Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ARTENSCHUTZ

VÖGEL/622: "Teufelsvögel" - Mauersegler in Wohnungsnot (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2010

"Teufelsvögel": Mauersegler in Wohnungsnot

Von Sarah Niemann


Historische Überlieferungen belegen, dass Mauersegler in Großbritannien seit jeher in der Nähe der Menschen zu finden waren, wo sie in künstlichen Gebäudehöhlen Möglichkeiten zum Nestbau fanden. In den letzten 15 Jahren ist der Mauerseglerbestand auf der Insel jedoch um fast ein Drittel zurückgegangen. Die Gründe hierfür liegen höchstwahrscheinlich in der Wohnungsnot für Mauersegler durch moderne Bauweisen. Seit dem Jahr 2008 soll den Mauerseglern durch Aufklärungsarbeit und eine groß angelegte Aktion zur Erfassung ihrer Vorkommen geholfen werden.


*


In der britischen Mythologie wurden dem Mauersegler einst viele volkstümliche Namen angedichtet, so z."Devil bird" (Teufelsvogel), "Devil´s bitch" (Teufelsbraut), "Screamer" (Kreischer) und ähnliche. Das schwarze Federkleid, zusammen mit außerirdisch anmutenden Rufen, verleitete das einfache Volk dazu, die Vögel mit dem Teufel in Verbindung zu bringen. Im Gegensatz zu volkstümlichen Bezeichnungen für andere Vogelarten sind die Namen für den Mauersegler in Großbritannien heutzutage fast vergessen, ein Zeichen dafür, dass es nie wirklich ernst gemeint war mit dem "Vogel des Teufels". Als Träger solch schlechten Zeichens hätten die Menschen Mauersegler wohl auch nie unter den Dächern ihrer Häuser geduldet.

Der wissenschaftliche Name Apus apus hat seine Wurzeln in einem anderen Volksglauben: Mauersegler besitzen winzige Füße, wurden aber lange als Vögel ohne Füße angesehen (Griech.: apus = Fuß los). In der britischen Wappenkunde wird dieser Begriff weitergeführt: Häufig ist ein martlet, ein stilisierter fußloser Vogel ähnlich einem Mauersegler oder einer Rauchschwalbe, auf den Giebeln von hoch angesehenen Institutionen beispielsweise in der Universitätsstadt Oxford zu finden. Der Ursprung für dieses Symbol liegt vermutlich in der traditionellen Erbrangfolge begüterter Familien. Der älteste Sohn erbte das Gut, der zweite und dritte Sohn traten der Kirche oder den Streitkräften bei. Ein vierter Sohn hatte keine Rolle und keinen Besitz zu übernehmen, er konnte nirgendwo "Fuß fassen", sondern musste sich selbst etwas aufbauen (martlet lässt sich vielleicht am besten mit "ohne Markt" übersetzen). Martlet repräsentiert harte Arbeit und Beharrlichkeit sowie den Drang nach Wissen.

Die Lebensweise der Mauersegler war tatsächlich lange ein Geheimnis. Im 18. Jahrhundert brütete Gilbert White, einer der frühen, großen Naturforscher Englands, über der Theorie des Vogelzuges, die zur damaligen Zeit noch in den Kinderschuhen steckte. Die meisten Menschen glaubten damals, dass Mauer­segler und Rauchschwalben den Winter im Schlamm am Boden von Teichen verbringen würden. Trotz seiner erhellenden Ideen zum Vogelzug war auch Gilbert White nicht ganz überzeugt und ließ im Schlamm graben - möglicherweise waren die Vögel ja doch dort zu finden.



Mauersegler heute

Trotz ihrer Nähe zu Menschen und ihren auffälligen, schrillen Schreien waren die Mauersegler der breiten Öffentlichkeit in Großbritannien lange Zeit eher unbekannt. Hinzu kommt für Viele noch die Schwierigkeit, Mauersegler, Rauch- und Mehlschwalben unterscheiden zu können. Ganz allgemein sind Vögel als Mitbewohner unter dem Dach häufig nicht willkommen, aus Gründen der Hygiene oder Lärmbelastung. Mauersegler scheinen jedoch die geringsten Bedenken auszulösen, vielleicht weil die Tiere wenig hinderlich sind und durch ihren Kot oder Nistmaterial keine Verschmutzungen verursachen. Manche Menschen sind sogar regelrecht von dieser geheimnisumwobenen Vogelart fasziniert, die so offensichtlich Teil der Siedlungen und Städte ist. Die Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), BirdLife Partner in Großbritannien, erhält jedes Jahr zahlreiche Anfragen zu Vögeln, Gärten und anderen Naturschutzthemen im besiedelten Bereich. Anrufe zu Mauerseglern sind recht häufig, dabei geht es vor allem auch um den Verlust oder die Gefährdung von Brutkolonien.

