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VÖGEL/491: Seltene Fasane in Tibet (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2009

Heilige Wälder als letzte Zufluchtsstätte: Seltene Fasane in Tibet

Von Siegfried Klaus


Großflächige und langwährende Abholzung hat die Wälder Chinas so stark reduziert, dass der Lebensraum Wald mit seiner enormen Artenvielfalt nur noch inselartig oder in Schutzgebieten zur Verfügung steht. Aber auch hier sind Vögel nur schwer zu beobachten. So extrem scheue Großvögel wie Blut- und Weiße Ohrfasane in den heiligen Wäldern der Lamaklöster fast handzahm zu sehen, bleibt wohl für jeden Vogelkundler ein unvergessliches Erlebnis - ermöglicht durch den Respekt und die traditionelle Fürsorge der tibetanischen Mönche.


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Im Anschluss an das 4. Internationale Galliformes Symposium im Jahr 2007 machten sich Hühnervogelexperten auf, im Verwaltungsbezirk Daocheng in West-Sichuan Fasane und andere Bergwaldvögel zu beobachten. Ziel entlang einer Route über mehrere Pässe, manche davon knapp über 5000 m, waren vor allem einige Lamaklöster auf dem Tibetplateau und ihre heiligen Wälder - Flächen, die ohne jeglichen rechtlichen Schutzstatus vielen seltenen Vogelarten Lebensraum bieten.

Nach mehreren Tagen Fahrt auf wilden Pisten durch einzigartige Gebirgslandschaften der früher zu Tibet gehörenden Provinz Kham, in der auch heute noch überwiegend Tibeter leben, ist das Lamakloster Benbo erreicht. Der Wald um das Kloster gilt als heilig, hier können auch die ersten Weißen Ohrfasane beobachtet werden - allerdings aus großer Entfernung. Die Vögel suchen einzeln im buschigen Stecheichenwald nach Nahrung. Am Hang gegenüber besteht der Wald aus Koniferen, dominiert von einer blaunadeligen Fichtenart und Chinesischer Lärche, die in goldgelben Herbstfarben leuchtet.


Charakterart der Osttibetischen Bergwälder

Der Weiße Ohrfasan (Crossoptilon crossoptilon) gilt als Charakterart der Osttibetischen Bergwälder, wo die Tiere Stecheichen- und Koniferenwälder in Höhen zwischen 3800 und 4600 m sowie verbuschte Flächen bis zur Baumgrenze bewohnen. Nachdem die großen, weißen Vögel morgens ihre Schlafbäume verlassen haben, landen sie in den von Gebüschen durchsetzten Hangwäldern. Nur die Kopfplatte, die Handschwingen der kurzen, runden Flügel sowie die zerschlissenen Schwanzfedern sind dunkel bis schwarz gefärbt und schillern in der Sonne blaugrün. Die helle Iris der Augen steht in auffälligem Kontrast zu dem federlosen, tiefrot gefärbten Orbitalfeld, das die Augenregion umschließt. Mit den mächtigen, rosaroten Grabschnäbeln und den kräftig rot gefärbten Füßen picken und scharren die Ohrfasane Wurzeln aus dem Boden und hinterlassen dabei bis zu 10 cm tiefe Löcher. Bei der morgendlichen Nahrungssuche laufen die Vögel meist bis über die Baumgrenze hinaus, wo sie in kniehohen Rhododendronbüschen Deckung finden. Hier ruhen die Weißen Ohrfasane mittags in selbst gescharrten Bodenmulden und nehmen wie alle Hühnervögel Sandbäder. Dabei bleiben sie stets wachsam und warnen bei Gefahr, vor allem wenn der Hauptfeind Steinadler auftaucht. Nach ausgiebiger Mittagsruhe wird wieder intensiv gefressen. Gegen Abend laufen die Fasane oft dicht gedrängt aufgeregt hin und her. Laute, trompetenartige Rufe halten die Gruppe dabei zusammen und geben das Signal, hangabwärts in die Tiefe zu gleiten um die Nacht gut getarnt in alten Koniferen zu verbringen. Weiße Ohrfasane suchen auch auf den Gerstenfeldern der Tibetaner im Tal nach Nahrung. Hier werden die heiligen Großvögel geduldet, die Menschen nehmen trotz ihrer Armut Schäden klaglos in Kauf.


Weiße Ohrfasane - "Haushühner" der Lamamönche

Bereits in den 1930er Jahren schrieb E. Schäfer " ... In der Nähe der Lamaklöster sind [diese] Ohrfasane zuweilen so zahm geworden, dass man sie auf weite Entfernung für weiße Haushühner halten könnte, so nahe kommen sie an die Gebäude heran."

