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KOHLEALARM/061: Klimakampf und Kohlefront - Lasst die Kirche im Dorf! (Lea Suhr)


Entweihung der St. Lambertus Kirche in Immerath

von Lea Suhr



In Immerath, einem Stadtteil von Erkelenz im Kreis Heinsberg in Nordrhein Westfalen, wurde am 13.10. um 14:30 Uhr die Kirche St. Lambertus offiziell entweiht. Der Ort liegt im geplanten Braunkohletagebau Garzweiler und wird seit 2006 umgesiedelt.

Schützenspalier vor dem Kircheneingang - Foto: © 2013 by r-mediabase / Udo Slawiczek - www.r-mediabase.eu

Vor Beginn des Abschiedsgottesdienstes
Foto: © 2013 by r-mediabase / Udo Slawiczek
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Schon eine Stunde vor Beginn des letzten Gottesdienstes hatten sich mehrere hundert Menschen aus der gesamten Umgebung in der etwa 122 Jahre alten Kirche versammelt, darunter viele Pressevertreter_innen, unter anderem von der französischen Tageszeitung "leParisien", die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft Immerath in voller Tracht sowie Aktivist_innen - sowohl aus dem wiederbesetzten Hambacher Forst nahe Morschenich, als auch vom seit mehr als anderthalb Jahren gehaltenen Prostestcamp, welches sich direkt daneben auf einer Wiese am Waldrand befindet. Kurt Claßen, der Eigentümer dieser Wiese, war ebenfalls unter den Besuchern und hängte Protestplakate an seinem Auto auf. Eigentlich hatte er angedacht, sie auf den Außenwänden des Kirchengebäudes anzubringen, doch wollte er zuvor die Zustimmung des Pfarrers einholen. Dieser hörte ihn allerdings gar nicht erst an, sondern verwies ihn direkt der Kirche, ließ ihn sogar von einem Kirchendiener abführen. Womöglich eine Kurzschlussreaktion auf einen Brief, den Herr Claßen dem Bischof von Aachen und dem Pfarrer von Immerath am Tag zuvor hatte zukommen lassen und in welchem er sie begründet dazu auffordert, die Entweihung ebenfalls zu boykottieren, bis klar sei, ob sich bisherige Gerüchte über eine mögliche Schließung von Garzweiler halten lassen würden. Claßen, selbst überzeugter Christ, der ähnlich repressives Verhalten sonst nur durch die Polizei erlebt hatte (so Ende November 2012, als er in Handschellen von seiner eigenen Wiese, dem heutigen Protestcamp, geführt wurde), äußerte seine Empörung und seine Enttäuschung gegenüber der katholischen Kirche. So schreibt er in einem Rundbrief: "[...] dem NRW-Regime des Polizei-, Fiskal- und Staatsterrors hat sich jetzt auch die katholische Kirche angeschlossen. Wenn dies schon am grünen Holze geschieht ... Quo vadis, Rechtsstaat NRW".

Claßen verwies auch auf die Abhängigkeit zwischen den beiden Tagebauen Garzweiler und Hambach und sagte, dass aufgrund von 'Kohlequalitätsunterschieden' und Kapazitätsbeschränkungen nach Angaben des Konzerns die Kohle aus dem einen Tagebau nicht ohne das Beimischen der Kohle des anderen Tagebaus sinnvoll genutzt werden könne.

In der Begrüßungsansprache in der vollen Kirche wurde auch die anwesende Delegation der RWE Power AG erwähnt, was für einen Moment ein deutlich hörbares Murmeln in der Menge aufkommen ließ. Pfarrerin Elke Schnieder, die nicht anwesend sein konnte, ließ Grußworte überbringen, in denen sie den von der Umsiedlung betroffenen Menschen Wut, Mut und Leute, die Hoffnung bringen, wünschte.

Außenansicht von St. Lambertus - Foto: © 2013 by r-mediabase / Udo Slawiczek - www.r-mediabase.eu

Seit mehr als 120 Jahren ein Ort der Zuversicht: der 'Dom von Immerath'
Foto: © 2013 by r-mediabase / Udo Slawiczek
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Der leitende Pfarrer Werner Rambach erinnerte an die Einweihung 1891 und dass nun "Gemeinwohl vor Eigenwohl" stehen müsse. Diese Aussage kann zumindest zur Debatte gestellt werden, wenn man nicht an eine Wachstumslogik glaubt, bei der es nur um steigende Gewinne und einen vermeintlichen Fortschritt geht, der lediglich Energiekonsum, Technisierung und Ausbeutung der Lebensgrundlagen bedeutet.

