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PFLANZEN/165: Von einem missverstandenen Baum - Die Fichte ist Baum des Jahres 2017 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 196 - Februar/März 2017
Die Berliner Umweltzeitung

Von einem missverstandenen Baum
Die Fichte ist Baum des Jahres 2017

von Marina Körner


Kein Baum ist unter Baumkundlern so umstritten wie die Gemeine Fichte. Für die einen stellt diese Nadelbaumart den "Brotbaum der deutschen Forstwirtschaft" dar, für andere ist sie der Inbegriff naturferner Monokulturen. Doch mit dem fortlaufenden Klimawandel droht die Fichte auszusterben. Aus diesem Grund hat die Dr.-Silvius-Wodarz-Stiftung sie zum Baum des Jahres 2017 ausgerufen. "Man kann zur Fichte stehen, wie man will - dennoch haben wir ihr einiges zu verdanken", meint Silvius Wodarz, Gründer der Stiftung, zur Wahl: "Die Fichte steht schon einige Zeit auf unserer Liste. Ich freue mich, dass wir 2017 über diesen ganz besonderen Jahresbaum diskutieren können."

Der deutsche "Brotbaum"

Nicht weniger als 35 Prozent der deutschen Forstfläche sind mit der Gemeinen Fichte besetzt. Somit ist sie die häufigste Baumart im Land. Als einzige in Deutschland vorkommende Fichtenart wäre sie tatsächlich etwas Seltenes, hätte der Mensch nicht Anfang des 19. Jahrhunderts die alten Laubwälder fast komplett aufgebraucht, um den starken Bedarf an Bau- und Brennholz zu decken. Erstmals wurden damals Konzepte für eine nachhaltige Nutzung des Waldes entwickelt, der Wald sollte wiederaufgeforstet werden. Durch ihre relative Anspruchslosigkeit an den Boden, den schnellen Wuchs und die gute Verarbeitbarkeit des Holzes war die Gemeine Fichte dafür ein guter Kandidat.

Dadurch entstanden allerdings große Flächen von Monokulturen, die für die Holzwirtschaft zwar einen hohen Gewinn brachten, mit der Zeit aber auch immer mehr Probleme bereiteten. Es waren Förster, die schnell feststellten, dass massenhaft wachsende Fichten Stürmen nicht standhielten. Gerade von ihnen stammte der berühmte Satz: "Willst du den Wald bestimmt vernichten, pflanze nichts als reine Fichten!" Sie erkannten schnell, wie wichtig eine Mischkultur für die Wälder war.

Doch durch die beiden Weltkriege geriet dieser Gedanke immer weiter in den Hintergrund. Es wurde Holz gebraucht, und nachforsten konnte man immer noch am besten mit der Fichte. So wurde sie zum Symbol der erfolgreichen Wiederbewaldung.

Häufig und doch bedroht

Doch auch wenn die Fichte so zahlreich in Deutschland vorkommt, ist sie bedroht. Dass Monokulturen ökologisch gesehen nichts bringen, ist weithin bekannt. Auch wenn die Fichte in dieser Anbauform in den letzten Jahren wirtschaftlich förderlich war, so sind diese Bestände doch sehr labil. Stürme, Borkenkäfer und die überdurchschnittliche Anwesenheit anderer Nadelbäume werden der Fichte oft zum Verhängnis. Der Flachwurzler wird bei Stürmen entwurzelt, Borkenkäfer haben in Monokulturen keine Konkurrenz und die nährstoffreichen Nadeln der Fichte übersäuern den Boden, sodass nachfolgende Jungfichten Schwierigkeiten beim Wuchs haben.

Gerade deshalb ist es wichtig, diese Forste durch andere Baumarten, zum Beispiel Eichen, zu ergänzen. Erst wenn der Wald von einem Fichtenwald zu einem gut durchmischten Mischwald wird, ist garantiert, dass mehr Fichten den zahlreichen Bedrohungen widerstehen.

Während all diese Probleme aber gut durch geplante Neuaufforstung und Durchmischung gelöst werden können, bleibt das größte Problem der Klimawandel. Langfristig wird er die Fichte aus ihrem heutigen Lebensraum verdrängen. Ursprünglich aus der Taiga, ist die Fichte nicht an die fortschreitende Erwärmung gewöhnt und kommt mit langen Trockenperioden und hohen Temperaturen nur schwer zurecht. Bereits jetzt wird nach Ersatz gesucht.

Die Fichte kann noch viel mehr

Die Gemeine Fichte (Picea abies) gehört zu der Gattung der Fichten und ist Europas einzige einheimische Fichtenart. Ihr natürliches Ausbreitungsgebiet reicht von Mittel- über Ost- und Nordeuropa bis weit nach Asien. Als Taiga-Baumart bevorzugt sie kühles, feuchtes Klima und hat eine hohe Kälteresistenz, zur Not bis zu minus 60 Grad Celsius. In den gemäßigten Breiten kommt sie in natürlicher Form ausschließlich als Gebirgsbaum vor.

Gemeine Fichten werden normalerweise bis zu 50 Meter hoch, einzelne Exemplare erreichen eine Höhe von 60 Metern. Damit ist sie einer der größten europäischen Bäume!

Insgesamt kann sie über 500 Jahre alt werden, ihre forstliche Umtriebszeit beträgt 60 bis 120 Jahre.

In der Regel besitzt sie einen schlanken Stamm und kegelförmig von unten nach oben angeordnete Zweige. Dadurch, dass Fichten schnell wachsen und 80 Prozent ihres Holzes nutzbar sind, haben sie sich den Titel "Brotbaum" erarbeitet. Was die Nadeln angeht, so gilt das Sprichwort: "Die Fichte sticht, die Tanne nicht" - die luftempfindlichen Nadeln der Fichte sind spitz.

Fichtennadeln enthalten ätherische Öle, die bakterizid wirken und deshalb gut bei Atemwegserkrankungen helfen. Außerdem ist die Gemeine Fichte der größte Lieferant von Waldhonig, die meisten Schild- und Blattläuse zapfen ihre zuckerhaltigen Leitungsbahnen an und produzieren den entstehenden Honigtau, der von Honigbienen eingesammelt wird.

Eine weitere wichtige Funktion kommt der Fichte - wie den meisten Gebirgsbäumen - als Lawinenschutz zu. Früher war sie auch noch für etwas anderes berühmt: Bevor die Nordmanntanne in Deutschland der Renner unter den Weihnachtsbaum wurde, gebührte dieser Titel der Gemeinen Fichte.

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Quelle:
DER RABE RALF
27. Jahrgang, Nr. 196, Seite 15
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2017

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