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FORSCHUNG/222: Mit GPS-Ortung auf der Spur der Wildtiere (verbundjournal)


verbundjournal - 100/Januar 2015
Forschungsverbund Berlin e.V.

Mit GPS-Ortung auf der Spur der Wildtiere

Von Karl-Heinz Karisch


Der Lebensraum für Wildtiere schrumpft. Menschliche Siedlungen, Straßenbau und Landwirtschaft erschweren es den Tieren, weite Strecken zur Suche nach Nahrung oder einem Partner zurückzulegen. Mit Hilfe von Telemetrie-Halsbändern und dem GPS-Ortungssystem verfolgen Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) seit vielen Jahren die Wanderungen etwa von Elefanten und Geparden in Afrika - oder auch von Wildschweinen in Berlin.


IZW-Direktor Heribert Hofer hat zusammen mit seinem Kollegen Prof. Thomas Hildebrandt im Jahr 2000 im Grenzgebiet zwischen Mosambik und Tansania erstmals mit Hilfe von GPS-Halsbandsendern gearbeitet. Damals wurden die Wanderungsbewegungen von Elefanten telemetriert. "Durch GPS sind viele Beobachtungen einfacher geworden", sagt Prof. Hofer rückblickend, der zu den ersten Forschern zählt, die die Telemetrie in der Tierbeobachtung einsetzten. In den 80er-Jahren nutzte er bereits das Transit-Satellitensystem, um seinen eigenen Standort bei Tierbeobachtungen in der Serengeti genau festzustellen. "Von der GPS-Selbstortung von Tieren konnten wir damals nur träumen", berichtet er. Durch die fortschreitende Miniaturisierung der GPS-Geräte seien heute sogar kleinere Tiere gut zu verfolgen. Beschränkt werde die Arbeit im Grunde nur noch durch die Batterieleistung.

Aber auch da schreitet die Technik voran. Die Messungen können zeitlich flexibel gesteuert werden, das spart Strom. Zudem gibt es heute verschiedene Möglichkeiten, um die GPS-Daten von noch am Tier befindlichen Halsbändern abzurufen. Das funktioniert besonders einfach über das Mobilfunk-Netz, etwa bei Seeadlern in Brandenburg, über spezielle Satelliten oder mit Kleinflugzeugen.

Dr. Bettina Wachter kommt gerade von einer dreitägigen Exkursion zurück, als sie unsere Anfrage im Camp in Namibia erreicht. Sie leitet seit zwölf Jahren das dortige Geparden-Projekt des IZW. Die Tage im Feld waren ausgesprochen erfolgreich. "Wir hatten gleich mehrere Geparde gefangen und sie dann mit GPS-Sendern versehen wieder in die Freiheit entlassen", berichtet sie.

Derzeit tragen rund 50 Geparde ein GPS-Halsband, insgesamt wurden bereits 200 Tiere damit ausgestattet. Die Geräte speichern alle 15 Minuten die Position des Tieres. Die Datenflut wird von Doktorand Jörg Melzheimer an Bord eines kleinen Piper-Flugzeugs heruntergeladen und anschließend analysiert. "Pro Flug können etwa sechs Stunden geflogen und sechs bis sieben Tiere geortet werden", erklärt Bettina Wachter.

Das Projekt hat einen ernsten Hintergrund. Die Farmer befürchten den Verlust der Kälber ihrer wertvollen Rinder durch jagende Geparde. Anhand der Isotopen-Analyse von Haar- und Gewebeproben konnten der IZW-Forscher Dr. Christian Voigt gemeinsam mit dem Geparden-Projektteam nachweisen, dass Geparde nur selten Weidevieh fressen. Bettina Wachter bietet den Farmern eine weitere wichtige Hilfe an. Mit den GPS-Daten konnte Jörg Melzheimer zeigen, dass die Geparde sich nicht gleichmäßig auf dem Farmland bewegen: "Es gibt Gebiete, in denen es eine hohe Gepardenaktivität gibt und es gibt auch Gebiete, in denen sich die Raubtiere weniger oft aufhalten." Daraus hat Bettina Wachter Vorschläge für die Farmer zusammengestellt, wo sie ihre Rinderherden während der besonders gefährdeten Kalbzeit halten können - fernab der Raubkatzen.

Die Namibwüste in der afrikanischen Kunene-Region ist einer der heißesten Orte der Erde. Hier untersucht Christian Voigt die Lebensbedingungen der Oryxantilope, auch Gemsbock genannt. "Die Tiere sind bei touristischen Trophäenjägern beliebt, für die einheimische schwarze Bevölkerung stellen sie zudem eine wichtige Eiweißquelle dar", berichtet der IZW-Forscher. Die Wildtierpopulationen würden von der lokalen Bevölkerung gemanagt, das heißt, die Abschussquote wird vor Ort festgelegt. "Dafür ist es aber wichtig zu wissen", sagt Voigt, "ob die Tiere nur lokal vorkommen oder ob sie über große Bereiche wandern." Bislang seien Zoologen bei der Oryxantilope davon ausgegangen, dass die Tiere über große Strecken in die jeweils grüneren Gebiete wandern. "Wir haben deshalb acht Tiere mit GPS-Halsbändern versehen und über drei Saisons erfasst, wo sich die Tiere aufhalten", berichtet er. "Entgegen unserer Annahme hielten sie sich fast nur lokal auf." Die Tiere seien also sehr gut angepasst an die Ernährungsmöglichkeiten im Wüsten-Habitat.