Ein Besuch des Klosters Zhuhije, 4370 m über NN, nahe der Stadt Daocheng, bestätigt diese Aussage. Die eindrucksvolle Anlage liegt an einem steilen Berghang mit prächtigen Tempeln, bunt bemalten Wohnhäusern, in denen die Mönche leben, und turmartigen heiligen Schreinen, den sogenannten Tschorten. Auch hier besteht der umliegende heilige Wald aus mittelalten Steineichen, unterbrochen von kleinen Wiesen, Felsen und Bächen. Direkt am Kloster stehen einige uralte Baumwacholder, die von den Fasanen gerne als Schlafplätze genutzt werden. Eine Gruppe von über 30 Weißer Ohrfasane stolziert vor den Toren des Klosters durch den Schnee. Die Vögel suchen nach Nahrung oder baden im Staub und rasten später auf den niedrigen Zweigen von Stecheichen.

In Xiongdeng, einer weiteren, eindrucksvollen Klosteranlage in 4400 m Höhe, wird das außergewöhnliche Verhältnis zwischen Weißen Ohrfasanen und Lamamönchen besonders deutlich. Vor etwa 30 Jahren wurden die Anlage und der dazugehörige heilige Wald fast vollständig zerstört. Inmitten des Wiederaufbaus sind noch heute einige der verwüsteten Gebäude zu sehen. Der heilige Eichenwald regeneriert sich durch Stockausschläge. Unterbrochen von Bergwiesen und Felsen bietet er etwa 50 Weißen Ohrfasanen, Tibetrebhühnern und Blutfasanen bereits wieder Lebensraum. Hier können die Reiseteilnehmer miterleben, wie sich die Futterzahmheit der großen Vögel gerade erst wieder einzustellen beginnt. Abends kommen die Tiere auf Zurufe immer desselben Mönches allmählich aus dem Berghang herab und lassen sich offenbar nur von diesem einen Mönch in einigem Abstand zu den Klostergebäuden füttern. Nach etwa einer halben Stunde ziehen sich die Vögel dann wieder in die Eichengebüsche zurück.


Blutfasane - schön und schreckhaft

Noch scheuer als die Weißen Ohrfasane sind die ebenfalls hier lebenden Blutfasane (Ithaginis cruentus). In kleineren und größeren Gruppen streifen sie durch das Klostergelände und die heiligen Wälder. Vierzehn Unterarten von Blutfasanen kommen in den innerasiatischen Hochgebirgen Nordburmas, Butans, Chinas, Indiens und Nepals vor, wo sie z. T. bis zur Baumgrenze auf 4500 m steigen. Wegen der fließenden Übergänge der Gefiedermerkmale wird heute die Berechtigung dieser vielen Unterarten bezweifelt, solange eine Abgrenzung nicht durch genetische Analysen gestützt ist. In Nepal und Indien bewohnen Blutfasane Rhododendrongebüsche und subalpine Strauchvegetation zwischen 3200 und 4400 m Höhe. Örtlich wird der Lebensraum auch von Kiefern- und Wacholderwäldern sowie Bambusgebüschen bestimmt. In China sind Blutfasane vor allem durch fortschreitende Rodung der Wälder und damit einhergehender Isolierung der Restlebensräume so stark bedroht, dass die Art in der Roten Liste der Vögel Chinas in die Kategorie 2 "gefährdet" aufgenommen wurde (nach CITES-Anhang II gelten sie vorerst als nicht global bedroht). An fundierten Untersuchungen zur Biologie der Art mangelt es bisher noch weitgehend.

Auffällig ist der starke Geschlechtsdimorphismus bei Blutfasanen - das bunte Hahnengefieder mit karminroten, grünen und kastanienbraunen Partien im sonst hellgrauen Kleid, übersät mit hellen Schaftstrichen der langen, weichen Federn steht in starkem Kontrast zum tarnfarbig-braunen Federkleid der Henne. Beide Geschlechter besitzen stark verlängerte Scheitel- und Ohrfedern, die bei Erregung wie "Hörner" abgespreizt werden können und den Vogelgesichtern ein bizarres Aussehen verleihen.

Blutfasane leben ganzjährig in unterschiedlich großen Gruppen mit stark ausgeprägtem Sozialverhalten, die über 40 Tiere umfassen können. Meistens tolerieren die Hähne einander - im Gegensatz zu Beobachtungen an Volierenvögeln sind im Freiland mehrfach jedoch auch Kämpfe zwischen Hähnen sowie Aggressionen unter Hennen zu sehen. Führende Hennen sind meist eng an andere Gruppenmitglieder angeschlossen, wahrscheinlich um die Sicherheit gegenüber Beutegreifern zu erhöhen. Eine weitere Besonderheit am Kloster Xiongdeng ist das endemische Tibetrebhuhn, das hier vorkommt und gelegentlich an der Fütterung der Ohrfasane teilnimmt.


