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GEFAHR/035: Brandsatz Fukushima - Soziale Manipulation und Gefährdungsverblendung ... (SB)


Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Der japanischen Regierung ist es gelungen, die kritische Berichterstattung über die Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi weitgehend aus den Medien herauszuhalten. In der im Nordosten des Landes gelegenen Anlage waren am 11. März 2011 nach einem Erdbeben und anschließendem Tsunami vier von sechs Kernreaktoren zerstört worden, Kernschmelzen setzten ein. In den nächsten Stunden ereigneten sich in drei dieser Anlagen Wasserstoffexplosionen, im vierten Meiler fingen die Brennstäbe in einem leck geschlagenen Abklingbecken Feuer. Seitdem strömten den offiziellen Angaben zufolge täglich 400 Tonnen teils hochradioaktives Wasser ungefiltert ins Meer. Trotz diverser Schutzmaßnahmen (Eiswall rund um das havarierte Akw, Grundwasser-Bypass von oberhalb der Anlage zum Meer, Stahlspundwand am Hafenbecken) sind es noch immer 150 Tonnen täglich. Das ist keine Kleinigkeit.

Zum einen handelt es sich um Grundwasser, das von den Bergen kommend in die zerrütteten Fundamente der Meiler eindringt, Radionuklide aufnimmt und weiter unterirdisch ins nahegelegene Meer fließt. Zum anderen müssen die havarierten Meiler ständig mit Wasser gekühlt werden. Nur ein Teil des Lösch- und Grundwassers wird abgefangen, durch die Dekontaminationsanlage ALPS geschickt und in Tanks auf dem Gelände gelagert.

Darüber hinaus wurden weite Landstriche auf dem Luftweg verstrahlt. Japan hatte gewaltiges Glück gehabt, daß der Wind die radioaktiven Wolken, die sich vor allem in den ersten Tagen nach Beginn der Katastrophe bildeten, nur kurze Zeit in Richtung Tokio geweht, dann aber gedreht und die Strahlenpartikel in Richtung Meer befördert hat. Dessen ungeachtet mußte die Regierung eine Sperrzone rund um das Akw Fukushima Daiichi von zunächst 20 Kilometer einrichten. Sie wurde dann auf 30 Kilometer erweitert. Wobei sich die Strahlung nicht an die mit dem Zirkel gezogene Evakuierungszone gehalten hat.

Weite Gebiete außerhalb der Sperrzone wurden ebenfalls verstrahlt. Wer dort gewohnt hat, hat möglicherweise Pech gehabt, denn im Gegensatz zu den aufgrund behördlicher Anordnung evakuierten Menschen, kamen die "freiwillig" Evakuierten nicht in den gleichen Genuß entsprechender staatlicher Kompensationszahlungen. Sie erhielten, wenn überhaupt, eine geringere Entschädigung. Diese Zahlungen wurden im März 2017 eingestellt.

Inzwischen übt die Regierung massiven Druck auf die Evakuierten aus, wieder in ihre mutmaßlich dekontaminierte Heimat zurückzukehren. Die Evakuierungsanordnung wurde für einige Gebiete innerhalb der Sperrzone aufgehoben. Angeblich ist dort die Strahlung so weit abgeklungen, daß sie unterhalb der Grenzwerte liegt. Das erweist sich jedoch weitgehend als Wunschdenken.

Erst vor kurzem hat der UN-Sonderberichterstatter für gefährliche Stoffe und Abfälle, Baskut Tuncak, in einem Bericht an die UN-Generalversammlung in New York die japanische Regierung aufgefordert, die Rückkehr von Kindern und Frauen im gebärfähigen Alter in jene Gebiete zu stoppen, die höher verstrahlt sind als die Grenzwerte es zuließen, die vor der Fukushima-Havarie in Japan gegolten haben. Es sei äußerst besorgniserregend, daß die Regierung die Grenzwerte der radioaktiven Belastung um das 20fache von zuvor 1 Millisievert pro Jahr (1 mSv/a) auf 20 mSv/a angehoben hat, schreibt Baskut Tuncak und sagt: "Es ist enttäuschend zu erleben, daß Japan die Empfehlung des UN-Menschenrechtsüberwachungsmechanismus (UPR) aus dem Jahr 2017, zu dem zurückzukehren, was es vor der Atomkatastrophe für eine akzeptable Strahlendosis angesehen hat, zu ignorieren scheint." [1]

Die Empfehlung war von Deutschland vorgebracht worden und Japan hatte zugestimmt, sie anzunehmen. Doch daraus ist anscheinend nichts geworden. In der Bundesrepublik und anderen EU-Mitgliedsländern gilt ein Grenzwert von 1 mSv/a, wohingegen 20 mSv/a nur für Personen zulässig ist, die von Berufs wegen strahlenexponiert sind.

Der UN-Menschenrechtler sagt, Japan habe die Pflicht, die Kinder zu schützen, denn es habe die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet und die schreibe vor, daß Kindern der höchstmögliche Schutzstandard zu gewährleisten ist. Die vermeidbare Strahlenexposition müsse auf ein Minimum reduziert werden.

Indem die Regierung Japans die Evakuierungsanordnung Schritt für Schritt, Gebiet für Gebiet aufhebt, erweckt sie den Eindruck, als machten die Dekontaminationsarbeiten Fortschritte oder als klinge die Strahlung mit der Zeit ab. Beides trifft jedoch nur sehr bedingt zu. Erstens werden zuvor dekontaminierte Flächen durch Wind und Wetter erneut verstrahlt, und man kann nicht nach jedem Regenguß abermals die obersten 20 Zentimeter der Erde abtragen. Zweitens werden die ausgedehnten Waldgebiete der Präfektur Fukushima gar nicht erst von Radionukliden befreit. Die Dekontaminationsarbeiten beschränken sich auf die Siedlungsgebiete und die Flächen im Abstand von rund 20 Meter um sie herum sowie einige Verkehrswege. Drittens sind viele der Radionuklide langlebig. Cäsium-137 zum Beispiel hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren, Strontium-90 von 28,5 Jahren - auf den physikalischen Effekt des natürlichen Atomzerfalls können die Menschen in Fukushima lange warten.

Selbst die am stärksten verstrahlten Flächen sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre freigegeben werden. Doch bereits im Jahr 2020 finden in Japan die Olympischen Sommerspiele statt. Bis dahin dürfte die japanische Regierung noch einige Anstrengungen unternehmen, um mehr Menschen in die vormalige Evakuierungszone zu nötigen. Denn bisher verläuft die Rückkehr eher harzig, das durch zahlreiche Beispiele genährte Mißtrauen der Menschen gegenüber den Machenschaften von Staat und Nuklearwirtschaft, deren mafiös anmutende Kooperation in Japan als "das Dorf" umschrieben wird, läßt sich mit noch so wohlfeilen Worten nicht aus der Welt schaffen.


Fußnote:

[1] https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=23772&LangID=E

5. November 2018


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