Dank Handy-Netz haben es die IZW-Forscher in Berlin etwas einfacher. Milena Stillfried beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit mit Wildschweinen, die sie in Kooperation mit den Berliner Forsten und dem Landesbetrieb Forst Brandenburg einfängt und mit GPS-Halsbändern ausstattet. Alle 30 Minuten wird von dem Gerät eine GPS-Ortung aufgezeichnet, die dann automatisch per E-Mail über das Mobilfunk-Netz an das IZW geht. "Wir wissen also ständig, wo sich die Tiere aufhalten, ohne dass wir sie durch Beobachtungen stören", berichtet die Biologin. Die bislang gewonnen Erkenntnisse haben die Biologin überrascht: Es gibt Stadtliebhaber und Menschenscheue. Die Stadtschweine finden auf relativ kleinem Raum alles, was sie zum Leben benötigen. Sie bewegen sich also sehr viel weniger als ihre Verwandten im ländlichen Raum. Dort gehen die Wildschweine im Wald den Menschen gezielt aus dem Weg. "Unsere Messungen zeigen, dass sie sich im Laufe des Jahres jeweils dort aufhalten, wo der geringste Publikumsverkehr ist. Stadtschweine sind hingegen abgehärtet, die liegen in ihren Verstecken direkt neben der Straße und lassen sich durch Menschen nicht stören", sagt Milena Stillfried. "Überall wo es bewässerte Wiesen und Grünflächen gibt, finden die Wildschweine einen reich gedeckten Tisch", erläutert Milena Stillfried. Das führe zwangsläufig zu Konflikten, weil die Wildschweine dann Parks, Grünanlagen, Privatgärten oder Friedhöfe durchwühlten.

IZW-Forscher helfen, solche Konflikte im Zusammenleben zwischen Mensch und Wildtier zu entschärfen. Teilweise mussten dafür erst die technischen Möglichkeiten geschaffen werden. So hat beispielsweise Dr. Anne Berger gemeinsam mit Industriepartnern die GPS-Sender mit Beschleunigungssensoren kombiniert und Analysealgorithmen zur Auswertung dieser Aktivitätsdaten entwickelt. Damit sind die IZW-Forscher nun in der Lage, die Bewegungen von Tieren in drei Dimensionen aufzuschlüsseln. "Das ist das eigentlich Aufregende für uns Forscher", sagt Heribert Hofer. "Aus solchen kombinierten Daten können wir immer genauere Rückschlüsse auf das Verhalten von Tieren ziehen."

KASTEN
 
Im GPS-System steckt die Relativitätstheorie

Autofahrer, Flugzeuge, Schiffe oder auch die Halter von Hunden nutzen das satellitengestützte Navigations- und Ortsbestimmungssystem GPS (Global Positioning System). Den IZW-Forschern ist es dank GPS möglich, die Wanderungsbewegungen frei lebender Tiere zu verfolgen. Die Technik hinter dem GPS ist sehr aufwendig. Ohne Berücksichtigung der Effekte der Einstein'schen Relativitätstheorie würde sich die Ungenauigkeit der Ortsangabe innerhalb von 24 Stunden auf 11 Kilometer addieren. Der Grundgedanke für das GPS ist einfach. 24 Satelliten umkreisen die Erde. Aus Lichtgeschwindigkeit mal Reisezeit des Signals zwischen Sender und Empfänger errechnet sich der Abstand. Aus mehreren Signalen kann dann die genaue Position ermittelt werden. Allerdings läuft die Zeit nicht überall gleich schnell. Die Atomuhren, die an Bord von GPS-Satelliten um die Erde kreisen, laufen aufgrund der Fluggeschwindigkeit der Satelliten von rund 14.000 Kilometer pro Stunde an jedem Tag etwa sieben Mikrosekunden langsamer als die systemgleichen Uhren auf der Erde. Dazu kommt aber noch der Einfluss der Erdgravitation. Atomuhren in einer Höhe von 20.000 Kilometern sind der Gravitationskraft nur ein Viertel so stark wie Uhren auf der Erdoberfläche ausgesetzt. Dadurch laufen die Uhren in den Satelliten 45 Mikrosekunden pro Tag schneller als die auf der Erde. Insgesamt ergibt sich also ein Unterschied von 38 Mikrosekunden pro Tag. Diese winzig erscheinende Abweichung produziert jene Fehlangabe von 11 Kilometern. Durch Berücksichtigung der Zeitdilatation und der gravitativen Zeitdehnung erreicht das GPS jedoch eine Genauigkeit von ca. 30 Zentimetern.


[Bildunterschrift der im Schattenblick nicht
veröffentlichten Abbildung der Printausgabe S.16]:
"Blutabnahme an einem frei lebenden Geparden
auf namibischem Farmland und Anbringung eines
GPS-Halsbandes am Tier."

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Quelle:
verbundjournal Nr. 100, Januar 2015, Seite 16-17
Herausgeber: Forschungsverbund Berlin e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2015

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