Obwohl die Bestandszahlen der Mauersegler europaweit gesichert scheinen, sind in Teilen seines Verbreitungsgebietes lokal Bestandsabnahmen zu verzeichnen. Neueste Untersuchungen bestätigten, dass beispielsweise der Brutbestand der Art in Großbritannien in den Jahren 1995-2007 um 29 % zurückging. Die Gründe für diese Bestandsabnahmen sind noch nicht geklärt, u. a. könnten Gefährdungen auf dem Zugweg oder in den Überwinterungsgebieten dafür verantwortlich sein. Sicher ist jedoch, dass zahlreiche Nistmöglichkeiten durch den Abbruch oder die Renovierung von Gebäuden zerstört werden oder beim Bau neuer Häuser einfach nicht vorhanden sind. Mauersegler sind nur während der Brutzeit für weniger als drei Monate in Großbritannien anwesend. Häufig werden ihre Nistplätze außerhalb dieser Zeit zerstört, ohne dass dies überhaupt bemerkt wird. Aus ganz Europa ist bekannt, dass lang genutzte Kolonien verloren gehen. Unklar ist bisher, wohin sich die heimatlosen Mauersegler wenden, ob sie neue Brutmöglichkeiten ausfindig machen oder das Brüten, zumindest für die nächste Saison, ganz aufgeben.



Öffentlichkeitsprojekt: Mauersegler-Erfassung

Schon seit einigen Jahren bieten Mauersegler-Experten und Naturschützer in Großbritannien Informationen und Rat zu Mauerseglern und deren Brutstandorten. Nicht zuletzt sollten die Vogelart und ihre Wohnungsnot bekannter gemacht werden. Zu diesem Zweck starteten die sogenannten Swift-Groups (Arbeitskreise Mauersegler) im Jahr 2008 in Zusammenarbeit mit der RSPB eine Initiative, bei der landesweit Daten zu bestehenden Brutkolonien gesammelt wurden, um Bauunternehmer, Behörden vor Ort sowie die breite Öffentlichkeit entsprechend auf die Mauersegler aufmerksam zu machen. Im Frühjahr 2009 wurde die Bevölkerung in einer groß angelegten Medienaktion aufgerufen, Brutstandorte und Beobachtungen von um die Dächer fliegenden Gruppen von Mauerseglern online zu melden. Der Grundstein eines nationalen, Internet basierenden Citizen Science Projektes zum Brutbestand der Mauersegler in Großbritannien war gelegt.

Die Reaktion von Öffentlichkeit und Medien war überwältigend. Bisher gingen 18 Beobachtungen ein, in den kommenden Jahren werden noch zahlreiche weitere Meldungen erwartet. Die Mauersegler-Schützer erhoffen sich mithilfe der Daten Einfluss bei der Umgestaltung von Gebäuden mit bestehenden Kolonien sowie bei der Bereitstellung geeigneter Nistmöglichkeiten in Neubauten nehmen zu können. Zukünftig sollen auch Standorte für mögliche Neukolonisationen in der Datenbank aufgenommen und die Entwicklungen vor Ort intensiv beobachtet werden.


Sarah Niemann studierte Zoologie und arbeitet für die britische Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) im Bereich Artenschutz. Sie interessiert sich vor allem für Vögel sowie andere Tier- und Pflanzengruppen in Gärten und im Siedlungsbereich.


Weitere Informationen:
www.rspb.org.uk/helpswifts
www.swift-conservation.org/
Kurzfilm unter: www.youtube.com/watch?v=ORjadLIj6pk
www.lbv.de/artenschutz/voegel/mauersegler/lebensraum.html


Dachwohnungen für Luftikusse in Frankfurt am Main

Die "Frankfurter-Segler-Initiative" - ein Zusammenschluss einzelner Mitglieder des BUND und NABU - zählt, mit Unterstützung der Vogelschutzwarte, der Zoologischen Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Mauersegler e. bereits seit dem Jahr 2003 gezielt Mauersegler und ihre Nistplätze in Frankfurt am Main. Nach dem Motto "So wie eine Dachrinne, gehört ein Mauersegler-Nistplatz an jedes Haus" wurden in den Jahren 1989 bis 2009 1101 Mauerseglerkästen angebracht, fast die Hälfte davon als Einbauten. Traditionell suchen Mauersegler nach Nistmöglichkeiten in den Sims- oder Traufkästen unter den Dachrinnen. Mauerseglerkästen wurden in historischen Gebäuden wie z. B. dem Eschenheimer Turm ebenso wie bei der Sanierung von Altbauten, an Hochhäusern und in den Giebeln von neuen Häusern eingebaut. Noch sind nicht alle eingerichteten Nistplätze besetzt, dennoch wird das Angebot weiter ausgebaut. Gesucht werden auch weiterhin Beobachter, die zur Mauerseglererfassung in einzelnen Stadtteilen beitragen und über geeignete Baumaßnahmen berichten.
Weitere Informationen und Kontaktadressen unter www.nabu-frankfurt.de/segler4.htm