Ein hoffnungsvolles Projekt - die Erforschung der heiligen Wälder

Der bis heute erhaltene und derzeit wieder erstarkte buddhistische Glaube der Tibeter konnte Wildtiere - vor allem auch Vögel - und ihre Lebensräume über lange Zeiträume bewahren. Der Schutz der heiligen Wälder und ihrer Fasane in der Nähe von Klöstern, Pilgerstätten und tibetischen Siedlungen hat eine Artenvielfalt erhalten, die andernorts in China verlorengegangen ist.

Mit Unterstützung der World Pheasant Association untersucht der chinesische Ornithologe Wang Nan seit dem Jahr 2003 in einem hoffnungsvollen Projekt die Zusammenhänge und stellte u. a. fest, dass in den heiligen Wäldern die Bäume höher und älter sind und dichter stehen als in den Kontrollflächen weiter entfernt von Klöstern. Auch die Gebüsche sind dichter und höher und weisen somit eine höhere Gehölzbiomasse auf als anderswo.

Mit der Zerstörung heiliger Stätten, vor allem während der Kulturrevolution, wurden auch die heiligen Wälder in Teilen vernichtet. Seit etwa drei Jahrzehnten wurden oder werden viele der Klöster wieder aufgebaut und das traditionelle, religiöse Leben fortgesetzt, wenn auch die Zahl der Mönche wohl nie wieder die früherer Zeiten erreichen wird. Auch die Wälder erholen sich. Allerdings unterscheiden sich manche dieser Sekundärwälder stark von den ursprünglichen. Anstelle der heimischen Koniferen dominieren auf großen Flächen oft buschartig wachsende Stecheichen. Den Vögeln scheint das jedoch nicht zu schaden, die Stecheichenfrüchte sind bei verschiedenen Fasanen und anderen Vogelarten als energiereiche Nahrung sogar beliebt.

Es bleibt zu hoffen, dass die beunruhigenden Meldungen über Tibet nicht wieder zu Intoleranz gegen den Glauben der Tibeter und gar erneuten Zerstörung ihrer heiligen Stätten einschließlich der sie umgebenden Wälder mit ihrer artenreichen Tier- und Pflanzenwelt führen.


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Literatur zum Thema:

Howman, K. (1993): Pheasants of the World. Surrey Canada, Blaine USA.

Raethel, H. S. (1991): Hühnervögel der Welt. Naturverlag Augsburg.

Schäfer, E. (1934): Zur Lebensweise der Fasanen des chinesisch-tibetischen Grenzlandes. J. Ornithol. 32: 487-504.

Klaus, S., Y. Fang, Y.-H. Sun & W. Scherzinger (1999): Rituale beim Staubbad: Blutfasane im Lianhuashan. Der Falke 46: 366-371.

Nan, Wang (2006/07): Cultural conservation of pheasants in Daocheng county, Sichuan province, China. Annual Review WPA 2006/2007: 22-23.

Zheng, G. & Q. Wang (1998): China Red Data Book of endangered animals. Beijing.


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Heilige Wälder der Lamaklöster als Schutzgebietsform

Die "Heiligen Wälder" im Nahbereich von Lamaklöstern auf dem Tibetplateau stellen eine besondere und uralte Form von Schutzgebieten für die biologische Vielfalt dar. Sie waren nie und sind auch heute nicht gesetzlich verankert, sondern verdanken ihre bis heute währende Existenz dem buddhistischen Glauben der Tibeter, der das Töten lebender Kreaturen verbietet und auch ihren Lebensstätten Schutz gewährt. Die Nutzung von Brenn- und Bauholz ist natürlich in bewaldeten Teilen Tibets unverzichtbar, doch waren die heiligen Wälder in der Klosterumgebung davon weitgehend ausgenommen. So blieben Waldlebensräume für die Tier- und Pflanzenwelt über lange Zeiträume bewahrt. Der Schutz dieser Wälder und ihrer Fasane im Nahbereich von Klöstern, Pilgerstätten und tibetischen Siedlungen hat eine Artenvielfalt erhalten, die andernorts in China verloren gegangen ist. Untersuchungen von Wang Nan seit 2003 zeigen, dass in den heiligen Wäldern die Bäume höher und älter sind und dichter stehen als an anderen Orten. Auch die Gebüsche sind höher und dichter, d. h. die Gehölzbiomasse ist höher als anderswo, und die dort lebende Vogelwelt ist arten- und individuenreicher.

Die uralte Tradition des Fütterns von Vögeln bei völliger Jagdruhe hat die Fluchtdistanz sonst scheuer Arten wie Fasane und Lachdrosseln schwinden lassen. Die Weißen Ohrfasane fressen sogar aus der Hand - für den Beobachter eine einzigartige Situation.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2009
56. Jahrgang, April 2009, S. 129-133
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009