen Präsidenten von Plastics Europe, John Taylor auf einer Messe verfolgt, um ihm hunderte Studien über die Schädlichkeit von Plastik - in Plastikordnern geheftet - zu überreichen.

Die wahre Zusammensetzung von Plastik ist so geheim, dass die Industrie selbst nicht zu Prozent weiß, was sie da produziert. Plastik ist eine giftige Zeitbombe.


Ökofilme aus Österreich

Österreich entwickelt sich zum Land der Avantgarde politisch verantwortungsvoller Öko-Regisseure. Wie sein Landsmann Erwin Wagenhofer mit dem erfolgreichen Film "We Feed The World" die industrielle Lebensmittelherstellung global durchleuchtete, so geht der Wiener Werner Boote dem unguten Gefühl nach, das er zunehmend hat, wenn er Plastik in den Händen hält.


Das Experiment von Graz

Der Film "Plastic Planet", seit September 2009 ein großer Publikumserfolg in Österreich und ab 25. Februar in deutschen Kinos zu sehen, hat auch ganz erfreuliche Folgen. Aus dem fatalen Gefühl der Ohnmacht gegenüber der globalmächtigen Kunststoffindustrie heraus, mit dem viele Zuschauer aus dem Film hinaus gehen, hat eine Familie namens Krautwaschel in Graz ihren kompletten Haushalt auf plastikfrei umgestellt. Es war möglich, trotz einiger Schwierigkeiten.

Die Krautwaschels machen diesen Versuch auch für uns. Denn unser größter Feind, zeigt diese experimentierfreudige Familie, ist mehr noch als alle Kunststoffbosse der Welt - unsere Gewohnheit. Sensibler sei er geworden, sagt Werner Boote, er gehe aufmerksamer durch die Supermärkte, achte darauf, Plastik zu reduzieren.

Kein Zauberer kann uns helfen, die bösen Geister des einstigen Fortschrittmaterials zu vertreiben. Wir können selbst damit anfangen. Es muss ja nicht gleich der komplette Haushalt sein.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Rikschafahrer mit Plastikmüll
- Regisseur Werner Bote (r.) mit giftigem Plastikglobus aus Shanghai
- Plastik im Supermarkt

Anmerkung der SB-Redaktion: Ein Schwerpunkt zum Thema "Plastik Planet" aus dem Robin Wood-Magazin ist im Schattenblick unter www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Industrie → CHEMIE/236-242 zu finden sowie weitere Beiträge zum Thema unter dem gleichen Index...


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 154, Februar/März 2010, S. 23
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2010