Nistmöglichkeiten im Neubau der RSPB-Geschäftsstelle

Der Sitz der Hauptgeschäftsstelle der RSPB befindet sich in einem typischen englischen Landhaus aus dem Jahr 1870. Neue Gebäude zur Erweiterung der Büroräume sind im Stil dem alten Haus angepasst. Im Bereich des Daches wurden beim Anbau im Jahr 2008 acht für Mauersegler geeignete Nistkästen angebracht. Um umherfliegende Mauersegler auf die neuen Nistgelegenheiten aufmerksam zu machen, wurden täglich über mehrere Wochen im Frühjahr und Sommer 2009 alle paar Minuten Mauersegler-Rufe von einer CD abgespielt, wie sie etablierte Brutpaare bei der Verteidigung ihrer Nester gegen Artgenossen ausstoßen. Auf diese Weise soll der Eindruck einer bestehenden, erfolgreichen Mauerseglerkolonie geschaffen und mögliche weitere Brutpaare angelockt werden.

Während der ersten Brutsaison zeigten acht bis zehn Mauersegler tatsächlich Interesse, indem sie wiederholt nahe der Nistlöcher umherflogen und auf die Warnrufe reagierten. Einige Vögel flogen dabei bis an die Öffnungen. Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um Jungvögel auf der Suche nach geeigneten Neststandorten. Die Chancen, dass sich die Mauersegler in den kommenden Jahren hier niederlassen, sind hoch.

Entgegen der althergebrachten Annahme, Mauersegler bevorzugten alte Gebäude, werden auch Neubauten gerne besiedelt, solange Nistmöglichkeiten vorhanden sind. Das Vorspielen von Mauersegler-Rufen dient als Lockmittel um solche Standorte interessant zu machen.

Mauersegler im Naturhistorischen Museum der Universität Oxford Zahlreiche Mauersegler bevölkern im Sommer den Himmel über dem Museum für Naturgeschichte in Oxford. Wann die Vögel zum ersten Mal in den Lüftungslöchern des Museumsturmes brüteten, weiß man nicht - im Jahr 1947 waren die Mauersegler hier jedenfalls schon alteingesessen. Zu dieser Zeit begann der namhafte britische Vogelkundler David Lack mit seinen berühmten Studien dieser Mauerseglerkolonie, gleichzeitig hielt er den Direktorenposten des Edward Gray Institutes für Feldornithologie, eines der Zentren für Vogelkunde in Großbritannien, inne.

Seine Studien zur Brutbiologie dieser relativ wenig erforschten Vogelart sind wahrscheinlich bis heute die umfangreichsten ihrer Art. Die Arbeiten wurden 1956 in dem klassischen Werk "Swifts in a Tower" veröffentlicht. Auch heute noch wird die Brutkolonie regelmäßig beobachtet und die Jungvögel als Teil einer der weltweit am längsten andauernden Forschungsarbeiten an einer einzelnen Vogelart beringt. Die Brutkolonie des Museums in Oxford umfasst mittlerweile fast 80 Mauerseglerpaare. Während der Brutsaison können die Vögel unter http://www.oum.ox.ac.uk/swifts per Webcam beobachtet werden. Wie passend, dass ein Martlet, ein mythischer Vogel Großbritanniens, der wahrscheinlich aus dem Sagen umwobenen Mauersegler hervorging, auf dem Dach von zwei Colleges in Oxford sitzt.


Hilfestellungen für Mauersegler
Vorhandene Nistplätze sollten in Ruhe gelassen werden - auch während möglicher Bauarbeiten.
Beim Neudecken von Dächern oder Erneuern von Giebeln oder Traufen sollten bei vorhandenen Neststandorten Öffnungen an genau den gleichen Stellen frei gelassen werden.
Nistgelegenheiten im Inneren, also beispielsweise hinter Traufabdeckungen, sind aufgrund ihrer Langlebigkeit besser als solche außen.
Falls die Anlage "verbauter" Nistgelegenheiten nicht möglich ist, können spezielle Mauersegler-Brutkästen auch außen an Gebäuden angebracht werden.

*


Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 8/2010
57. Jahrgang, August 2010, S. 327-330
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2010