Pfarrer Günther Salentin berichtete im Anschluß vom gemeinschaftlichen Wiederaufbau der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg und von über 30 Jahren entschiedener Gegenwehr zum Tagebau. Doch aller Widerstand war zum Scheitern verurteilt gegenüber einer Übermacht von Politik, Wirtschaftswachstum und Profitinteresse. Nun wird vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geprüft, inwieweit ein 'Recht auf Heimat' besteht. Gut wäre laut Pfarrer Salentin, wenn bei einer zukünftigen Rechtsprechungung nicht der Profit, sondern das Wohl der Menschen im Vordergrund stünde.

Dann erzählen Immerather Bürger_innen von den eigenen Erinnerungen an ihre Kirche. Die Eltern des zuletzt getauften Kindes, eines der letzten Kommunionskinder, eine Messdienerin und Pfadfinderin verabschiedeten sich. Einem Vertreter der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft kamen die Tränen, während er seine Rede hielt. Der gesandte Domkapitular des Bistums Aachen, Rolf-Peter Cremer, löschte das "ewige Licht", das letzte Gebet wurde gesprochen, die Entwidmungsurkunde verlesen, nach der die Kirche von Immerath nun offiziell und nach dem Gesetz kein heiliger Ort mehr ist. Sie gehört jetzt voll und ganz der RWE, welche sie vor einigen Jahren gekauft hatte.

Eine neue Kirche soll nach dem Willen des Bistums Aachen, trotz des Wunsches der Bevölkerung, am Umsiedlungsort nicht mehr entstehen. Am neuen Ort wird eine Kapelle gebaut, Messkelche, Hostien und die beiden Kirchenglocken aus dem 15. und 17. Jahrhundert sollen mit umziehen.

Protestpalakate auf einem Auto: 'Entwidmung heute? Nein, nein und nochmals nein!!!' - 'Gegen den Teufel! Für Gott!' - 'Garzweiler: Des Teufels Werk!' - 'RWE... ein Fall für den Staatsanwalt?!?!' - Foto: © 2013 by r-mediabase / Udo Slawiczek - www.r-mediabase.eu

Deutliche Proteste
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Als alle die Kirche verlassen hatten, hingen die Protestplakate von Kurt Claßen doch - und wurden von zahlreichen Menschen gelesen und diskutiert. Gut anderthalb Stunden gab es vor und in der Kirche Kaffee und andere Getränke, es wurden Gespräche geführt und Interviews gegeben, bevor sich nach und nach die Reihen der Besucher_innen lichteten.

Nach dem Ablaufplan der RWE sollen die Bagger Immerath bereits 2017 erreicht haben. Der Ort wird dann in dem 110km² großen Tagebau Garzweiler verschwinden, so wie dies davor schon bei 14 weiteren Dörfern geschehen ist. Vor 26 Jahren, 1987, erfuhren die Immerather, dass sie ihr Zuhause verlassen sollen, das Dorf, wo viele aufwuchsen und noch im hohen Alter leben. Denn das will die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG (RWE Power AG) so und das Bergrecht erlaubt es ihr. Dieses Gesetz wurde 1944 vor allem zur Begünstigung der kriegswirtschaftlichen Interessen geändert, sodass alle unüblichen Bodenschätze wie Kohle, Erdöl, Gas, Metall, etc. nicht automatisch dem oder der Grundeigentümer_in gehören, sondern frei sind. Da zu damaligen Zeiten Ressourcen wie Kohle und Metall unverzichtbar für die Kriegsführung der Nazis waren, wurde das allgemeine Preußische Berggesetz von 1865 zu Gunsten der freien Förderung geändert, wodurch ein Gesetz, welches die Enteignung möglich und legal machte, unerlässlich wurde.

Vor einer Woche sind nun Überlegungen seitens der RWE nach außen gedrungen, Europas größten Tagebau, Garzweiler (Achtung: Tiefe Garzweiler: 160m bei 110km², Tiefe Hambach: 550m bei 82km²), vorerst zu schließen. Aufgrund der starken Nachfrage nach alternativen Energiegewinnungsmöglichkeiten und dem immer breiter werdenden Angebot von Wind- und Solarenergie fallen die Preise an der Strombörse stetig, so dass immer weniger Kohlekraftwerke am Netz sind. Auch die wachsende Kritik an dieser schmutzigen Art der Energiegewinnung und die neu aufgekommene Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des Bergrechts, das derzeit am Bundesverfassungsgericht geprüft wird, machen Braunkohle immer unrentabler. Aufgrund der Berichte über eine mögliche verfrühte Schließung verkündete der Bürgermeister von Erkelenz, die Umsiedlungpläne vorerst zu boykottieren. RWE hingegen rudert nach der Berichterstattung zurück und behauptet, es gäbe keine konkreten Pläne zu einer Schließung von Garzweiler.


15. Oktober 2013